Dog Star Man

Zum Tod des Filmemachers Stan Brakhage. von stefan ripplinger

So verlöschen, einer nach dem andern, die Sterne an meinem Firmament. Erst, am 20. Februar, Maurice Blanchot, dem Krethi und Plethi nachriefen, er sei der Denker des Todes, und der doch der Denker des arrêt de mort, des aufgehaltenen Todes ist, am 9. März Stan Brakhage, den viele für einen Poeten des Lebens halten, und der sich in seinen Filmen doch, mit einem vorher nicht gekannten Mut, den Toten nähert.

»Sirius Remembered« (1959) umkreist mit nervöser Handkamera den Kadaver eines Hundes. Es ist ein über Wochen sich hinziehender Abschied von einem geliebten Tier, dessen Vergehen der Film in wenigen Minuten zeigt, oder vielleicht sollte ich sagen, zelebriert. »Ich begann, den Zerfall eines toten Dings und den Zerfall der Erinnerungen an ein geliebtes Wesen, das gestorben ist, zu begreifen, und ich war dabei, alle abstrakten Vorstellungen vom Tod zu untergraben. Die Form des Films nötigte sich aus demselben körperlichen Bedürfnis auf, das Hunde dazu bringt, um einen Leichnam zu tanzen und an seiner Seite zu heulen.« Der Tanz, den Brakhage um den Hund vollführt, beschwört das tote Tier, das, durch Kamerabewegung und Schnitt, tatsächlich zu einem wenn auch erschreckenden Leben erwacht.

Brakhage muss in dieser Zeit seine Gabe erkannt haben, Totes ins Leben zurückzurufen. In seinem schönsten Film, für mich der schönste Film überhaupt, »Mothlight« (1963), flattern tote Insekten auf. Brakhage sammelt die Flügel von Motten und klebt sie zwischen zwei Filmstreifen. Der Anblick von Licht, Licht, Licht, tanzenden Flügeln im Licht, riesigen schwebenden, zappelnden, im Licht zergehenden Motten überwältigt.

»Dog Star Man« (1961–64) ist wie nahezu alle seine Arbeiten stumm, ein großer stummer Gesang, er ruft die Elemente, die Erde, den Himmel, die Sterne an und beobachtet mit großer Selbstverständlichkeit die Familie Brakhages. In vor diesem Hauptwerk entstandenen Etüden hat er sein wild life in den Bergen von Colorado, die Geburt eines seiner Kinder, seine Frau Jane, die Haustiere usw. gefilmt, in »Dog Star Man« fügt er solche intimen Eindrücke in einen kosmologischen Rahmen. Die Bilder, teilweise Überblendungen, teilweise im Negativ, rasen am Betrachter vorbei, und doch besitzt das Ganze einen großen Bogen, strahlt es eine majestätische Ruhe aus. Den Filmstreifen hat Brakhage in manchen Passagen bemalt, durchlöchert oder mit seinen Fingernägeln zerkratzt. Das ist seine Weise, sich dem Material zu nähern, nicht um es zu zerstören, sondern um es zu handhaben. Noch wenige Tage vor seinem Tod hat er seine letzte Arbeit, »The Chinese Series«, so behandelt; dieser Film, schreibt der Filmemacher Brian Frye, wird an der Stelle enden, an der Brakhage aufgehört hat, ihn zu zerkratzen.

Am 14. Januar 1933 als Robert Sanders geboren, geben ihm Ludwig und Clara Brakhage, die den Waisen zwei Wochen nach seiner Geburt adoptieren, die Vornamen James und Stanley. Seinen ersten Film, »Interim«, dreht er mit 19, noch bevor er die Filmhochschule besucht. Die frühen Arbeiten stehen unter dem Einfluss des Lyrismus eines Cocteau, mit »Anticipation of the Night« (1958), der ursprünglich Brakhages Selbstmord zeigen soll, erwirbt er sich einen eigenen Stil, der in den USA, dieser jungen Kultur, bewundert, im alten Europa als romantizistisch belächelt wird; so, in ihrer »Subgeschichte des Films«, von Hans Scheugl und Ernst Schmidt jr., die ihm und seiner Frau, Mitarbeiterin an vielen Filmen, vorwerfen, von »irrationalen Gefühlen« getrieben zu sein.

Brakhage gilt, nach Maya Deren, der Begründerin des neuen amerikanischen Kinos, als dessen Kopf, aber wenn er auch viele unterrichtet, die zu einigem Ruhm gelangen (etwa die Schöpfer von »South Park«, Trey Parker und Matt Stone), begründet er doch keine Schule, ist er ein Einzelgänger. Kein Video, kein Ton, kein Minimalismus, er bleibt der 19. Jahrhundert-Mann, »bigger than life« (Brenda Webb), der an den archaischen Methoden, die er sich geschaffen hat, festhält. Wenn wir seinen Ärzten glauben dürfen, kostet ihn das am Ende das Leben; der Teerfarbstoff auf dem von ihm verwendeten Filmmaterial habe zu dem Krebs geführt, an dem er schließlich stirbt.

Das Material, das Stoffliche überhaupt faszinieren ihn, aber nicht um seiner selbst willen, sondern weil er etwas anderes, Unstoffliches in ihnen vermutet, das mit Hilfe von Magie zu entbinden wäre. Sein Zuschauer braucht ihm solche Metaphysik nicht abzunehmen, aber es muss einer schon eine deutsche Hochschule besucht haben, um Brakhages Verführung zu widerstehen.

Der Titel »The Act of Seeing With One’s Own Eyes« (1971) ist die genaue Übersetzung von »Autopsie«. Zu sehen sind zum Teil schrecklich entstellte, aufgedunsene Leichen. Brakhages Auge folgt ihrer Öffnung in einem Pittsburgher Pathologiesaal sehr gefasst, ja zärtlich. Der Tod kann weder Gegenstand des Denkens noch der Kunst sein, wohl aber, im Toten das aufgehaltene, das abgeschnittene, das wieder erwachende Leben zu entdecken; wenige Künstler besitzen den dafür nötigen Ernst, Stan Brakhage war einer von ihnen. Der Filmhistoriker P. Adams Sitney wird in der New York Times mit den Worten zitiert, in hundert Jahren werde Brakhage als der hervorragende Filmkünstler des 20. Jahrhunderts imponieren. Ich habe daran keinen Zweifel.