Erkämpft das Menschenrecht!

Wer auf das Völkerrecht baut, bejaht letztlich den Nationalstaat. von christian stock

Der Angriffskrieg der USA gegen den Irak ist völkerrechtswidrig und verstößt gegen Buchstaben und Geist der UN-Charta. In dieser Einschätzung sind sich nahezu alle Kriegsgegner einig – von Kirchen bis zu antiimperialistischen Linken. Nun soll hier nicht bestritten werden, dass es gute Argumente gegen den Irakkrieg gibt. Aber das im Wesentlichen über die UN verfasste Völkerrecht gibt aus einer antimilitaristischen und staatskritischen Perspektive denkbar wenig dafür her. Schon rein immanent betrachtet, ist die Geschichte des Völkerrechts eine von endlosen Niederlagen. Bis auf zwei Ausnahmen – die Kriege gegen Nordkorea 1950 und gegen den Irak 1991 – fanden sämtliche größeren Kriege seit 1945 ohne Mandat der UN statt. Die Staaten haben völkerrechtliche Prinzipien souverän missachtet, wenn es um die kriegerische Durchsetzung ihrer Interessen ging. Sogar der als »humanitäre Intervention« legitimierte Krieg gegen Jugoslawien wurde 1999 an der UN vorbei geführt.

Erklärte Verfechter völkerrechtlicher Prinzipien wie der Ex-Botschafter und Irakkriegsgegner Hans Arnold müssen daher zugestehen, dass das »Sicherheitssystem der Uno (…) eigentlich noch nie in seiner ursprünglichen Form wirklich buchstabengetreu funktioniert« hat. Seine Erklärung dafür leuchtet ein: die Beschlüsse der Uno sind »immer durch ein Austarieren der Interessen der am Beschluss beteiligten Staaten« zustande gekommen. Deswegen bestehe ständig die Versuchung, »das Regelwerk der Uno im eigenen staatlichen Interesse zu dehnen, umzuinterpretieren, zu ergänzen, zu unterlaufen oder gar zu ignorieren«. Nichts anderes findet derzeit gerade in Sachen Irakkrieg statt, und nie war es anders.

Doch dieses ernüchternde Fazit, das die grassierende Beschwörung des Völkerrechts seitens vieler Kriegsgegner zu bloßem Wunschdenken zurechtstutzt, beruht nicht auf einem grundsätzlich behebbaren »Defekt« der internationalen Beziehungen. Wie jedes bürgerliche Recht ist das Völkerrecht durchzogen von hegemonialen Interessen und Diskursen. Es ist eine ideologische Konstruktion, hinter der die realen Herrschaftsverhältnisse verschwinden. Den Völkerrechtlern kann es gar nicht in den Sinn kommen, dass Krieg nichts anderes ist als die Fortsetzung des Marktes mit anderen Mitteln. Das ist nicht in einem verkürzten Sinne zu verstehen: Weder die Rede von der »Klassen-« oder »Siegerjustiz« noch die derzeit vor allem bemühte Anklage der »arroganten Supermacht« USA vermögen die herrschaftsförmigen Grundannahmen des Völkerrechts hinreichend zu erfassen. Das Völkerrecht ist nicht allein deshalb problematisch, weil sich die Interessen der »Herrschenden« darin durchsetzen, sondern weil sein Rechtssubjekt die Nationalstaaten sind. Wer sich positiv auf das Völkerrecht bezieht, affirmiert die nationalstaatsförmige Vergesellschaftung. Und die ist, wie sich unter Linken herumgesprochen haben müsste, eine Hauptursache für die Kriege der Neuzeit. (Es ist natürlich kein Zufall, dass das »law of nations« oder »international law« auf deutsch »Völkerrecht« heißt. Deutsche Ideologie kann Nationalstaaten nur völkisch denken.)

Als Kind der beiden Weltkriege ist das Völkerrecht im Wesentlichen auf zwischenstaatliche Kriege zugeschnitten. Im derzeit viel bemühten Artikel 2 der UN-Charta spielen nicht von ungefähr Begriffe wie »territoriale Unversehrtheit« oder »politische Unabhängigkeit eines Staates« die Hauptrolle. Wenn aber Saddam Husseins Schergen die eigene Bevölkerung umbringen, wie es nicht nur im Nordirak der Fall war, dann tut sich das Völkerrecht schwer damit, dem einen Riegel vorzuschieben.

Aus einer emanzipatorischen Sicht ist es zudem eher begrüßens- als beklagenswert, dass die USA im Irak die »territoriale Unversehrtheit« und die »Souveränität des Staates« verletzen. Aus dieser Sicht ist nicht der Erhalt diktatorischer Staatsapparate von Bedeutung, sondern alle Bemühungen haben allein dem Individuum und seinem Wohlergehen zu gelten. Und das ist derzeit sowohl durch den US-Krieg als auch durch das Regime in höchster Gefahr. Wenn also Linke überhaupt auf bürgerliche Rechtskonstruktionen meinen zurückgreifen zu müssen, dann sollten sie auf die Menschenrechte verweisen. Denn deren Rechtssubjekt ist der Mensch.