Spanien wackelt

Die Regierung von José Maria Aznar gerät wegen der anhaltenden Proteste gegen den Irakkrieg in Bedrängnis. von tom kucharz, madrid

Wozu ist die Polizei denn sonst da«, erregte sich ein privater Sicherheitsbeamter am vergangenen Freitag gegenüber einer Angestellten der Madrider Metro, »wenn nicht, um für Ordnung zu sorgen?« Jedenfalls nicht, um »wild um sich zu schießen und brutal auf Menschen einzuschlagen«, entgegnete sie. Beide diskutierten über die Polizeieinsätze auf den Friedensdemonstrationen.

Am selben Morgen sorgte sich ein Radiomoderator um die »nationale Einigkeit«. Tatsächlich ist die Anspannung spürbar. Immer mehr Spanier wollen das Ende der Regierung des Ministerpräsidenten José Maria Aznar und seiner konservativen Volkspartei (PP). Viele misstrauen den Medien, sind betroffen von den Kriegsbildern und zornig über die Haltung ihrer Regierung. Und sie werden nicht müde, auf die Straße zu gehen. Am Samstag nach den ersten Bombenangriffen protestierten im ganzen Land fast drei Millionen Menschen.

»Die Demonstrationen sind Ausdruck einer Minderheit«, behauptet die Regierung. Lügen die Umfrageergebnisse des Meinungsforschungsinstituts Opina? Demnach sind 79,9 Prozent gegen die Irakpolitik der Volkspartei, und nur knapp acht Prozent unterstützen den Krieg. Nicht einmal das Argument der Außenministerin Ana Palacio, dass die Börsenkurse nun wieder steigen und »die Bürger einige Cents weniger für das Benzin ausgeben müssen«, überzeugt die Bevölkerung.

Seit dem Beginn des Irakkriegs verging kein Tag, an dem in Spanien nicht protestiert wurde. Am vergangenen Mittwoch streikten Schüler und Studenten, und Hunderttausende gingen mit ihnen zusammen wieder auf die Straße. Schauspieler und Künstler nutzten den Welttag des Theaters, um vor dem Madrider Kulturministerium unter dem Motto »Mehr Theater, weniger Repression« ein Ende des Krieges zu fordern. In Zaragoza fand am vergangenen Freitag eine Wanderung zur Militärbasis statt. Auch an den Basen in Rota, Morón und Torrejon demonstrierten am Wochenende Zehntausende »für den sofortigen Stopp des Irakkriegs«.

Überschattet wurden die Proteste allerdings vom brutalen Vorgehen der Polizei in der Woche zuvor. Die Regierung verbot alle unangemeldeten Demonstrationen und warnte vor »schlimmsten Szenarien«. In Madrid gab es in drei Tagen über 230 Verletzte. Durch Gummigeschosse und bei Knüppeleinsätzen wurden auch viele ältere Menschen verwundet. Als »francistisch« bezeichnete Vicente Gisbert von der Plataforma Cultura contra la Guerra das Verhalten der Regierung, und der TV-Sender Canal 23 verglich die Polizeiübergriffe mit dem Vorgehen der Guardia Civil in den sechziger Jahren.

Die Regierung versuche die Friedensbewegung zu kriminalisieren, meint Ines Sabanes, Bürgermeisterkandidatin der Vereinigten Linken (IU) in Madrid, »damit sich die Leute nicht mehr auf die Straße trauen, um ihre Meinung zu sagen«. Eine Aufnahme ging durch fast alle Medien: ein Polizist schlug eine Frau zusammen, die gerade per Handy für einen verletzten Freund den Notdienst rief. »Das kann passieren«, erklärte Ministerpräsident Aznar im Radio Onda Cero, und auch Innenminister Angel Acebes verteidigte die »professionelle und tadellose« Reaktion der Polizei.

Nach Angaben der Tageszeitung El Pais sind die Polizeieinheiten bereits Mitte März in »höchste Alarmbereitschaft« versetzt worden, um alle Aktionen, die »im Zusammenhang mit dem Irakkrieg die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden«, zu unterbinden. »Wir können doch nicht losgehen und die Straßen sperren«, sagte Jose Fornet von der Polizeigewerkschaft SUP, »denn sonst wäre das ja Uganda und nicht eine europäische Demokratie.«

Mittlerweile beklagt die Volkspartei, dass »120 ihrer Büros angegriffen und 44 Veranstaltungen boykottiert« worden seien. Aznar beschuldigt die Sozialistische Partei (PSOE), »die Straße zu erobern, um die Macht zu erringen«. Sie habe »einen Mobilisierungsprozess aktiviert, der gefährlich werden kann und von dem man nicht weiß, wie er endet«. PP-Generalsekretär Javier Arenas beschuldigte die Opposition sogar, gewaltsame Ausschreitungen anzustiften.

Zwei Monate vor den nächsten Kommunalwahlen zweifelt kaum noch jemand an den drastischen Auswirkungen auf die Ergebnisse der PP. Selbst in kleinsten Ortschaften finden kaum noch Gemeinderatssitzungen statt, ohne dass ein »Nein zum Krieg« ertönt. Die Veranstaltungen der PP-Kandidaten werden immer häufiger zum Ziel der Kriegsgegner. Aznar nimmt bereits seit Februar keine Wahlkampftermine mehr wahr. Die Wahlkampfmanager der PP beschwichtigen und erklären, dass »wir unseren Kalender nicht geändert haben«. Besonders in kleinen Gemeinden, wo die Kandidaten bekannt sind, verwandelten sich selbst gewöhnliche Restaurantbesuche in öffentliche Auseinandersetzungen.

Die letzten öffentlichen Auftritte des Madrider Bürgermeisterkandidaten der PP, Alberto Ruiz-Gallardon, endeten mit Kundgebungen gegen seine Regierung. Besonders Schüler und Studenten sind den Parteimitgliedern auf der Spur und koordinieren sich dabei »ausgezeichnet per E-Mail und SMS«, wie El Pais berichtete.

»Die PP zeigt einen starken Zusammenhalt«, betont Aznar hingegen im Radio Onda Cero. Doch die Parteidisziplin in der PP beginnt zu bröckeln. Der ehemalige Arbeitsminister Manuel Pimentel trat vor zwei Wochen aus der Partei aus, da er den Kriegskurs von Aznar als »historischen Fehler« bezeichnete. Weitere vier PP-Abgeordnete aus Andalusien und Katalonien traten aus dem gleichen Grund von ihren Ämtern zurück. In der südspanischen Gemeinde Jaen stimmten fünf PP-Abgeordnete gegen den Kriegseinsatz, am Wochenende traten in Sevilla vier PP-Stadträte zurück.

In einem Interview erklärte das PP-Vorstandsmitglied Felix Pastor am vergangenen Freitag gegenüber El Mundo, dass er seinem »Lehrling Aznar« den Rücken kehrt, weil »die ganzen christlichen Wählerstimmen durch die gleichgültige Haltung der Regierung zu den Äußerungen des Papstes« verloren gingen. »Bush ist ein gefährlicher Freund«, fügte Pastor hinzu. Aznars Politikstil, kommentierte Anton Costas, Professor an der Universität in Barcelona, »provoziert den Bruch des sozialen Konsenses« und führe zu »politischen und ideologischen Auseinandersetzungen«, wie sie das Land seit 25 Jahren nicht mehr erlebt habe.

Selbst die Linke und ihre Organisationen bleiben von der neuen »Ausnahmesituation« nicht verschont. Die Gewerkschaften UGT und CCOO konnten sich über den für Mitte April geplanten zweistündigen Generalstreik nicht einigen. Nicht etwa die ehemals kommunistische Gewerkschaft CCOO, sondern die sozialdemokratische UGT musste den Streik allein anmelden. Die Basis der CCOO in den Regionalverbänden, so in Asturien und Madrid, kündigte bereits an, »die Entscheidung der Gewerkschaftsspitze nicht anzuerkennen«. Die UGT ruft zu einer eintägigen Arbeitsniederlegung auf, denn »nur der Kollaps des produktiven Systems und des Vertriebs bedeutet wirklich einen Schaden für die Kriegsherren«.