Ein rechter Mann

Der Sieg des Politikers Shintaro Ishihara bei den Wahlen zum Gouverneur von Tokio gilt als sicher. Er hat auch Ambitionen, Premierminister zu werden. von hans martin krämer

Schon 14 Mal seit der Einführung der Direktwahl der Gouverneure trat nur ein Kandidat an und gewann mangels Konkurrenz. Diesmal aber wird es bei den am 13. April gleichzeitig in elf verschiedenen Präfekturen stattfindenden Wahlen auch wichtige Entscheidungen geben, vor allem in der japanischen Hauptstadt.

Der amtierende Gouverneur von Tokio heißt Shintaro Ishihara, und seitdem er ankündigte, wieder zu kandidieren, ist genug Aufregung im Wahlkampf vorhanden.

Wie sonst nur Premierminister Junichiro Koizumi spricht er unumwunden, ohne die Wortverdreherei, die das politische Establishment des Landes so sehr beherrscht. Und was er zu sagen hat, sorgt immer wieder für Empörung.

So begründete er die Notwendigkeit der Selbstverteidigungsstreitkräfte bei einer Manöverübung im April des Jahres 2000 in Tokio auf seine eigene, offen rassistische Art: »Wenn wir uns das heutige Tokio ansehen, dann begehen viele illegal aus drittklassigen Ländern Eingereiste und Ausländer wieder und wieder extrem grausame Verbrechen. Bei derartig völlig neuen Formen von Verbrechen kann man sich vorstellen, dass es zu riesigen Störungen der öffentlichen Ordnung kommt, wenn sich einmal eine große Naturkatastrophe ereignet.«

Internationalen Protest selbst aus der Uno gab es nicht nur wegen des Begriffs »Menschen aus drittklassigen Ländern«, eines japanischen Schimpfworts für Chinesen und Koreaner. Auch die Anspielung auf die »Naturkatastrophe« ist perfide, wurden doch 1923 gerade Koreaner beim verheerenden Erdbeben in Tokio massenhaft zu Opfern von Lynchjustiz. Nicht zuletzt die Ordnungskräfte beteiligten sich, nachdem ein Gerücht in Umlauf geraten war, die koreanische Minderheit wolle das Chaos ausnutzen, um die Regierung zu stürzen.

Dass Ishihara wenig Verständnis für Menschen aufbringt, die nicht so sind wie er selbst, beweist auch ein Interview, das er einer Frauenzeitschrift im November 2001 gab. Dort zitierte er zustimmend die Worte eines Schriftstellers, der geschrieben habe: »Das böseste Übel, das die Zivilisation hervorgebracht hat, sind die Omas. Dass Frauen auch nach dem Verlust ihrer Reproduktionsfähigkeit weiterleben, ist eine Verschwendung und ein Verbrechen.«

Ishihara, den sein Amtsvorgänger Minobe Ryokichi einmal öffentlich als »Faschisten« titulierte, hat seither nicht nur Freunde. Wegen seiner Interviewaussagen verklagten ihn mittlerweile 119 Frauen auf Schmerzensgeld.

In der Bevölkerung ist er dennoch sehr beliebt. Seit seinem Amtsantritt liegt die Zustimmung konstant bei rund 80 Prozent. Im Januar zog er bei der Frage nach dem Wunschkandidaten für den Posten des Premierministers sogar erstmals an Koizumi vorbei.

Die Frage, ob Ishihara eines Tages selbst Ministerpräsident werden will, beschäftigt die innenpolitischen Leitartikel derzeit wie kaum etwas anderes. Die noch vor wenigen Wochen kursierenden Gerüchte, er werde das Rathaus von Tokio verlassen, um eine neue Partei zu gründen, haben sich nach seiner Kandidatur aber zunächst erledigt.

Dass er aber nicht nur Kommunalpolitik machen will, ist schon lange klar. Ishihara war nicht nur von 1968 bis 1995 Parlamentsabgeordneter der Liberaldemokratischen Partei (LDP), sondern er trat vor vier Jahren als Unabhängiger gegen einen Kandidaten der LDP mit dem Wahlslogan an: »Japan von Tokio aus verändern«.

Ohne von der Regierung dazu ermächtigt worden zu sein, betätigt sich Ishihara gerne außenpolitisch. Er reiste zur Amtseinführung des taiwanesischen Präsidenten Chen Shui-bian, und demonstrierte so seine Haltung zur Volksrepublik China.

Komplizierter ist sein Verhältnis zu den USA. Einerseits ist er innerhalb des konservativen Establishments ein dezidierter Kritiker Amerikas. Sein Buch »Das Japan, das ›Nein‹ sagen kann« aus dem Jahr 1989 war eine Kampfansage: Japan müsse den USA als gleichberechtiger Partner nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch etwas entgegensetzen. Im öffentlichen Bewusstsein trägt sein rhetorischer Antiamerikanismus zwar immer noch zu seiner Popularität bei, in der Realpolitik hat er sich den USA aber genähert.

Er unterstützt nämlich, obwohl mehr als 80 Prozent der Bevölkerung den Krieg ablehnen, ausdrücklich den Angriff auf den Irak. Davon verspricht er sich Hilfe der USA beim Umgang mit Nordkorea. Die Entführung von Japanern durch den nordkoreanischen Geheimdienst vor über 20 Jahren (Jungle World, 47/02) ist für ihn nichts anderes als »Terrorismus«. Und darauf, so Ishihara am 24. März in der Washington Post, gebe es nur eine Antwort: »Rache«.

Ist Ishihara ein typischer Rechtspopulist? Seine linksliberalen Kritiker in Tokio mussten zugeben, dass er in den letzten vier Jahren einiges erreicht hat. Er erließ Umweltschutzbestimmungen, die weit strenger sind als die sonst in Japan gültigen. Auch seine Besteuerung der Großbanken, die drei Prozent ihrer Profite abführen müssen, stieß auf Zustimmung und fand sogar Nachahmer in anderen Präfekturen.

Seine zahlreichen Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen hingegen sind das wichtigste Wahlkampfthema seines Gegenkandidaten Wakabayashi Yoshiharu, der für die Kommunistische Partei antritt.

Denn Ishihara steht für neoliberale Politik, er führte eine Eigenbeteiligung von Behinderten bei der Gesundheitsfürsorge ein, kürzte die Gehälter der städtischen Angestellten drastisch und verordnete den städtischen Oberschulen eine wettbewerbsorientierte Strukturreform.

Obwohl weiterhin öffentliche Bauaufträge für sinnlose Prestigeprojekte vergeben werden, präsentiert sich Ishihara erfolgreich als Radikalreformer. »Die japanische Gesellschaftsstruktur ist veraltet, und ich will sie zerstören«, sagte er der Washington Post. »Ich glaube, wenn ich Premierminister würde, wäre das gut für Tokio und für Japan.«

Bevor es so weit ist, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit seine zweite Amtszeit als Gouverneur von Tokio erleben. Sein Sieg gilt als so gewiss, dass ihn die LDP unbedingt unterstützen will, obwohl er die von ihr geführte Regierung ständig angreift.