Falsche Koordinaten

Israel und der Irakkriegvon stefan vogt

Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Antikriegsbewegung oft eine Verbindung zwischen US-amerikanischer Kriegsführung und israelischer Politik konstruiert wird, lässt vergessen, dass gerade Israel durch den Irakkrieg und die damit verbundene Destabilisierung des Nahen Ostens besonders bedroht ist. Bislang sind die schlimmsten Befürchtungen jedoch nicht eingetroffen. Zwar finden in den palästinensischen Gebieten täglich Demonstrationen statt, bei denen zum »Heiligen Krieg« gegen Amerikaner und Zionisten aufgerufen wird, doch die Mobilisierung blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Auch die Zahl der Attentate in Israel hat nicht zugenommen. Genauso wenig kam es zu der von vielen Linken erwarteten Radikalisierung der israelischen Politik. In Israel und den besetzten Gebieten herrscht business as usual.

Dass die Israelis inzwischen versuchen, zur Normalität zurückzukehren, die Abdichtungen an den improvisierten Schutzräumen entfernen und zum Leidwesen der Behörden ihre Gasmasken zu Hause lassen, mag am Fatalismus liegen, den die Geschichte den Israelis aufgezwungen hat. Der vorsichtig optimistische Ton, den linksliberale Medien anschlagen, verdankt sich hingegen einer Analogie zum letzten Golfkrieg. Wie damals, so die Hoffnung der gemäßigten Linken in Israel, könnte die mit dem Irakkrieg verbundene Neuordnung des Nahen Ostens den Friedensprozess wieder in Gang bringen. Als Hinweis darauf wird die Aussage der US-amerikanischen und britischen Regierungen gewertet, dass die road map für den Friedensprozess nunmehr ohne Korrekturen der israelischen Regierung implementiert werden soll.

Doch dieser Optimismus könnte verfrüht sein. Da die US-Regierung die Realisierung des Friedensplans vom Erfolg des neuen palästinensischen Ministerpräsidenten Abu Mazen abhängig macht, wird die rechts gerichtete israelische Regierung alles daran setzen, diesen Erfolg zu verhindern. Darin ist sie mit den Islamisten einig, deren Machtposition ebenso wie diejenige Ariel Sharons von der Fortsetzung des Konflikts abhängt. Ob Abu Mazen selbst willens und in der Lage ist, eine eigenständige Politik nicht nur gegen die palästinensischen Extremisten, sondern auch gegen Yassir Arafat durchzusetzen, ist ebenfalls fraglich.

Der unsicherste Posten in dieser Rechnung jedoch ist die US-Regierung. Denn der »neue Nahe Osten« von George W. Bush ist ein anderer als derjenige seines Vaters. Die heutige US-Regierung sieht ihre Interessen in der Region nicht mehr durch deren innere Stabilität gewahrt. Auch die Sicherheit Israels ist nur ein Kriterium unter vielen. Sowohl die Folgen eines langen Krieges als auch dessen Fortsetzung jenseits des Irak könnten die bisher ausgebliebene Radikalisierung der arabischen Gesellschaften doch noch provozieren.

Zugleich ist ohne die Amerikaner eine friedliche Lösung für den Irak ebenso unmöglich wie für den Nahostkonflikt. Von den kaum vorhandenen emanzipatorischen Bewegungen in den arabischen Ländern ist genau so wenig Gutes zu erwarten wie von einer stärkeren Rolle Europas in der Region, das bereits jetzt sein eigenes hegemoniales Projekt verfolgt. Man muss sich damit abfinden, dass es in dieser Konstellation keine emanzipatorische Perspektive gibt, sondern es einzig und allein darauf ankommt, das Schlimmste zu verhindern. Deshalb muss man, gerade wenn man diesen Krieg ablehnt, einen schnellen Sieg der Amerikaner wünschen. Um dem Nahen Osten eine echte Hoffnung zu geben, müssten sich jedoch die Koordinaten der US-Politik gründlich ändern.