Give PDS a Chance

Die PDS entdeckte auf ihrem »Friedensparteitag« am vergangenen Wochenende ihre Liebe zum »alten Europa«. von ivo bozic
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Die PDS steckt in einem Dilemma. Einst stilisierte sie sich zur einzig wahren Friedenspartei, und nun sind plötzlich fast alle für den Frieden. Aber die PDS hat trotzdem keinen Zulauf. In den Umfragen liegt sie bei drei Prozent der Wählerstimmen, während Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine SPD von ihrem Antikriegskurs profitieren und einen leichten Aufschwung erleben.

Was also tun, fragten sich die Strategen der Partei. Natürlich kann man auf allen Friedensdemos PDS-Fahnen in die Kameras halten. Doch wenn auf diesen Demos auch Fahnen der SPD, der Jusos und der Grünen zu sehen sind, wie inszeniert man da die PDS als die ureigentliche, originäre Mutter aller Friedensbewegungen? Ein öffentlichkeitswirksames Ereignis musste her, bei dem alle Fernsehsender anwesend sind, bei dem alle zuhören müssen. Also berief man einen außerordentlichen Parteitag ein, der nun am vergangenen Samstag in Berlin stattfand.

Leider interessieren sich die Vertreter des Rundfunks und der Presse jedoch nicht mehr so stark für die Meinung der PDS, seitdem sie keine Bundestagsfraktion mehr stellt. So blieb der Presseraum im Kongressgebäude ziemlich leer. Und jene Journalisten, die den Weg zum »Friedensparteitag« gefunden hatten, langweilten sich angesichts der dargebotenen Harmonie.

Vom Kameraassistenten der ARD war zu vernehmen, dass das Mittagsmagazin zwar noch anderthalb Minuten gesendet habe, die »Tagesthemen« den Beitrag jedoch bereits wegen Belanglosigkeit gekippt hätten. Zur Zeit verhandle seine Redakteurin mit der Tagesschau, doch auch da sehe es nicht gut aus.

Vielleicht hätte ein erbitterter Streit in der PDS die Lust auf eine Berichterstattung geweckt. Doch die Partei ist sich einig, gegen den Irakkrieg und überhaupt gegen alle Kriege zu sein, und sie versucht ebenso geschlossen, den Unterschied zur Bundesregierung dadurch zu erklären, dass diese sich eben doch am Krieg beteilige – irgendwie. Ein schwaches Argument, wenn man gleichzeitig immer wieder die Irakpolitik der Bundesregierung lobt. Und das taten die Redner in Berlin ausgiebig.

Es hätte vielleicht eine Debatte, vielleicht auch einen Streit geben können auf diesem Parteitag. Doch Widerspruch, wo er auftrat, wurde unterdrückt oder fiel gar nicht auf. So konnte der Berliner Politikprofessor Elmar Altvater in seinem Gastbeitrag unwidersprochen die rhetorische Frage stellen: »Kann das Gewicht Europas gegen die USA durch den Euro erhöht werden oder wird dazu eine militärische Macht benötigt?« Dieses indirekte Bekenntnis zu einer europäischen Militärpolitik widerspricht zwar der Überzeugung der Partei, aber andererseits waren sich alle Redner darin einig, dass Europa gegenüber den USA nun unbedingt gestärkt werden müsse.

Die Parteivorsitzende, Gabi Zimmer, bisher vor allem für ihre Liebe zu Deutschland bekannt, warb für das »alte Europa«. Es sei »nach den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts kriegsmüde. Es will in Europa – bis auf Ausnahmen – keiner mehr Krieg.« Europa habe gelernt. Europa bedeute heute: Nie wieder Krieg!

Man könne sich daher jetzt viel positiver auf Europa beziehen, als die Nationalistin Zimmer das noch vor einiger Zeit tat. Dass ihre plötzliche Liebe zu Europa jedoch vor allem von ihrer Ablehnung der USA herrührt und darüber hinaus kaum intellektuell begründet ist, zeigte ihr Versuch, die Geschichte Europas zusammenzufassen: »Europa ist alt. Richtig. Seine Wurzeln reichen bis in die Steinzeit. Und bis in das Zweistromland.« Das war kein Versprecher. So stand es auch im Manuskript. Immerhin lehnte Zimmer jeden Aufbau einer europäischen Militärmacht ab.

Der ehemalige Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch meinte, ein starkes Europa müsse das Anliegen der Linken sein. Europa brauche politische Macht und politischen Einfluss, daher sei auch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nötig. Das hatte auch Gregor Gysi ein paar Tage zuvor bereits im Neuen Deutschland gefordert.

Entschieden gegen eine EU-Armee sprach sich Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform (KPF) aus, die ansonsten vortrug, dass es der Kapitalismus sei, der für all jene »Kinderschreie« und »blutigen Leiber« in Bagdad verantwortlich sei. Dass jedoch auch im Irak des Saddam Hussein nichts anderes als der Kapitalismus herrschte, erwähnte sie nicht.

Ausgerechnet André Brie, der Europaabgeordnete der PDS, übertrumpfte die KPF in dieser Frage. Er erklärte, bei diesem Krieg gehe es auch um »die Expansion des Kapitalismus in jeden Winkel der Gesellschaft und des Erdballs, die der Kapitalverwertung und Kommerzialisierung bisher noch nicht unterworfen waren«. Kapitalismus und Amerika sind für ihn offensichtlich Synonyme.

Und das merkwürdige Bild des Ölstaats Irak als letzten vom Weltmarkt verschonten Winkels der Erde dürfte vor allem den anwesenden Vertreter der Irakischen Kommunistischen Partei gewundert haben.

Offenbar hat Brie bei seinem Besuch im Irak vor ein paar Wochen weniger auf die gesellschaftliche Realität geachtet denn auf die »wunderschönen dunklen Augen der irakischen Kinder«, von denen er berichtete, um sie als Argument für die Aufhebung des Embargos anzuführen.

Selbstverständlich bemühten sich alle Redner, sich zumindest mit ein paar Halbsätzen auch von Saddam Hussein zu distanzieren und bezeichneten ihn als Diktator und Verbrecher. Es blieb jedoch dem irakischen Kommunisten Hassan Akif vorbehalten, etwas ausführlicher die Schrecken des Ba’ath-Regimes zu schildern und über die Perspektiven des Irak nach einer »Befreiung« nachzudenken.

Ganz andere Sorgen machte sich Wolfgang Ullmann. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen veranstaltete ein kleines Hearing am Rande des Parteitages, bei dem er seine Sorge um die Kulturgüter des Irak ausdrückte und die Verlegung des Sitzes des UN-Sicherheitsrats von New York nach Wien oder Helsinki forderte.

Neben recht unspektakulären Leitanträgen des Bundesvorstands, in denen ein sofortiges Ende des Krieges gefordert und jede deutsche Beteiligung abgelehnt wurde, beschloss der Parteitag auch einen bemerkenswerten Antrag des Netzwerks Reformlinke in der PDS. Darin wurde gefordert, dass alle Gliederungen der PDS künftig darauf hinwirken sollten, »dass Neonazis nicht an Antikriegs-Bündnissen und -Demonstrationen teilnehmen dürfen«. Der Hintergrund hierfür war ein offener Brief des Antifaschistischen Infoblatts an die Friedensbewegung, in dem unter anderem von einem Vorfall während der Demonstration in Greifswald berichtet wurde, als Funktionäre der PDS Antifaschisten daran gehindert hätten, Neonazis die Transparente abzunehmen und sie aus der Demo zu entfernen. Die Begründung der PDS-Leute soll gelautet haben: »Wir brauchen jeden gegen den Krieg« (siehe Seite 12). Es soll inzwischen mehrere vergleichbare Fälle gegeben haben.

Dass der Antrag bei einigen Enthaltungen einstimmig angenommen wurde, überraschte. Sonja Kiesbauer, eine der Initiatorinnen des Antrags, hatte am Rande des Parteitages durchaus gemischte Reaktionen erlebt. Schließlich beschäftigte sich das Papier auch mit Antiamerikanismus und Antisemitismus. Kiesbauer sagte der Jungle World: »Die PDS muss endlich über Antiamerikanismus reden.« Er habe im Osten ganz bestimmte historische Gründe, und spätestens jetzt komme man nicht mehr darum herum, endlich die Diskussion darüber zu eröffnen.