Wer mit wem

Zwei 1.-Mai-Bündnisse streiten sich um die richtige Demo. Die Nachfolgegruppen der AAB konkurrieren mit. von ivo bozic
Von

Der 1. Mai ist für die linksradikale Szene in Berlin so etwas wie das Pokalfinale in Sachen Politik. Wer hier siegt, hält für ein Jahr den Titel. Gemeint ist aber nicht der Sieg im ritualisierten Straßenkampf zwischen Autonomen und der Polizei, sondern im Konkurrenzkampf der verschiedenen Demo-Bündnisse. Nachdem die Szene im vergangenen Jahr den Rekord von drei 1. Mai-Demos schaffte, sind es in diesem Jahr wieder zwei: eine von den stalinistischen Revolutionären Kommunisten (RK) und anderen ML-nahen oder klassisch antiimperialistischen Gruppen dominierte Demo, die um 15 Uhr beginnt, und eine von undogmatischen autonomen und gemäßigt antideutschen Gruppen getragene um 18 Uhr.

Interessant ist, dass die beiden aus der kürzlich erst aufgelösten Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) hervorgegangenen neuen Gruppen nicht zusammen demonstrieren werden. Während die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) das traditionslinke Kreuzberger 15-Uhr-Bündnis unterstützt, mobilisiert Kritik & Praxis Berlin (KP) wie im vergangenen Jahr um 18 Uhr zum Rosa-Luxemburg-Platz. Doch weder die ALB noch die KP Berlin dürften über die nun entstandene offene Konkurrenz zwischen den beiden Teilen der AAB besonders glücklich sein.

Während dem einen Bündnis vorgeworfen wird, von ML-Sekten dominiert zu werden, gilt das andere den Antiimperialisten wiederum als zu antideutsch. Mit den beiden ehemaligen AAB-Gruppen haben diese Charakterisierungen zwar wenig zu tun, jedoch droht ein inhaltliches Auseinanderdriften durch die Konkurrenz um den 1. Mai in eben jene Lager, die zur Zeit eher Zuschreibungen von außen sind als selbst gewählte Positionierungen.

Im vorigen Jahr gab es erstmals drei Demos, nachdem die AAB das zivilgesellschaftliche »Personenbündnis zur Repolitisierung des 1. Mai« des FU-Professors Peter Grottian unterstützt und den Unmut ihrer früheren Bündnispartner, darunter das Gegeninformationsbüro und die Autonomen Kommunisten, auf sich gezogen hatte. Diese riefen daraufhin zu einer eigenen Demo um 16 Uhr auf. Die RK veranstalteten ihre eigene Demo um 13 Uhr. 1992 hatten sie sich brutal mit Stangen und Latten in die 1. Mai-Demo hineingeprügelt und wurden seitdem von der Szene boykottiert.

Dass sich in diesem Jahr die RK und das 16-Uhr-Bündnis des Vorjahres zusammentun, hat durchaus seine Logik. Zum einen dominieren in beiden Gruppen klassisch antiimperialistische Vorstellungen und zum anderen brachten es beide Demos nicht gerade zu spektakulären Teilnehmerzahlen. Außerdem lebten beide von der Abgrenzung zur AAB. Während die RK ihr Sexismus vorwarfen, unterstellte das 16-Uhr-Bündnis der AAB, durch die Kooperation mit Grottian zur Befriedung des 1. Mai beizutragen. Dass einige für die AAB-Politik des vergangenen Jahres verantwortliche Personen nun auch in der ALB und somit im 15-Uhr-Bündnis aktiv sind, scheint dieses Mal weder die RK noch das ehemalige 16-Uhr-Bündnis zu stören. Hauptsache, man nutzt die Gunst der Kriegsstunde, um die Szene noch tiefer zu spalten und sich radikal von jeder auch nur andeutungsweise antideutsch argumentierenden Linken abzugrenzen. Die durch den Eindruck der friedensbewegten Massen ausgelöste linke Mobilisierungseuphorie scheint dazu zu führen, dass sich die antiimperialistische Linke derzeit keine Sorgen um Bündnisse macht.

Daher ist auch mit einigem Zulauf zur Demo um 15 Uhr zu rechnen. Da ihr Hauptthema der Irakkrieg sein wird – das Motto lautet: »Gegen Krieg nach außen und innen« –, wird man wohl nicht nur die übliche Kreuzberger Klientel vorfinden, sondern auch Teile der neuen deutschen Friedensbewegung. Da wird es die 18-Uhr-Demo schon schwerer haben mit ihrem kryptischen Motto: »Don’t fight the players – fight the game!«

Dass die undogmatische ALB und übrigens auch die Ökologische Linke entschieden, lieber das Antiimp- als das 18-Uhr-Bündnis zu unterstützen, erklärt der Sprecher der ALB, Michael Kronewetter, damit, dass man schon als AAB eigentlich immer eine einzige gemeinsame Demo gewollt habe, aber in der Vergangenheit vor allem an den »verbretterten« RK gescheitert sei. Eine eigenständige 18-Uhr-Demo in diesem Jahr bezeichnet Kronewetter als »politisch fatal«, weil nur der »Kurs auf Abgrenzung gegenüber anderen Linken« festgeklopft werde, »ausgerechnet in Zeiten verschärfter Repression und Krieg«. Die Sorge, im 15-Uhr-Bündnis von politisch fern stehenden Gruppen vereinnahmt zu werden, habe man nicht: »Es gibt eine gemeinsame Demo, mehr Zusammenarbeit gibt es nicht.« Im Bündnis konnte die ALB immerhin erreichen, dass sie eine halbe Stunde des Auftaktprogramms völlig autonom gestalten darf.

Auch die KP Berlin ist im Zuge des Konkurrenzkampfes um den Tag der Arbeit bereits kräftig in die Kritik geraten. Zwar gelang es ihr, neben einzelnen antideutschen Gruppierungen auch traditionelle autonome und antifaschistische Gruppen wie die Ajak, die Autonome Antifa Nordost, U7 und Subkutan ins Boot zu holen, doch bereits jetzt wird das Bündnis auf Indymedia als ein »Haufen von Bellizisten und Sharon-Linken« beschimpft. Dabei ist die Ablehnung des Krieges auch im 18-Uhr-Bündnis Konsens. In einer Presseerklärung heißt es: »Unsere Kritik gilt einem aus Hegemonialinteressen geführten Krieg und einem aus Hegemonialinteressen beschworenen Frieden. Denn der Frieden, der derzeit von der Bundesregierung bis hin in alle politischen Lager gefordert wird, bedeutet nichts anderes, als die reibungslose Exekution kapitalistischer Verhältnisse.«

Auf die Frage, warum sich die Gruppen des 18-Uhr-Bündnisses nicht als undogmatischer Block an der Nachmittagsdemo beteiligen wollen, erklärt Juri Benjamin, der Sprecher der KP: »Unsere Absicht war, mit der 18-Uhr-Demo an die Mobilisierungen der AAB in den letzten Jahren anzuknüpfen.« Außerdem wolle man »linksradikale Kritik in die Mitte und nach Mitte tragen«, weshalb die Demo vom Rosa-Luxemburg-Platz am Auswärtigen Amt vorbei nach Kreuzberg führen solle. Benjamin bedauert, dass sich die ALB nicht an dieser Demo beteilige. Jetzt könne er ihr nur noch wünschen, sich mit ihren Inhalten bei der Demo um 15 Uhr durchzusetzen.

Weil Inhalte am 1. Mai aber sowieso nur eine untergeordnete Rolle spielen und für die Mobilisierung praktisch irrelevant sind, versuchen beide ehemaligen AAB-Gruppen, ihre bewährte Pop-Politik weiterzuführen. Große Trucks sollen um 15 wie um 18 Uhr die Demos begleiten und bekannte Musikbands das Publikum anlocken.

Während sich die linksradikale Szene weiter behakt, hält sich Peter Grottian in diesem Jahr dezent zurück. Er konzentriere sich, sagte er der Jungle World, wie in den Jahren zuvor auf eine ganz schlichte, aber wichtige Aufgabe: Er koordiniert ein Team von unabhängigen Demo-Beobachtern, um Polizeiübergriffe zu verhindern oder zumindest zu dokumentieren.

Das jedenfalls kann nicht verkehrt sein.