The Day After

Debatte in der US-Friedensbewegung von tobias rapp

Es muss ein frustrierender Tag gewesen sein. Wochenlang hatte die Antikriegsorganisation Answer Coalition für eine Demonstration vor dem Weißen Haus mobilisiert. Als der Krieg ausgebrochen war, hatte auch mehr als eine halbe Million den Weg auf die Straßen New Yorks gefunden. Doch einen Tag bevor es zum Weißen Haus gehen sollte, fiel in Bagdad die Statue Saddam Husseins. Es kamen nur wenige tausend Menschen.

Auf den ersten Blick ist es ruhig geworden um die amerikanische Antikriegsbewegung. War sie in den Wochen vor dem Krieg tatsächlich zu einer auch in der Mainstream-Öffentlichkeit sichtbaren Kraft geworden, so taugt sie jetzt bestenfalls noch für boshafte Scherze darüber, dass all ihre Prognosen über unzählige Tote unter der irakischen Zivilbevölkerung und ein drohendes zweites Vietnamdebakel nicht eingetroffen seien.

Doch dieser Eindruck täuscht. Im allgemeinen Siegesgetöse mögen die Stimmen vielleicht nicht hörbar sein, doch die Antikriegsbewegung ist weder verschwunden noch sonderlich ratlos. Sie ist nur dabei, ihre zukünftigen Ziele zu diskutieren, nachdem der Krieg so gut wie vorbei ist. Sie weiß von ihrer organisatorischen Kraft. Die Frage ist nun, wofür diese Kraft eingesetzt werden soll.

Grob umrissen gibt es zwei Positionen, die einander zwar nicht widersprechen, aber doch für unterschiedliche Prioritäten stehen. Da gibt es die Gruppen, die eher der Antiglobalisierungsbewegung nahe stehen und die die internationale Vernetzung, die in den vergangenen Monaten erreicht worden ist, nutzen wollen, um weiter gegen das imperiale Projekt der US-Administration mobil zu machen. Sie planen Aktionen gegen die Militärmaschinerie und gegen die Unternehmen, die von der Niederlage des Irak profitieren werden. Auch in den Mittleren Osten gelte es nun die Fühler auszustrecken, denn wolle man den nächsten Krieg verhindern, reiche es nicht aus, im letzten Augenblick als menschliche Schutzschilde in das jeweilige Land zu reisen, schreibt etwa die Antikriegsaktivistin Medea Benjamin in der aktuellen Ausgabe der linksliberalen Zeitung The Nation.

Die gemäßigteren Gruppen setzen innenpolitische Prioritäten. Die Bush-Administration hat den Krieg geführt, also muss alles daran gesetzt werden, sie abzuwählen und die Demokraten von links unter Druck zu setzen. Im Herbst 2004 sind Präsidentschaftswahlen, und tatsächlich sind die Chancen der amerikanischen Linken, Einfluss zu nehmen, gar nicht schlecht. Nicht nur, weil sie in den vergangenen Monaten ihre Fähigkeit zur Mobilisierung unter Beweis gestellt und sich in der Antikriegsbewegung ein äußerst breites Netzwerk von politischen Gruppen zusammengefunden hat, deren kleinster gemeinsamer Nenner eben nicht nur die Ablehnung des Krieges, sondern auch die Gegnerschaft zur Bush-Regierung ist.

Mit dem New Yorker Reverend Al Sharpton hat sich auch ein dezidiert linker Kandidat für die demokratischen Vorwahlen angemeldet. Auch wenn seine Chancen, tatsächlich nominiert zu werden, denkbar gering sind, wird Sharpton versuchen, die amerikanische Linke wieder an die Demokraten anzubinden – etwas, das bei der letzten Wahl vollkommen schief ging, als mit Ralph Nader ein unabhängiger Kandidat antrat, der Al Gore die paar Stimmen abnahm, die ihm zum Sieg hätten verhelfen können. Sharpton könnte die Demokraten durchaus ein Stück nach links ziehen. In der Vergangenheit waren es allerdings nicht selten demokatische Präsidenten, die einen Krieg begannen, den dann ein Republikaner beendete.