Vor der Eurogrenze

Die EU zeigt wenig Interesse, neben Slowenien weitere ehemals jugoslawische Republiken aufzunehmen. von markus bickel, dubrovnik

In den Staaten des ehemaligen Jugoslawien ist der Begriff fast so diskreditiert wie das Wörtchen Kommunismus. Regierungssprecher, Wirtschaftsvertreter und einfache Leute schreien auf, wenn sie auf die Chancen einer »Reintegration« der vor mehr als einem Jahrzehnt unabhängig gewordenen Republiken angesprochen werden. Einen erneuten Zusammenschluss mit Serbien, und sei es nur in Form einer südosteuropäischen Freihandelszone, will in Bosnien, Mazedonien oder Kroatien nach den von Belgrad angezettelten Kriegen der neunziger Jahre niemand. Lieber wartet man in Sarajevo, Skopje und Zagreb noch zwei oder drei Jahre länger auf den Anschluss an die EU, als am Ende gemeinsam mit Belgrader Politikern in Brüssel um den Beitritt zum wichtigsten Wirtschaftsblock der Welt betteln zu müssen.

Entsprechend groß war die Empörung, als der griechische Außenminister Georgius Papandreou den Beginn der EU-Ratspräsidentschaft seines Landes mit einem Vorschlag einleitete, der Sozialisten in Südosteuropa mehr als ein Jahrhundert lang umgetrieben hatte: der Schaffung einer Balkan-Föderation von Ljubljana im Norden bis Athen im Süden.

»Die Staaten des Balkan brauchen eine Zukunft in Europa, und wir werden während unserer Präsidentschaft alles dafür tun, den Annäherungsprozess der Region an die EU-Institutionen voranzutreiben. In Griechenland ist deshalb in jüngster Zeit häufiger über eine Balkan-Föderation diskutiert worden«, erklärte Papandreou an Silvester 2002 und hatte sogleich den Protest der mazedonischen Regierung am Hals.

Von Papandreous »Vision aus der Vergangenheit, die auch in der Zukunft für Stabiliät in der Region sorgen« könne, hielt man in Skopje gar nichts. Entscheidend für eine rasche Annäherung an die Institutionen der EU sei allein die regionale Zusammenarbeit der Staaten Südosteuropas. »Wir sind fest entschlossen, den Frieden zu wahren, gutnachbarschaftliche Beziehungen zu pflegen und umfassenden Wohlstand für die Region zu erzielen«, sagte zwar auch Svetozar Marovic, Präsident von Serbien und Montenegro, auf einem Gipfeltreffen der südosteuropäischen Staaten Anfang April in Belgrad. Doch außer wohlmeinenden Absichtsichtserklärungen ist bislang nicht viel geschehen.

Knapp vier Monate nach Papandreous seitdem nicht mehr wiederholtem Vorschlag sind die ehemaligen jugoslawischen Republiken weiter von der Bildung einer Föderation entfernt als je zuvor. Während die slowenische Regierung voller Zuversicht der Aufnahme in die EU im Mai kommenden Jahres entgegenblickt, herrscht in den südlichen Republiken des früheren Jugoslawien Katerstimmung.

Wirklich genützt hat die griechische Ratspräsidentschaft bislang erst einer von ihnen, und auch da ist der Ausgang ungewiss. Kroatiens Ministerpräsident Ivica Racan ließ die Amtszeit Dänemarks an der Spitze des Rats in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres bewusst verstreichen, ehe er im Februar in Athen endlich den schon von dem ehemaligen Präsidenten Franjo Tudjman angestrebten EU-Aufnahmeantrag seines Landes einreichte.

Von der griechischen Exekutive erhofft Racan sich mehr Verständnis für das Beitrittsgesuch als vom rechten Regierungsbündnis in Kopenhagen; insgeheim rechnet man in Zagreb damit, die Beitrittsverhandlungen bis 2006 abschließen zu könnnen und möglicherweise bereits ein Jahr später gemeinsam mit Rumänien und Bulgarien in den Euro-Block aufgenommen zu werden.

Ein Optimismus, der in Brüssel nicht nur wegen der mangelnden kroatischen Kooperation mit dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kaum geteilt wird. Eigentlich sollten die wegen Verbrechen während des Kroatienkrieges angeklagten Generäle Janko Bebetko und Ante Gotovina längst nach Den Haag ausgeliefert worden sein, doch wegen innenpolitischen Drucks rechter Veteranenverbände bezieht die sozialdemokratische Regierung Racans bis heute eine sehr ambivalente Haltung gegenüber dem Uno-Tribunal, die kaum dazu angetan ist, den EU-Beitrittsprozess zu beschleunigen.

So hält sich auch Erhard Busek, der als Leiter des Stabilitätspakts für Südosteuropa direkt mit der wirtschaftlichen Stärkung der EU-Aspiranten befasst ist, gegenüber der Jungle World merklich zurück. »Ich bin mit der Nennung von Daten äußerst vorsichtig, weil die Versuchung sehr groß ist, Termine anstelle von Taten zu setzen. Unbestritten aber ist, dass diese Perspektive bald eröffnet werden muss.«

Doch darüber, ob es wirklich Teil der EU-Strategie sein soll, den im kommenden Frühjahr auf 25 Staaten anwachsenden geostrategischen Block weiter zu vergrößern, herrscht zwischen den nationalstaatlichen Vertretern in Brüssel mehr als Dissens.

Wegen der mangelnden Kooperation mit Den Haag haben Großbritannien und die Niederlande die Ratifizierung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Kroatiens mit der EU bereits Ende letzten Jahres suspendiert. Vor dem Aufnahmeantrag stellt dieser Vertrag die letzte Stufe des Annäherungsprozesses dar. Ein Vorgehen, das von Busek ebenso wenig geteilt wird wie von seinem österreichischen Landsmann Wolfgang Petritsch, der bis vor einem Jahr als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina tätig war und der kurz vor seinem Abschied aus Sarajevo immerhin die Aufnahme des Landes in den Europarat miterleben durfte.

Während Österreich und Deutschland die EU-Assoziierung vor allem als politisches Instrument begreifen, das ungeachtet mangelhafter wirtschaftlicher Rahmendaten für Stabilität in der Region sorgen soll, halten die nordischen Länder die Einhaltung strenger ökonomischer Vorgaben für unabdingbar, um die EU auf Dauer nicht zur unverbindlichen Plauderversammlung verkommen zu lassen.

Sollte sich London mit seiner Haltung durchsetzen, wird so schnell nichts aus den Europa-Ambitionen in Zagreb: Der EU-Gipfel in Kopenhagen und der Nato-Gipfel in Prag haben deutlich gemacht, dass der Abstand Kroatiens zu erfolgreichen Staaten der ersten Erweiterungsrunde wie Ungarn und Slowenien weitaus größer ist als zu Rumänien und Bulgarien, den beiden ökonomisch schwächelnden Staaten des östlichen Balkans also, denen in Kopenhagen die Mitgliedschaft 2007 in Aussicht gestellt wurde.

Mehr schmerzen dürfte die Regierung in Zagreb jedoch die in Kopenhagen getroffene Einordnung in die Ländergruppe »westlicher Balkan«, was der symbolischen Wiedervereinigung mit Serbien-Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Albanien gleichkommt.

Zwar hoffen Racan und seine Minister darauf, nach der Unterzeichung eines entsprechenden Abkommens in Dubrovnik Anfang März gemeinsam mit Albanien und Mazedonien bereits 2006 in die Nato aufgenommen zu werden. Doch die Zuneigung Washingtons in militärischen Dingen hilft bei der Integration in die Europäische Union nur wenig weiter.