Ausverkauf der Hängematten

Die Spielräume für individuelle Strategien, das Glücksversprechen der bürgerlich- kapitalistischen Gesellschaft einzulösen, sind eng geworden. von benjamin kaminski

Die Arbeitsberaterin möchte ihren »Kunden« Florian G. gerne persönlich kennen lernen und lädt ihn deshalb ins Berliner Arbeitsamt Südwest zu einem Gespräch. Florian G. wartet mit weichen Knien auf dem Flur. Seit wenigen Wochen sind die Hartz-Gesetze in Kraft. Sicher wird sie fragen, ob er sich auch oft genug beworben hat. Um dann die Katze aus dem Sack zu lassen: »Ich hätte da einen wunderbaren Job im bayrischen Passau als Waldpfleger für Sie.« Dann könnte er nur noch neinsagen, und aus und vorbei wäre das Leben von der Stütze.

Seit fast zehn Jahren lebt Florian G. von den verschiedenen »Stipendien« der »Stiftung Jagoda«, wie er das Arbeitsamt unter seinen akademischen FreundInnen zu nennen pflegt. Nach dem Arbeitslosengeld gab es für zwei Jahre eine selbst geschaffene Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM), dann wieder Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, eine Strukturanpassungsmaßnahme (SAM) und schließlich eine einjährige Weiterbildung zum Online-Redakteur. Seit zwei Jahren ist er wieder mehr oder weniger glücklicher Erwerbsloser.

Nicht dass er nur faulenzen würde, er tut sogar gesellschaftlich Sinnvolles, aber für diese Tätigkeiten hat er nur Zeit, solange ihn das Arbeitsamt »quersubventioniert«. Viele Projekte im sozialen oder Gesundheitsbereich, politische und alternative Initiativen, aber auch ganz gewöhnliche kommunale Einrichtungen können nur existieren, weil sie zu einem kreativen und flexiblen Gebrauch der verschiedenen Förderprogramme des Arbeitsamtes in der Lage sind. Nach den Regeln des Marktes schaffen sie einfach nicht genug Wert. Und genau diese gesellschaftlichen Bereiche geraten durch die Maßnahmen der rot-grünen Bundesregierung in arge Schwierigkeiten.

Mit dem Schlimmsten rechnend, atmet Florian G. noch einmal tief durch und betritt das Zimmer der Arbeitsberaterin. Sie steht möglicherweise auch unter Stress, wohl wissend, dass die Anzahl der Angestellten des Arbeitsamtes von 90 000 auf gut die Hälfte reduziert werden soll. Aber sie lässt sich nichts anmerken.

Florian G. breitet offensiv die nicht mal erschummelten Beweise für seine vergeblichen Bemühungen um einen existenzsichernden Job auf dem ersten Arbeitsmarkt aus. »Unter den über 300 Bewerbern konnten wir Sie leider nicht berücksichtigen«, steht in einem Ablehnungsschreiben. Über 1 000 Menschen hätten sich auf eine ausgeschriebene Redakteursstelle bei Literaturen beworben, kann er ihr berichten und erzählt weiterhin von einer gescheiterten Bewerbung in Potsdam. Dabei betont er den Namen der Stadt so, als ob sie südlich von Freiburg läge, um zu zeigen, dass er total flexibel und einsatzbereit ist. Die Arbeitsberaterin findet in ihrem Computer auch kein geeignetes Stellenangebot. Nicht mal einen Job als Waldpfleger. »Glück gehabt«, denkt Florian G., »jetzt kann ich ja wieder gehen.« Doch so schnell lässt ihn die Arbeitsberaterin nicht laufen. Ob er schon mal was von den neuen Ich-AGs gehört habe?

Die Ich-AG ist das einzige Förderprogramm des Arbeitsamtes, das zur Zeit ausgeweitet wird. Alle anderen, insbesondere ABM und SAM, werden radikal gekürzt. Die Bundesanstalt für Arbeit würde sie anscheinend am liebsten ganz abschaffen, nur der Aufschrei ostdeutscher Politiker hindert sie bisher daran. So wurden die Mittel in diesem Jahr um durchschnittlich 20 bis 30 Prozent gekürzt, je nach Region. Wenn schon ein »zweiter Arbeitsmarkt«, dann soll er »ehrlich aus Steuermitteln finanziert werden«, fordert die Bundesanstalt.

Fort- und Weiterbildungen bezahlt das Arbeitsamt nur noch, wenn als erwiesen gilt, dass über 70 Prozent der TeilnehmerInnen anschließend in eine sozialversicherungspflichtige Stelle vermittelt werden können. Im Osten der Republik trifft das auf 28 Prozent der Maßnahmen zu. Sogar bereits gestartete Kurse stoppte das Arbeitsamt.

Das neue Ziel der Bundesanstalt für Arbeit ist um jeden Preis die Eingliederung ihrer »Kunden« in den ersten Arbeitsmarkt. Die Finanzierung von »sozialpolitisch motivierten Maßnahmen« gehöre nicht zu ihrem orginären Auftrag. Alle sollen raus aus der sozialen Hängematte und, wenn es keine Jobs gibt, rein ins kalte Wasser der neuen Selbstständigkeit. Also Ich-AG. Drei Jahre lang zahlt das Arbeitsamt monatliche Zuschüsse. 600 Euro im ersten Jahr, 360 im zweiten und immerhin noch 240 in dritten Jahr, heißt es in den einschlägigen Broschüren. Doch unterm Strich ist alles zusammen kaum mehr, als ein Arbeitsloser bisher für ein halbes Jahr als Überbrückungsgeld auf dem Weg in die Selbstständigkeit erhalten konnte. Wirklich neu ist nur, dass man kein Wirtschaftlichkeitsgutachten mehr vorlegen muss und somit für die skurrilsten Ideen Platz ist. Die meisten denken dabei an kleine Läden, aber nicht nur Berlin ist schon voller Stehimbisse und Zeitungskioske. Bleibt die Hoffnung, als Eventmanager oder Partyscout die Nische zu entdecken, in der es sich leben lässt.

25 000 Euro darf man im Jahr dazu verdienen, ohne die Förderung zurückzahlen zu müssen. Das dürfte kein Problem darstellen bei der großen Nachfrage im Land. Dumm ist jedoch, dass der Zuschuss fast vollständig für die Sozialversicherung draufgeht, da »selbstständig auch bedeutet, selbst für soziale Absicherung zu sorgen«, wie das Bundeswirtschaftsministerium auf seiner Internetseite betont. Nur in »eigenkreativen Berufen« Tätige wie Journalistinnen oder Künstler, die sich bei der Künstlersozialkasse versichern können, ist das anders.

Beim Inhaber eines Stehcafés oder einer kleiner Handwerkerin gehen von den 600 Euro mindestens etwa 230 Euro (im Westen) für die Rentenversicherung und ungefähr 190 Euro für die Kranken- und Pflegeversicherung verloren. Da bleibt nicht viel übrig.

Als Florian G. seine Arbeitsberaterin fragt, was denn passiert, wenn eine Ich-AG pleite macht, weiß sie keine Antwort. Selbst die Telefon-Hotline des Arbeitsamtes (01805 - 22 00) muss passen: »Da kann ich Ihnen keine hundertprozentige Auskunft geben, da müssen sie Ihr regionales Arbeitsamt fragen.« Die Antwort findet man nach langem Suchen auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums. Von BezieherInnen von Arbeitslosengeld kann der Anspruch noch vier Jahre nach Beginn der Arbeitslosigkeit geltend gemacht werden, von BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe »bis zu drei Jahre nach dem letzten Bezugstag« der Arbeitslosenhilfe. Fragt sich nur, ob es dann die Arbeitslosenhilfe noch gibt. Sie soll nämlich mit der Sozialhilfe zu einem Arbeitslosengeld II zusammengefasst werden.

Für einige seiner FreundInnen, die Sozialhilfe oder nur wenig Arbeitslosenhilfe beziehen, würde die Pauschale von 610 Euro sogar einen Aufstieg bedeuten. Florian G. ist wichtig, was zukünftig angerechnet wird, denn viel mehr Stütze bekommt er zur Zeit auch nicht. Darf man pro Lebensjahr 200 Euro Erspartes behalten, wie die derzeitige Regel bei der Arbeitslosenhilfe lautet, oder ist wie beim Sozialamt bei 1 250 Euro Schluss? Wie werden die Einkommen von Lebenspartnern angerechnet? Über all diese Fragen wird zur Zeit hinter den bürokratischen Kulissen diskutiert.

So oder so bleibt die Hoffnung, dass sich das Arbeitsamt in Zukunft doch darauf konzentriert, die »arbeitsmarktnahen und teuren Arbeitslosen« zu vermitteln, wie es angekündigt, aber genauso schnell wieder dementiert wurde. Zu denen gehört Florian bestimmt nicht. Vielleicht lassen sie ihn einfach in Ruhe, weil es keine Jobs gibt. Und wenn die Grenze für den »geringfügigen Nebenverdienst« von derzeit 165 Euro noch angehoben wird, wäre für ihn das Arbeitslosengeld II schon fast eine Art bescheidener Grundsicherung.