Mao gegen Vishnu

Nach dem blutigsten Jahr in Nepals Bürgerkrieg haben die Guerilla und die Regierung nun Verhandlungen aufgenommen. von torsten otto

Eine »herzliche« Atmosphäre war alles, was die Unterhändler am Ende der fünfstündigen Gespräche am 27. April feststellten. Drei Monate nach dem Beginn des Waffenstillstands zwischen der Guerillabewegung Communist Party of Nepal-Maoist und der Regierung fehlt weiterhin ein Plan, welche Themen in welcher Reihenfolge verhandelt werden sollen. Selbst der nächste Gesprächstermin steht nicht fest.

Der wichtigste Erfolg seit dem Beginn des Waffenstillstands Ende Januar besteht darin, dass es entgegen weit verbreiteten Befürchtungen, die maoistische Parteiführung habe nur sehr begrenzten Einfluss auf ihre Feldkommandeure, zu keinen Gefechten gekommen ist. Ende März hat die Regierung zudem das wichtigste Sprachrohr der Maoisten, die Tageszeitung Janadesh, wieder zugelassen. Sie war im November 2001 verboten und ihre Mitarbeiter waren inhaftiert worden. Der Chefredakteur starb im Polizeigewahrsam, vermutlich zu Tode gefoltert.

Die Delegation der CPN-Maoist, die jetzt mit der Regierung verhandelt, wird von Baburam Bhattarai geleitet, dem Theoretiker der Partei. Der Gegenregierung unter seinem Vorsitz untersteht etwa ein Drittel des Landes, jedoch keines der Distriktzentren. Die Delegation der Regierung leitet der Vizepremier Badri Prasad Mandal. Ihn begleiten fünf weitere Minister und eine Staatssekretärin, darunter Gesundheitsminister Upendra Devkota, Ende der sechziger Jahre Schulfreund und Rivale des Klassenbesten Bhattarai.

Der schwierigste Punkt in den ersten Verhandlungen wird die vereinbarte Freilassung der Gefangenen sein. Denn die Behörden haben formell nie Kriegsgefangene gemacht. Ihre Kritiker hat die Regierung entweder gemäß dem neuen Terrorismusgesetz oder den bestehenden Präventivhaftgesetzen inhaftiert. Viele weitere Gefangene haben nie die Gründe ihrer Inhaftierung erfahren oder sind ohne jedes Verfahren in Kasernen interniert.

Die Aufständischen hingegen haben ihre Gegner nicht inhaftiert, sondern vertrieben, und mehrere hundert ermordet. Funktionäre der parlamentarischen Parteien, die als Informanten der Behörden galten, Lehrer, die für das staatliche Bildungssystem haftbar gemacht wurden, Grundbesitzer und zahllose Unbeteiligte, von beiden Seiten eingeschüchtert, sind in die Distrikthauptstädte oder ins Kathmandu-Tal geflohen. Über 7 000 Menschen starben in dem seit 1996 andauernden Bürgerkrieg, die meisten von ihnen im letzten Jahr.

Zum Waffenstillstand hat beide Seiten die Einsicht bewegt, dass die Kontrolle des gesamten Landes auf absehbare Zeit militärisch nicht zu erreichen ist. Die Regierung musste erkennen, dass sie auch beim Einsatz aller Streitkräfte nur die städtischen Zentren kontrollieren kann, trotz der Entsendung von Strafkommandos in die Dörfer. Die meisten Gegenden sind nur zu Fuß erreichbar. Das macht den technischen Vorsprung der regulären Streitkräfte oft zunichte. Mit der Ermordung des Chefs der paramilitärischen Polizei haben die Maoisten Mitte Januar zudem gezeigt, dass der Bürgerkrieg auch die bisher nur durch gelegentliche Generalstreiks belästigten Ministerialbeamten in der Hauptstadt betrifft. Dazu kommt der Niedergang des wichtigsten Devisenbringers, des Tourismus. Im letzten Jahr wurden 20 Prozent weniger ausländische Besucher gezählt.

Die Maoisten riefen in der Mitte des letzten Jahres das »strategische Gleichgewicht« aus. Erstmals starteten sie nun auch Offensiven in Verbänden von mehreren hundert Kämpfern, doch die eroberten Kasernen und Flughäfen konnten nicht gehalten werden. Sieben Jahre nach dem Beginn des Aufstands ist die ohnehin schwache Infrastruktur in ihrem Einflussgebiet weitgehend zerstört, die wenigen Steuereinnahmen erlauben keine eigene Entwicklungspolitik. Soll die Unterstützung der Bevölkerung nicht allein mit Waffengewalt aufrechterhalten werden, muss die Parteiführung ihre Ablehnung jeglicher ausländisch finanzierten Entwicklungsarbeit aufgeben.

Anfang April konnte die CPN-Maoist erstmals seit dem Beginn des Aufstands eine Kundgebung in der Hauptstadt Kathmandu abhalten. Vor 30 000 Teilnehmern bestätigte Bhattarai die Forderung nach einer Übergangsregierung und einer verfassungsgebenden Versammlung, um über die Zukunft der Monarchie zu entscheiden. Nach den Verhandlungen deutete Krishna Bahadur Mahara, der Sprecher der Maoisten, jedoch Kompromissbereitschaft an: »Wir haben die Frage der Monarchie offen gehalten.« Die Regierung beharrt darauf, dass die parlamentarische Demokratie und die Monarchie nicht verhandelbar seien, möglich sei jedoch eine Einschränkung der königlichen Macht.

Das 1990 von der Anti-Panchayat-Bewegung erkämpfte parlamentarische System wird vom Königshaus dominiert. Alle Minister verdanken ihr Amt König Gyanendra. Er löste im Mai 2002 gemeinsam mit dem damaligen Premierminister das Parlament auf, nachdem die Mehrheit der Abgeordneten eine Verlängerung des Ausnahmezustands abgelehnt hatte. Im Oktober entließ Gyanendra dann auch den Premier und setzte ein »von den Parteien unabhängiges« Kabinett ein. Auch in der Armee sind alle hohen Posten mit persönlichen Vertrauten des Königs besetzt. Die Monarchie ist zweifellos ein Symbol feudaler Verhältnisse und des Ausschlusses großer Bevölkerungsteile von wirtschaftlicher und politischer Teilhabe.

Entscheidend für die Stabilität dieser Herrschaft ist jedoch weniger die Person des Königs als die Dominanz eines brahmanischen Hinduismus. Die Inszenierung des Königs als Inkarnation des Gottes Vishnu ist nur die symbolische Überhöhung einer Missachtung der kulturellen Vielfalt im »einzigen hinduistischen Königreich«. Die ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen außerhalb der Kastenhierarchie sind eine wichtige Basis der Maoisten besonders im Westen des Landes. In einer bemerkenswerten Konkretisierung seines Vokabulars hat der Parteivorsitzende Prachanda jetzt die Selbstverwaltung dieser Bevölkerungsgruppen als wichtiges Verhandlungsziel bezeichnet.

Die parlamentarischen Parteien spielen in den Verhandlungen bisher keine Rolle. Seit Massenproteste im Frühjahr 1990 ein parlamentarisches Regierungssystem erzwangen, haben sie sich in erster Linie bereichert, und die Zahl ihrer Spaltungen erinnert an Zellteilung. Doch ihr Ausschluss von den Verhandlungen birgt die Gefahr, dass die wenigen zivilen Einrichtungen zwischen zwei militarisierten Blöcken zur Verhandlungsmasse werden.