Der üble Nachbar

Seit der vergangenen Woche gibt sich das rot-grüne Milieu hemmungslos seinen antipolnischen Ressentiments hin. von joachim rohloff

Deutschland ist wütend. Auch wenn der Bundeskanzler und der französische Staatspräsident ihren polnischen Kollegen am vergangenen Freitag ins Gebet nahmen und alle drei am Ende versicherten, der Streit sei beendet, lässt es sich nicht überhören, dass die Polen mehrere Fehler gemacht haben, die man ihnen so bald nicht verzeihen wird. Sie beteiligten sich gegen den Willen der EU, die mittlerweile nur noch aus Deutschland und Frankreich zu bestehen scheint, am völkerrechtswidrigen Krieg der USA, sie ließen sich an seinem Ende auch ganz offiziell zu Siegern erklären und schlugen nun obendrein noch vor, das deutsch-polnisch-dänische Korps solle im Irak eingesetzt werden. Dieses Ansinnen konnte der deutsche Verteidigungsminister nicht als ein Versöhnungsangebot missverstehen, denn zu offensichtlich ignorierte es die bekannten Grundsätze seiner Friedenspolitik. »Struck stinksauer über polnischen Vorstoß«, meldeten die Agenturen.

Es gibt einleuchtende Gründe dafür, dass die Regierung der USA nicht etwa Spanien oder Italien, sondern Polen aufforderte, im Irak die dritte Besatzungszone zu übernehmen. Sie sind auch in Deutschland bekannt, und manche Zeitungsartikel erwähnten sie sogar. In der taz bemerkte Gabriele Lesser, seit den siebziger Jahren hätten »bis zu 80 000 Polen« als Ingenieure, Ärzte oder Techniker im Irak gearbeitet, gleichzeitig hätten viele Iraker in Polen studiert, »sodass ein großer Teil der heutigen Elite Iraks nicht nur Polen kennt, sondern auch Polnisch spricht. Das Verhältnis zwischen Irakern und Polen ist daher freundlich.«

So viel zur Vorgeschichte der Nachricht, nun folgte der Kommentar. »Einmal zu den Siegern gehören! Einmal als Befreier umjubelt werden! Dieser alte Traum der Polen scheint nun in Erfüllung zu gehen«, schrieb Lesser. Das ganze Land gebe sich seinem »Siegesrausch« hin. Doch der Traum, von dem man bisher annehmen musste, vor allem die Deutschen seien von ihm beseelt, waren sie doch in den letzten hundert Jahren die Einzigen, die zu seiner Erfüllung geeignete Maßnahmen ergriffen, wird sich in der Wirklichkeit blamieren. Er wird schon bald »zerplatzen wie eine Seifenblase. Tatsächlich kann sich Polen die Besatzung des Irak gar nicht leisten. Der Einsatz von 10 000 Soldaten müsste vollständig von den Amerikanern bezahlt werden. Dann aber wäre Polen – nüchtern betrachtet – lediglich ein Söldner der USA.«

Wer sich als »Sieger- und Großmacht« aufzuspielen versucht, ohne über die nötigen wirtschaftlichen und militärischen Mittel zu gebieten, macht sich lächerlich. Die Polen sollten sich also in Demut üben und den Deutschen dankbar sein, die sie trotz der komplizierten gemeinsamen Geschichte in der EU aufnehmen. Nicht gerade Gehorsam, aber doch »Solidarität mit der EU« verlangte denn auch die Badische Zeitung und vergaß dabei nur zu gern, dass die Regierungen in Großbritannien, Spanien und Italien keinen Grund haben, sich über die Polen zu beschweren.

»Die Idee des gemeinsamen Europas, das mühsam mit vielen Telefonaten, Gesprächen, Konferenzen geschaffen werden muss, ist den meisten Polen fremd«, behauptete Gabriele Lesser, und der Kommentator des Freitag stimmte ihr zu. »Dass die Republik Polen von den Amerikanern als Besatzungsmacht nominiert wird, zielt mehr auf die Teilung Europas als auf eine Befriedung des Kriegsschauplatzes. Einen solchen Pfahl im Fleisch haben sich die Alt- und Kerneuropäer nicht träumen lassen, aber redlich verdient. Sie glaubten an die Realität Europa, wo bestenfalls von einer Vision die Rede sein konnte.« Wenn die Polen also auch zu schwach sind, die eigenen Großmachtträume zu verwirklichen, sind sie doch stark genug, den deutschen Traum vom einigen friedlichen Europa zu zerstören.

Nur Klaus Bachmann, der Kommentator der Frankfurter Rundschau, vermochte das Gute in der jüngsten historischen Entwicklung zu erkennen. Endlich arbeite Polen an seiner Emanzipation. »Der verstaubte Ethnozentrismus in Polen, die Unfähigkeit mancher polnischer Intellektueller und Politiker, ihr Land anders denn als Opfer fremder Intrigen und fremder Herrschaft zu sehen – hat das nicht auch mit der Leerstelle einer eigenen kolonialen Geschichte zu tun? Der Phantomschmerz und die moralischen Zweifel, die Entkolonisierungsdebatten, die Frankreich, Belgien oder die Niederlande führen mussten, blieben Polen erspart.« Um von der Debatte, die wir Deutschen seit Jahrzehnten führen, einmal zu schweigen.

»Das war weder der Trauerarbeit noch der Reflexion sonderlich förderlich.« Nun aber sei »mit dem quasi-kolonialen Regime in Irak die Chance aufgetaucht für ein weniger provinzielles, weniger mit sich selbst beschäftigtes, weniger moralisierendes – und damit europäischeres – Polen als bisher. So seltsam das auch für Deutschland klingen mag, das seine Kolonien schon vor hundert Jahren verloren und einen Horror vor der Übernahme von Täterrollen hat.« Die Deutschen sind also deshalb so weltoffen, weil sie im Zweiten Weltkrieg so weit herumkamen. Nun wollen auch die Polen endlich »Täter« werden, und Bachmann kann ihre Verbrechen kaum noch abwarten.

Die Witzseite der Berliner Zeitung rückte wegen dieser unerhörten Geschehnisse ausnahmsweise ins Feuilleton, und Mathias Bröckers, der nicht wenig damit verdient, seiner Leserschaft allerhand den 11. September 2001 betreffende Fakten und Theorien zu verkaufen und ihr zugleich einzuschärfen, sie dürfe den Unfug aber nicht glauben, obwohl zweifellos irgendetwas doch daran sei und sich mit ziemlicher Sicherheit tatsächlich alles genauso zugetragen habe, wie er es nicht behaupten wolle, lieferte einen launigen Beitrag.

»Kaum gestohlen, schon in Polen«, zitierte er die Geschäftsberichte sämtlicher deutscher Versicherungsgesellschaften. Von der »polnischen Wirtschaft« wusste vermutlich schon sein Großvater zu erzählen, und auch seine Mutter wird, als Papa Bröckers noch in der Gefangenschaft war, die Erfahrung gemacht haben, dass der Pole, zur Zwangsarbeit verschleppt, sich nach seiner Befreiung nicht dankend verabschiedete, sondern in der Ahnung, auf dem Heimweg werde es am Proviant mangeln, in den Hühnerstall eindrang und zwei Stück Gackervieh mitnahm, die dazu bestimmt waren, dem Vater aufgetischt zu werden, sobald er von der Ostfront zurückkehrte. Seitdem weiß die Familie Bröckers, was frühere Generationen nur vom Hörensagen wussten, aus eigener Anschauung: Der Pole klaut.

Aber er wurde bestraft. Während Onkel Heinz schon anfangs der fünfziger Jahre einen Mercedes 180 Diesel besaß und der kleine Herrenmenschensohn Mathias in den Sechzigern mit amerikanischen Matchboxautos spielte, musste der Pole sich noch in den Neunzigern »mit Ladas, Skodas, Trabis und anderen Paläo-Automobilen fortbewegen«. Nun hat er endlich auch einen BMW, aber nicht genug Benzin. Und deshalb verblüffte es niemanden, der von der politischen Ökonomie etwas versteht, »dass Polen und die osteuropäischen Anrainerländer sich in Sachen Irakinvasion derart drängelten, in den Auspuff von Onkel Sam zu kriechen«. Denn die Polen passen bekanntlich genauso gut in einen Auspuff wie die Juden in einen Aschenbecher.