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Rot-rote Realität

Hauptstadt. Wer verstehen will, was Wahlen nicht ändern, braucht dieser Tage nur einen Blick auf Berlin zu werfen. Ein Lehrstück in vier Teilen.

Teil eins: Am Mittwoch vergangener Woche wurde ein 13jähriger hörgeschädigter Schüler bosnischer Herkunft von der Polizei in Berlin aus dem Unterricht geholt und mit seinen Eltern und einem Bruder abgeschoben. Dabei hatte die Familie ihre freiwillige Ausreise nach der Beendigung des Schuljahres am 4. Juli zugesichert. Thomas John, der Sprecher des Schulsenators Klaus Böger (SPD), sagte der Berliner Zeitung: »Wir gehen davon aus, dass die Polizei in der Schule mit Fingerspitzengefühl vorgegangen ist.« Der Vorfall sei für die Behörde »kein Problem«.

Teil zwei: Ebenfalls am vergangenen Mittwoch wurden in einem ehemals besetzten Haus in der Rigaer Straße fünf Wohnungen geräumt. Ein Sprecher des autonomen Wohn- und Kulturprojektes sagte, die Innenverwaltung habe sich in der Angelegenheit eindeutig hinter den Eigentümer gestellt, obwohl die Räumungstitel umstritten gewesen seien. Trotz verschiedener Bemühungen, wie etwa eines Treffens am runden Tisch, habe der Innensenat keinen akzeptablen Alternativvorschlag unterbreitet.

Teil drei: Am Donnerstag erklärte das Arbeitsgericht Berlin den Austritt des Landes aus dem Arbeitgeberverband für rechtsunwirksam. Der Senat hatte nach dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst Anfang des Jahres den Austritt des Landes erklärt, weil er die mickrigen Lohnerhöhungen für die Beschäftigten nicht zahlen wollte. Verdi hatte gegen den Austritt aus dem Arbeitgeberverband geklagt.

Teil vier: Last but not least demonstrierten in Berlin in der vergangenen Woche mehrere tausend StudentInnen gegen die Kürzungspläne des Senats im Bildungsbereich. Die beiden roten Volksparteien wollen u.a. Studiengebühren einführen.

Bayerische Realität

Razzia. Am vergangenen Freitag wurden in München die Geschäftsräume des Bayerischen Flüchtlingsrates und die Privatwohnung eines Mitglieds der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen von der Polizei durchsucht. Angeblich sollte die Herkunft eines Flugblatts geklärt werden, das AktivistInnen der beiden Initiativen am 19. Dezember auf dem Flughafen in München verteilt hatten. Es enthielt Tipps für Passagiere und Flugpersonal, wie man bei einer Abschiebung einschreiten kann.

In einer gemeinsamen Presseerklärung bezeichneten die beiden Flüchtlingsinitiativen den von der Polizei genannten Grund als absurd, da ein Vertreter des Flüchtlingsrates für das Flugblatt verantwortlich gezeichnet habe. Bei der Durchsuchung beschlagnahmten die Beamten u.a. einen Ordner mit vertraulichen Angaben von Flüchtlingen. Bereits im Februar waren Wohnungen von Mitgliedern der Karawane durchsucht worden. »Schon die erste Razzia war in unseren Augen blanker Unsinn, auch die heutige Razzia werten wir als Schikane«, heißt es in der Erklärung.

Der Lehrer hat’s schwerer

Mysteriöse Krankheit. Hamburg liegt zwar nicht am Meer, hat aber einen großen Hafen, wo täglich Schiffe aus fernen Ländern einlaufen. Und in fernen Ländern gibt es mysteriöse Krankheiten, die sich zum Beispiel über den Schiffsverkehr in der ganzen Welt verbreiten können. Eine solche ist das Unknown Teacher’s Syndrome (UTS), das, wie der Name schon sagt, rätselhafterweise bislang nur eine bestimmte Berufsgruppe befallen hat: die LehrerInnen. Gleich 240 von ihnen an sechs Hamburger Schulen erwischte es in der vergangenen Woche auf einen Schlag.

Um Panik in der Stadt zu vermeiden, behauptete die Hamburger Schulbehörde, die massenhaften Krankmeldungen seien ein Protest gegen ihr neues Arbeitszeitmodell. Danach müssen Fachlehrer bis zu sechs Unterrichtsstunden zusätzlich pro Woche erteilen. Ein anonymes Flugblatt habe kursiert, in dem die Lehrkräfte aufgerufen wurden, dem Unterricht fern zu bleiben. Um den Wahrheitsgehalt ihrer Geschichte zu unterstreichen, verlangt die Behörde nun vom ersten Krankheitstag an Atteste von den Betroffenen.

Experten halten den laxen Umgang mit UTS für fatal und fürchten, dass sich die Krankheit weiter ausbreitet. Sie empfehlen zum Schutz der gefährdeten Personengruppe, den Schulbetrieb für eine einige Zeit gänzlich ruhen zu lassen.

Beim Barte des Experten

Iranischer Besuch. Als im Iran noch Schah Reza Pahlewi mit Unterstützung der USA herrschte, der Kampf gegen den Diktator für linke Studenten ein einigendes Moment war und am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin Professoren in einer Iran-Gruppe arbeiteten, hätte es so etwas sicher nicht gegeben: Im laufenden Sommersemester trifft man sich dort im Hauptseminar »Macht und Ohnmacht der Diplomatie«, um »durch den direkten Kontakt mit den von uns eingeladenen Experten die Gründe des Versagens und des Erfolges der Diplomatie in der Region Greater-Middle-East zu eruieren«. Einer der Experten ist der iranische Botschafter.

Die Kritik von Exiliranern in Berlin, dass der Auftritt des Botschafters am 16. Mai eine Aufwertung der islamistischen Diktatur bedeute und er deswegen auszuladen sei, stößt bei den Dozenten Dietrich Sperling und Behrooz Abdolvand auf taube Ohren. Das Mykonos-Attentat, die Unterdrückung der iranischen Studentenbewegung und die islamistische Ideologie interessierten nicht, es gehe um das Rollenverhalten von Diplomaten. Das sieht auch der amtierende Dekan Bodo Zeuner so – ein 68er – und beruft sich auf die Lehrfreiheit der Dozenten. Einzig die studentische Fachschaftsinitiative ruft gemeinsam mit Organisationen der Exiliraner zum Protest auf.