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Turbonegro, die Band, die die Jugend dieser Welt schmerzlichst vermisst hat, ist wieder da und besser denn je. von jens thomas

Die skandinavischen Schweinerocker Turbonegro, nach ihrer »Darkness Forever-Tour« 1998 zum Entsetzen ihrer treuesten Fans aufgelöst, sind mit einer neuen Platte »Scandinavian Leather« überraschend zurückgekehrt.

Anfang der Neunziger in Oslo gegründet, hat die Band bislang sechs Alben eingespielt, mit ihrem letzten vor dem vorläufigen Ende, »Apocalypse Dudes«, gelang ihr 1998 der absolute Durchbruch. Zu Beginn ihrer Karriere setzte sie auf eher lupenreinen Punk, ließ dann aber zunehmend pompösen Rock in ihren Sound mit einfließen.

Turbonegro sind die Inkarnation des aktuell stattfindenden Rockrevivals. Sie kombinieren Punk und Rock wie keine zweite Band. Allerdings waren sie nicht die ersten, wie die Spex behauptet, die Rock und Punk wieder zusammenführten. Schon die Punk/ Hardcore-Combo CIV (Ex-Gorilla Biscuits) aus New York legte 1995 ein Album vor, auf dem schamlos stumpfe Gitarrenriffs á la AC/DC zu hören waren. Doch Turbonegro waren sicher die ersten, die im ganz großen Stil überzogene Rockallüren im Punk kalkuliert inszenierten.

Da darf man sich dann auch für nichts zu schade sein. Mal trat die Gruppe kollektiv mit Afroperücken und schwarz geschminkten Gesichtern auf, mal trugen die Bandmitglieder Zuhälter-Oberlippenbärte à la Tom Selleck. Turbonegro inszeniert bis heute eine ähnlich überzogene Homo-Erotik wie die New York Dolls in den Siebzigern und kokettiert zugleich zynisch mit Deutschtümelei. Hitlerbart, Stahlhelm und der deutsche Schäferhund dürfen da nicht fehlen.

»Wir zelebrieren diese Gegensätze«, sagt Bassist Happy Tom vor dem Auftritt der Band in der Hamburger Großen Freiheit Anfang Mai, nachdem er sich zur Begrüßung als »Adolf Shitler« vorgestellt hatte. In den siebziger Jahren, so meint er, sei die Kultur der Homosexuellen mit dem Rock’n’Roll schließlich schon eng verknüpft gewesen. Das sei den Leuten heute jedoch nicht mehr bewusst. Zudem, so Happy Tom, spukten Hitler und Mussolini noch immer in den Köpfen vieler Leute, was man auf recht eigene Art und Weise konterkarieren möchte: »Darum versuchen wir harte Homos zu sein.«

Rock ist der Trend der Stunde, Turbonegro sind die Band der Stunde. »Wenn von Rock die Rede ist, wissen alle mehr oder weniger, was damit gemeint ist«, schreibt Martin Büsser in seinem Buch »Wie klingt die neue Mitte?«. Wenn man über Rock dagegen etwas im Brockhaus erfahren möchte, so liest man, in diesem habe sich »das Leitbild des antibürgerlichen und antikommerziellen Helden eingebürgert; der jugendliche Protest hat eine gewisse Echtheit bewahrt, obwohl Profitstreben, vordergründige Show-Elemente Rock zunehmend zu schablonenhafter Massenware verfälscht haben.«

So ist das also. Rock ist zum einen völlig simpel, jeder kann ihn einordnen. Zum anderen wird Rock jedoch mit einem antibürgerlichen Aufbegehren assoziiert, auch wenn er geldgeil daherkommt und massenkompatibel ist. Hier wird’s schon komplizierter.

Rock als Gitarrendrescher-Musik wie wir sie heute kennen, ist – auch das verrät der Brockhaus – in den fünfziger Jahren aus dem Rock’n’Roll entstanden, auf dessen rebellischen Geist sich Jahrzehnte später auch Punk rekurrierte. Der ironische Rückbezug von Punk auf Rock’n’Roll, und damit nun auch das Turbonegro-Comeback, bedeutet die Rückkehr zu einer Art Ursprung, in eine Zeit, bevor sich Punk in die unterschiedlichsten Segmente ausdifferenzierte. Anfang der Achtziger entstand aus ihm der Hardcore, und Bands wie Rage Against The Machine kombinierten diesen in den Neunzigern mit Funk und HipHop, während Atari Teenage Riot Punk und Techno zu einem peinlichen Gehäuse zusammenbastelten. Anschließend fuhr man wieder ein kleines Stückchen zurück: Old School-Hardcore und Punk lagen plötzlich wieder im Trend, Rock’n’Roll-Punk à la Superfan und Steakknife etablierte sich. Fortan galt vermehrt: Wer authentisch sein will, sollte seine Wurzeln kennen. Die brennende Frage lautete: Was war vor Punk, aus was ist er entstanden? Endlich bekommen wir eine Antwort auf diese Frage. Danke, Turbonegro!

Das aktuelle Rockrevival ist zudem eine Reaktion auf die Reizüberflutung durch eine inzwischen unübersehbar gewordene Vielzahl an Musikstilen. Stumpfer Rock bietet ein einfaches Ambiente, macht Schluss mit unnötiger Komplexität. Und Turbonegro sind Rock pur. Ironisch greifen sie auf ihrer neuen Platte ausgeleierte Klischees auf, leiten den Song »Wipe it till it bleeds« gar mit einem Scorpions-Gitarrensolo ein und präsentieren bei »Train of Flash« ein schamloses Gezupfe a la Bon Jovi. Damit basteln sie eine musikalische Bricollage, die unästhetisch Geltendes für das Genre Punk sinnvoll vereinnahmt. Mode »verkehrt« Dinge eben immer auch ins Gegenteil, wie der Trendforscher Peter Bäldle weiß. Uncooles kann zur Coolness werden, wenn man es nur auf entsprechende Weise kontextualisiert.

Punk und Rock schlossen sich lange Zeit aus, bei Turbonegro ergänzt sich beides. Stilelemente der siebziger und achtziger Jahre finden bei ihnen zusammen. »Scandinavian Leather« ist sogar noch eine Zuspitzung des mit »Apocalypse Dudes« eingeschlagenen Weges. »Den alten Punk wollten wir nicht mehr spielen«, sagt Happy Tom. Die neue Scheibe sei trotzdem krimineller und zerstörerischer als die anderen Alben. Auch das gehört zum Rockkalkül. Es muss übertrieben werden, oder besser: Es darf gelogen werden.

Die Frage, ob Geld der Antrieb für das Turbonegro-Comeback gewesen sei, wird mit sarkastisch flachsiger Selbstüberschätzung abgewehrt. »Nein, es war einfach notwendig wiederzukommen. Wir sind die beste Band der Welt, und darum haben wir jetzt auch unser bestes Album gemacht«, wirft Happy Tom entspannt in die Runde.

Das Komische ist: Aus dem Geldhahn sprudelte es erst so richtig, als es die Band offiziell gar nicht mehr gab. Erst dann ging es so richtig los mit der Hysterie, was allein schon die Tatsache belegen dürfte, dass sich nach dem Split der Band weltweit ein dauernd anwachsendes informelles Turbo-Netzwerk bildete: die Turbo-Jugend und deren Fanclubs. »Über 100 Stück soll es mittlerweile weltweit geben«, verkündet Happy Tom stolz. Von Oslo über Hamburg bis Zimbabwe haben sich Fans zusammengeschlossen, um ihren Helden vor Ort zu huldigen. Zu erkennen sind sie durch ihre stilechte Jeanskluft mit Turbo-Jugend-Aufnähern. »Turbonegro brauchte eben eine eigene Armee«, begründet Happy Tom das Entstehen dieser Bewegung. Das Netzwerk sei wie eine Familie, und es sei toll, wenn diese aus Rock’n’Roll-Fans bestehe.

Turbonegro: »Scandinavian Leather« (Burning Heart)