»Die SPÖ macht Haider stark«

Armin Thurnher

In Österreich gab es den ersten Streik seit 50 Jahren. Die Gewerkschaften mobilisieren gegen die Rentenpläne der Regierung aus ÖVP und FPÖ. Der Publizist Armin Thurnher schätzt das emanzipatorische Potenzial dieser Proteste eher gering ein. Mit dem Gründer und Herausgeber des Wiener Stadtmagazins Falter sprach Amon Brandt.

Findet sich in den momentanen Straßenprotesten die Chance für einen politischen Umbruch?

Über die Straße ist das nicht möglich. Aber über die Straße ist zumindest möglich, dass sich die Gewerkschaften mal selbst aus ihrer dumpfen Isolation herausbewegen, dass sie die Chance haben, ihre Aufgaben neu zu definieren.

Aber im Allgemeinen ist die österreichische Straße, auch während der Anti-Schwarz-Blau-Proteste, harmlos: alle möglichen Bürger, die sich mit Zügen und Bussen nach Wien bewegen und wieder nach Hause gehen wie gesittete Touristen.

Ist den Gewerkschaften denn überhaupt ein Sieg über die Regierung zuzutrauen?

Es wird schwierig, weil die Gewerkschaften in Österreich in den letzten 50 Jahren eher eine Institution der Machtausübung innerhalb dieser gewissermaßen vorparlamentarischen Regierung waren – quasi Exekutive und nicht eine kämpferische Organisation außerhalb des Kreislaufs zwischen Regierung und Parlament. Sie sind stark ins System integriert. Die Gewerkschaftsvorsitzenden sind traditionellerweise, genauso wie die Vertreter der Arbeitgeber, Parlamentsabgeordnete. Der letzte Vorsitzende war sogar Nationalratspräsident. Die waren ihre Integration ins System einfach gewohnt, bei den rot-schwarzen Regierungen, und bei der roten Alleinregierung sowieso. Seit 1945 gab es nur sieben Jahre, in denen die Gewerkschaften nicht voll mitregiert haben. Sie haben in ihrer Geschichte meist gemeinsam mit der Regierung die Gesetze gemacht, die das Parlament nur noch abzunicken brauchte.

Was ist so schlecht an einer derart starken Präsenz der Gewerkschaften im politischen System?

Sie hat zwar dazu geführt, dass Österreich ein sehr sozialer Staat war und dass hier die Einkommensschere nicht so weit auseinanderklafft und der allgemeine Wohlstand relativ hoch ist. Andererseits hat diese Integration aber auch dazu geführt, dass die demokratische Öffentlichkeit weniger entwickelt ist, dass es keine Streitkultur gibt und dass die intellektuellen Grundlagen der Politik nicht besonders ausgebildet sind. Gegenwärtig stoßen die Gewerkschaften auf das selbst mitverursachte Vakuum. Sie haben Schwierigkeiten, ihre Anliegen tatsächlich politisch zu artikulieren, weil sie zur Entpolitisierung der österreichischen Konsensgesellschaft nach 1945 beigetragen haben.

Umgekehrt hat es die gegenwärtige Regierung in diesem politischen Vakuum bis jetzt relativ leicht gehabt. Die Christ-Konservativen haben die Wahlen überhaupt nur gewonnen, weil dieses Vakuum ein politisches Unbehagen erzeugt hat. Dass notwendige Reformen in dieser Sozialpartnerschaft nicht mehr möglich waren, ist ein Gefühl, das zur allgemeinen Überzeugung geworden ist. Das nutzen die Konservativen jetzt, um bestimmte Dinge putschartig durchzubringen, die die Bevölkerung so nicht gewollt hat.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel will die Gewerkschaften im System schwächen. In der jüngsten Ausgabe Ihrer Zeitung Falter werden Parallelen zum Thatcherismus vor zwanzig Jahren in Großbritannien gezogen.

Der Vergleich funktioniert nur mit vielen Abstrichen. Denn die österreichischen Gewerkschaften sind sowohl stärker als auch schwächer als damals die britischen. Stärker, weil sie hier eine Einheitsgewerkschaft sind; schwächer, weil sie sehr moderat sind und in dem System bisher immer eine sehr arbeitgeber-freundliche Position eingenommen haben. Sie sind konsensorientiert und sehr verständnisvoll gegenüber den Anliegen der Industrie, sind immer auf maßvolle Lohnabschlüsse und auf Verhandlungslösungen aus, sodass sich die Streikzeiten in Sekunden bemessen lassen. Das macht aber gleichzeitig auch ihre Stärke aus, weil sie in dem österreichischen System der Sozialpartnerschaft immer eine gewichtige Rolle gespielt haben, zum Teil eben auch auf Kosten demokratischer Institutionen.

Einen dieser Kostenpunkte stellt das Phänomen Haider dar …

Haiders Erfolg ist zu einem guten Teil auf die Unzufriedenheit mit dem System zurückzuführen, das ein Klientelsystem war. Dieses System hat das ganze Leben organisiert. Es wurde quasi feudalistisch gewährt: die Wohnung, der Zugang zur Universität und zum Pensionistenheim. Jeder, der in dem System nicht mitgemacht hat, war chancenlos. Dieses Unbehagen hat Haider bei seinem Aufstieg ausgenutzt. Er war der Einzige, der für breitere Bevölkerungsschichten eine akzeptable Opposition dargestellt hat.

Interessant ist, dass sich die Leute nicht oder nur wenig daran gestoßen haben, dass da einer mit nationalsozialistischem Gedankengut spielt. Das störte viel weniger, als wenn da einer an linkes Gedankengut anknüpft, wie es bei den Grünen immer der Fall war. Die Ursache liegt darin, dass es nach 1945 keine Verfassungsdebatte gab, auch keine Re-Education und keine Debatte um die eigene Rolle. Wir sahen uns bekanntlich nicht als Täter, sondern Opfer! So war für viele Haider ein möglicher Schwiegersohn, der ja auch irgendwie an demokratische Instinkte appelliert hat. Jeder, der mit dem quasi feudalen System unzufrieden war, und keine nicht bürgerliche Alternative wollte, hat sich an Haider orientieren müssen. Was anderes war ja nicht da.

Momentan ist Haider sogar die Hoffnung der oppositionellen Sozialdemokraten, um die Regierung zu stürzen.

Das ist natürlich taktisch legitim, aber strategisch ein Wahnsinn. Dem Mann jetzt Besserungsfähigkeit zuzubilligen, den die Sozialdemokraten jahrzehntelang ausgegrenzt und mit Recht für unberührbar erklärt haben, grenzt an Schwachsinn. Das heißt nicht, dass man mit seinen Abgeordneten nicht die Regierung zu Fall bringen sollte. Aber deshalb muss man nicht gleich erklären, dass man mit ihm eine Koalition eingehen will.

Trauen sie das der SPÖ zu?

Ja. Und zwar deswegen, weil es auch Leute sagen, die man bislang zum Anti-Haider-Kern gezählt hat. Der Anti-Haider-Teil in der SPÖ ist deutlich kleiner geworden. Dass jetzt die SPÖ Haider wieder stark macht, wo er momentan so schwach ist wie noch nie, ist ja auch eine Absurdität der Geschichte.

Wird Haider letztlich Schüssel stürzen?

Herr Haider tut nur das, was ihm persönlich nützt. Wenn er sich als der profilieren kann, der die Pensionen des »kleinen Mannes« rettet, dann wird er die Regierung sprengen. Und wenn er den Eindruck hat, es wird ihm nichts nützen, dann wird er es lassen. Man darf die Rolle Haiders nicht überschätzen.

Haider ist strukturell eine Unmöglichkeit. Er ist sozusagen ein arbeiterfreundlicher Unternehmervertreter. Oder umgekehrt. Er hat die Unterstützung der Großindustrie mit dem Versprechen gewonnen, dass er die Macht der Gewerkschaften bricht, und jetzt stellt er sich an die Seite der Gewerkschaften, um die Macht der Großindustrie zu brechen. Das ist alles absurd und kann nicht aufgehen. Haider spielt so viele Rollen, dass er selbst oft verwirrt sein muss. Aber im Moment ist er mal wieder der Robin Hood. Das ist ja eine seiner Lieblingsrollen.