Hinter Gittern

Nach der Räumung der Rigaer Straße 94

Wer in diesen Tagen die Rigaer Straße 94 besuchen will, hat es nicht leicht. Denn das autonome Hausprojekt in Berlin-Friedrichshain ist nur noch den Mietern zugänglich, die auf der Liste des Eigentümers stehen. Alle anderen müssen draußen bleiben oder erhalten, so sie ihren Namen und den eines Mieters nennen, den sie besuchen wollen, Geleitschutz bis zur neu eingebauten Gittertür. Drei Mitarbeiter einer Security-Firma bewachen den Eingang rund um die Uhr. Dabei geht auch mal die Kamera eines Fotografen zu Bruch, ein Teleskopschlagstock wird ausgefahren oder ein Mann in einer Wagentür eingeklemmt. Die Wachschützer tun mehr als einen Job: Mit »Schmutz« und »Gestank« werde jetzt aufgeräumt, Berlin werde sauber und zivilisiert. »Wenn Gefahr – dann sind wir da!«, bringt es ihr Leiter auf den Punkt.

Derweil transportieren Bauarbeiter das Inventar der fünf Wohnungen ab, für die der Hausbesitzer Räumungstitel erwirken konnte. Systematisch wurden Sanitäranlagen, Trennwände und Kachelöfen zerstört.

Mit der gewaltsamen Räumung am Morgen des 7. Mai eskalierte der seit zweieinhalb Jahren schwelende Konflikt um das Haus, das Suitbert Beulker von der Jewish Claims Conference gekauft hat. Seither zeigte sich der neue Besitzer nicht bereit, mit den etwa 30 Bewohnern zu sprechen. Sogar einen Runden Tisch mit dem Bezirksamt schlug er aus.

Nach einer Woche Polizeipräsenz mit zwei SEK-Einsätzen, Hubschraubern und Straßensperren im Kiez nördlich der Frankfurter Allee herrscht Ruhe vor dem Haus. Die obdachlos gewordenen Bewohner des Hausprojekts verschlug es in den Roten Laden der PDS Friedrichshain-Kreuzberg, unweit der Rigaer Straße im Weidenweg gelegen. Die Besetzer fordern u.a. Verhandlungen und eine Stellungnahme der PDS. Ein Ersatzobjekt würden sie akzeptieren, sofern nicht andere Mieter ihretwegen auf die Straße gesetzt werden. Während die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung behauptet, sie seien gar nicht an einem anderen Haus interessiert, haben die Bewohner selbst eine Liste mit Ersatzobjekten zusammengestellt. Zu Gesprächen darüber ist es bisher nicht gekommen.

In den Korbstühlen des PDS-Büros sitzt es sich unbequem. Wer nicht gerade für das Essen schnippelt, kann einem PDS-Funktionär bei Computerspielen zugucken. Manches ältere Parteimitglied klopft einem Besetzer aufmunternd auf die Schulter. »Solidarität«, sagt eine rüstige Nachbarin, »haben wir in der DDR groß geschrieben.«

Die Zukunft der Rigaer 94 ist ungewiss. Noch muss geklärt werden, ob die Räumungen rechtmäßig waren und ob die Mietverträge gültig sind. Ohne politische Vermittlung aber dürfte Beulkers Strategie der Zerstörung des Projekts aufgehen. Ihm gehören auch drei Häuser in der Nachbarschaft, wo er schon vorsorglich die Namen auf den Briefkästen fotografieren ließ. Die Mieter dort haben in einem offenen Brief an den Innensenator Ehrhart Körting gegen seine Maßnahmen protestiert. Denn wer lebt schon gerne hinter Gittern?

arne norden

Aktionstag für die Rigaer Straße 94 am 23. Mai. Treffpunkt: Infoladen Stattmitte, Brunnenstraße, 11 Uhr.