Ein bisschen Peace

Um ihre Einigkeit nicht zu gefährden, verdrängt die britische Friedensbewegung interne Konflikte – mit fatalen Folgen.

England … zero points!« Beim Grand Prix des europäischen Schlagers Ende Mai schlägt den Briten eisige Ablehnung entgegen. Die Sängerin raunt nach ihrem Auftritt düster: »Ich verstehe das nicht. Wahrscheinlich ist es politisch.« Als an dem rauschenden Abend sogar Polen den Briten einen Gnadenpunkt verweigert, meint der Fernsehkommentator Terry Wogan: »Liebe Zuhörer, wir wissen, was das bedeutet: Wir müssen die Kanonenboote schicken!«

Nicht immer werden die Zerwürfnisse, die der Angriff auf den Irak produziert hat, mit so viel Humor ausgetragen. Trotz eines kurzen Krieges und weniger Opfer – von denen die meisten im amerikanischen Feuer umkamen – will sich keine richtige Siegesfreude einstellen. Nicht einmal eine Parade für die zurückkehrenden Truppen wurde abgehalten. Ein britischer Offizier, ein Held der Boulevardblätter, die ihn liebevoll »Offizier Tim« nennen, wird sogar beschuldigt, im Irak Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Und auch die Regierung hat ihre Position nicht verbessert. Premierminister Tony Blair, der während der Kampfhandlungen populär wie nie zuvor war, wurde rapide von seinen innenpolitischen Problemen eingeholt. Bei den Lokalwahlen im Mai wurde New Labour bestraft. Meinungsumfragen in den letzten Wochen müssen ihm zu denken geben. Während die Zustimmung zum Angriff auf den Irak nach Beginn der Kampfhandlungen stieg, glauben nach wie vor 51 Prozent, dass der Krieg den britischen Interessen geschadet hat.

Die Friedensbewegung versucht derweil, den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten und wirft Blair die Propagandalügen von gestern vor. Während der Premierminister gerade im Irak weilte, um den britischen Truppen für ihren Einsatz zu danken, prangerte der Daily Mirror den »Krieg der Lügen« an. Die Äußerung von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, im Irak würden vielleicht keine Massenvernichtungswaffen gefunden werden, stellt die Glaubwürdigkeit Blairs erheblich in Frage. Von »Irreführung des Parlaments und des britischen Volks« ist in der Presse und in der Labour-Partei nun die Rede.

Das Bündnis »Stoppt den Krieg!«, das Anfang des Jahres erstaunlich professionell riesige Demonstrationen organisierte, will nun den Schwung der Bewegung in eine Kampagne gegen die Besetzung des Irak umleiten, deren Höhepunkt eine nationale Demonstration im September sein soll. Ob dann allerdings mehr als die üblichen Linken demonstrieren werden, ist fraglich. Dennoch ist sich Ghada Razuki, eine Sprecherin des Bündnisses, sicher, dass ein weiter Krieg nicht durchsetzbar ist.

Und die britische Linke? Die wenigen Autonomen fühlen den üblichen Katzenjammer nach der üblichen Bewegungseuphorie. Weder ihre Begeisterung für direkte Aktionen, noch ihr Versuch, mit brachialer Rhetorik Einfluss auf die Bewegung zu gewinnen, hat eine Rolle gespielt. Zwar haben Trotzkisten und Anarchisten einige neue Rekruten gewonnen, vor allem unter den protestierenden Schülern, insgesamt aber ist die Bewegung von Liberalen, Pazifisten, Muslimen und den Mittelklassen geprägt. Dennoch radikalisierten sich einige so sehr, dass das Bündnis schließlich zu »direkten Aktionen« und einem Generalstreik aufrief. Angesichts der Zusammensetzung der Bewegung ist es kaum verwunderlich, dass daraus dann nichts wurde.

Dennoch hält Jenny Fisher die Bewegung in der Rückschau für erfolgreich. Sie ist Mitglied der Gruppe Labour against the War, wo sich der linke Flügel der Partei sammelt. Seitdem bei der Parlamentsabstimmung über Krieg oder Frieden so viele Abgeordnete wie nie zuvor gegen ihre eigene Regierung stimmten, fühlt sich die Labour-Linke im Aufwind. »Ein gewaltiger Erfolg, der Auswirkungen auf die nächsten Konflikte haben wird«, meint Fisher. Die Labour-Linke kann zwar auf die weit verbreitete Unzufriedenheit der einfachen Parteimitglieder zählen, diese aber politisch nicht ausnutzen. Blair hat die Partei und die Regierung so umgebaut, dass die Parteibasis praktisch entmachtet ist.

Für Anas Altikriti, den Pressesprecher der Dachorganisation der britischen Muslime (Muslim Association of Britain), hat die Friedensbewegung die britische Gesellschaft verändert. Er hebt hervor, dass die muslimische Gemeinschaft zum ersten Mal politisch aktiv wurde und ihr Ghetto verlassen hat. »Diese Bewegung war weder links noch rechts. Sie hat Menschen verschiedener Religion und Herkunft zusammengebracht.« Altikriti nennt die momentane Situation im Irak untragbar: »Wenn das ein Sieg ist, will ich keine Niederlage erleben müssen.«

Trotz der optimistischen Bilanz ist die Friedensbewegung aber auch mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Kurz nach dem Krieg beschwerte sich der Unterhaus-Abgeordnete Tam Dalyell, eine zentrale Figur der Friedensbewegung, dass Blair zu sehr unter jüdischem Einfluss stehe, wobei er an Peter Mandelson, Lord Levy und Außenminister Jack Straw dachte. Nur verstehen sich zwei von ihnen keineswegs als Juden. Unter öffentlichen Druck geraten, verteidigte Dalyell sich dann, er habe nur offen ausgesprochen, dass Zionisten in der Bush–Administration das Sagen haben, womit er unter anderen Paul Wolfowitz, John Perle sowie das Jewish Institute for Security Affairs meinte.

Der prominente Autor und Friedensaktivist Mike Marqusee reagierte auf diese Auslassung mit einer vernichtenden öffentlichen Kritik; seitdem meidet Dalyell wohlweislich das Thema. Auf die Frage, wie antisemitisch die Friedensbewegung in England sei, reagiert Marqusee dennoch verärgert: »Wesentlich weniger als der Rest der Gesellschaft. Trotz der zahlreichen Dummheiten von Dalyell und anderen ist der Vorwurf Teil einer Schmutzkampagne, um die Bewegung zu diskreditieren«, sagte er der Jungle World.

Der Journalist Jonathan Freedman weist dagegen mit Recht darauf hin, dass Dalyells Auslassungen nur die Spitze darstellen. Was sie von vielen unterscheidet, ist, dass er »jüdisch« statt »zionistisch« sagte, was alle doch genauso gut verstanden hätten. Als kürzlich bei einer Fragestunde des BBC jemand fragte, wie viele Israelis denn nun eigentlich in der amerikanischen Regierung sind, zeigte er das Ausmaß der Verschwörungstheorien, die im Umlauf sind.

Für viele der britische Kriegsgegner sind Palästina und Irak ohnehin nur zwei Seiten derselben Medaille, und Bush ist der Erfüllungsgehilfe von Ariel Sharon. Interne Konflikte in der Bewegung wurden kaum zugelassen, um nicht die Einigkeit zwischen Sozialisten, Muslimen und Pazifisten zu gefährden. Dass die Kritik der Bewegung oft oberflächlich war, rächt sich.

Sicher, die Aktivisten werden nicht müde, sich selbst zur »größten Friedensbewegung der britischen Geschichte« zu gratulieren, die es beinahe fertig brachte, »den Premierminister zum Rücktritt zu zwingen«. Das ist nicht übertrieben. Aber solange der Krieg gegen den Terror eine Pause macht, ist sie orientierungslos. Sie braucht eine drohende Gefahr und ein konkretes Ziel. Beide sind ihr abhanden gekommen.