Generation Einheit

In Zypern wächst die Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung. von sabine küper, nikosia

Charis Achileos kann es kaum glauben. Wir stehen mit der 19jährigen in der endlosen Autoschlange am Grenzübergang, der vom Süden in das ehemalige Famagusta führt. Am Wegesrand sind türkische Wachtürme zu sehen, die entlang der Pufferzone an die traurige Teilungsgeschichte erinnern. Charis fährt das erste Mal in den Norden. Als die türkische Armee am 14. August 1974 den nördlichen Teil der Insel besetzte, war sie noch nicht geboren. Sie wuchs mit den Geschichten der Älteren auf.

Die Großmutter erzählte ihr vom schönen Strand von Kyrenia, den sie in ihrer Studentenzeit mit dem Großvater am Abend von Nikosia aus besuchte. Sie erlebte als Kind die Invasion wie einen Albtraum und musste mit den Eltern Nikosia verlassen, als die türkischen Kampfflugzeuge angriffen. Der Eindruck hat sich ihr tief eingeprägt.

Auch Charis sah den Norden lange Zeit als ein von Barbaren besetztes verlorenes Paradies. »Hellas, Kypros Enosis« war der Schlachtruf ihrer Kindheit, »Griechenland und Zypern sind eine Einheit«.

Ihe Meinung änderte sich, als sie Tanyel Cemal kennenlernte. Die gleichaltrige griechische Zypriotin nahm wie Charis vor drei Jahren an einem Programm der Organisation »Seeds of Peace« teil, einer internationalen NGO mit Sitz in den USA, die Jugendliche verfeindeter Nationalitäten zusammenführt, um langfristig eine Friedensbewegung aufzubauen. Israelis und Palästinenser, Serben und Bosnier sowie griechische und türkische Zyprioten lernten in Workshops, miteinander zu reden.

Charis und Tanyel wurden Freundinnen. Charis hörte zum ersten Mal, dass die griechische Junta, die vor der Teilung regierte, die gesamte Insel terrorisiert hatte. Griechenland und Zypern sollten gegen den Willen der meisten Einwohner gewaltsam vereint werden.

Tanyel lernte verstehen, wie viele griechische Zyprioten damals ihre Heimat verloren. Während ihre Großmutter, die damals in der südlichen Hafenstadt Paphos lebte, im Norden das Haus eines griechischen Zyprioten übernehmen konnte, mussten Tausende griechisch-zypriotischer Flüchtlinge aus dem Norden in Flüchtlingscamps siedeln.

Charis wird es angesichts der türkisch-zypriotischen Grenzbeamten mulmig. So oft hat sie in der Vergangenheit eine Sondergenehmigung beantragt und nicht bewilligt bekommen. Die türkisch-zypriotische Regierung verlangte bis zum 23. April von jedem griechischen Zyprioten, die Existenz der nördlichen Republik anzuerkennen. Eine Bedingung, die Charis niemals akzeptiert hätte. Schließlich hat sie, ebenso wie Tanyel, den Status quo immer bekämpft, denn beide wünschen sich eine Wiedervereinigung der Insel.

Wir erhalten ein gestempeltes Blatt, auf dem das Visum steht. Ein Kompromiss, mit dem beide Seiten leben können. In Charis’ Gesicht liegt eine verwirrte Anspannung, als wir durch die grüne schöne Landschaft des Nordens fahren. Der türkische Teil der Insel ähnelt dem reicheren Süden mehr, als Charis erwartet hätte. Auch hier fahren moderne Autos, wer hätte das vom Norden gedacht, den sie sich als arm und zurückgeblieben vorgestellt hat.

In Famagusta fahren wir an der Universität des östlichen Mittelmeers vorbei. Charis wird melancholisch. Gerne hätte sie Tanyel und ihren Freund Erdem auf dem Campus besucht. Doch Tanyel studiert inzwischen mit einem Stipendium in den USA englische Literatur und Erdem Flugzeugbau.

Auch Charis ist nur für eine Woche zu Besuch auf der Insel, dann geht es zurück in das griechische Patra, dort studiert sie Medizin. Nach der Ausbildung wird sie zurückkehren, denn im Süden sind die Berufsaussichten für qualifizierte Leute hervorragend.

Anders im Norden. Fast 80 000 türkische Zyprioten sind seit 1974 ausgewandert, weil sie keine berufliche Zukunft sahen. So auch Tanyel und Erdem. Als Mitglieder der Friedensbewegung standen sie außerdem auf der schwarzen Liste der Regierung und hätten niemals einen Job im Staatsdienst bekommen. Ein Verlust, mit dem sie leben können. Denn wegen des seit fast dreißig Jahren bestehenden wirtschaftlichen Embargos sind die Gehälter so niedrig, dass die meisten Beamten einen Nebenjob haben oder korrupt sind.

Wir nähern uns Tanyels Heimatdorf Büyükkonuk, das Charis als »Dorf der Vermissten« kennt. Viele griechisch-zypriotische Dorfbewohner wurden als Anhänger der grichischen Enosis-Bewegung getötet und gelten als vermisst, da ihre Leichen nie gefunden wurden.

Wie viele Zyprioten hat Tanyels Vater Ismail Cemal über zwanzig Jahre lang im Ausland gelebt. In Kanada hat er seine Frau kennen gelernt, bevor sie vor fünfzehn Jahren auf die Insel zurückkehrten. Anders als die meisten ehemals Vertriebenen beanspruchte Cemal keine Entschädigung für seine verlorenen Immobilien im Süden. Er kaufte ein Grundstück in Büyükkonuk und baute sich ein Haus, denn auch er unterstützt seit Jahren die Wiedervereinigung.

Cemal erinnert daran, dass seit der Teilung 29 Jahre verstrichen sind, in denen sich viel verändert hat. Die Kinder sehen in den ehemals besetzten Häusern ihre Heimat, türkische Siedler kamen hinzu, die sich vor allem auf der malerischen Landzunge von Karpasia niederließen, wo auch Büyükkonuk liegt. Die Hälfte der Dorfbevölkerung sind türkische Siedler, die längst zypriotische Pässe haben. Sie gehören zu den Stammwähler des Staatspräsidenten Rauf Denktas, der seit 1975 den Norden autoritär regiert.

Doch seine Herrschaft scheint sich dem Ende zuzuneigen. Nicht nur Oppositionelle wie Ismail Cemal beteiligten sich im Frühjahr an von der Oppositionspartei CVP veranstalteten Demonstrationen. Sie plädierten für die Anerkennung des Annan-Planes, der vorsah, das nördliche und südliche Zypern unter einem gemeinsamen Dach zu vereinen.

Vor allem die Menschen im Norden wünschen, dass sich der politische Status quo so schnell wie möglich ändert, damit ganz Zypern im kommenden Jahr Mitglied der EU werden kann. Die unerwartete Öffnung der Grenzen wird als politische Reaktion auf diese Massenproteste gesehen. Im Dezember sind Wahlen, und Denktas versucht nun, seine Dynastie fortzuführen, indem er seinen Sohn Serdar die Demokratiepartei gründen und zum Wortführer für die Öffnung avancieren ließ.

Es ist Zeit zum Abschied, Charis fliegt am nächsten Tag zurück nach Griechenland. Sie ist aufgeregt und träumt davon, dass es vielleicht bald zu einer Wiedervereinigung kommt. Ismail und Lois Cemal lächeln still. Sie können daran noch nicht recht glauben.