KGE geht aufs Ganze

Mal kurz durchatmen? Nicht mit den Grünen! Die Mehrheit der Partei unterstützt die Agenda 2010. Der Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt kann der Sozialabbau gar nicht schnell genug gehen. von stefan wirner

Bilder sagen manchmal alles. Auf der in den Farben blau und orange gehaltenen Homepage Katrin Göring-Eckardts ist ein Foto von ihr zu sehen, auf dem sie versucht, wie Mona Lisa zu lächeln. Im Hintergrund grüßt keine Sonnenblume, wie man es früher vielleicht von einer grünen Politikerin erwartet hätte, sondern der Reichstag mit einer wehenden Deutschlandfahne. Das soll wohl heißen, dass Deutschland hinter Göring-Eckardt stehe.

Tatsächlich sorgt sich die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag um die Zukunft des Landes. Deshalb erwägt sie Maßnahmen, die längst die unsozialen Vorstellungen der FDP übertreffen. Göring-Eckardt ist die Wortführerin der Mehrheit in ihrer Partei, die glaubt, dass für die Arbeitslosen und die Rentner hierzulande nichts weitergehen könne wie bisher.

In der vergangenen Woche hatte »KGE«, wie sie in ihrer Partei gerne genannt wird, wieder einmal Grund zur Freude. Als Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) bemerkte, dass er noch einmal zusätzlich 15 Milliarden Euro einsparen muss, um für das Jahr 2004 wenigstens einen verfassungsgemäßen Etat aufstellen zu können, räsonierte er darüber, den Bundeszuschuss zu den Renten zu kürzen. 73 Milliarden Euro zahlt der Bund derzeit jährlich in die Rentenkasse. Hier will sich der Bundesfinanzminister bedienen.

Göring-Eckardt verkündete umgehend ihre Zustimmung. »Wir müssen auch über die Rentenformel reden. Rentenerhöhung und Rentenniveau stehen zur Debatte«, sagte die 37jährige Thüringerin der Leipziger Volkszeitung. »Es gibt sehr viele Rentnerinnen und Rentner, denen eine Nullrunde bei der Rentenanpassung nichts ausmacht und bei denen man durchaus an eine Absenkung des Rentenniveaus denken kann.«

Der Versuchsballon war losgeflogen, anschließend konnten sowohl die Grünen als auch das Bundesfinanzministerium ihre Pläne erst mal wieder dementieren. Göring-Eckardts Kollegin im Fraktionsvorsitz, Krista Sager, sagte dem Hamburger Abendblatt, im Gespräch sei lediglich eine Verschiebung der Rentenerhöhung im Jahr 2004.

Das dürfte Göring-Eckardt nicht so gerne gehört haben, denn die »Generationengerechtigkeit«, wie die Kürzung der Renten bei ihr heißt, liegt ihr am Herzen. Und sie will noch mehr. Kürzlich stellte sie zusammen mit der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Grünen, Thea Dückert, ein Papier vor, in dem sie Vorschläge zur Senkung der Arbeitslosenrate unterbreiteten.

»Solidarität in Bewegung: Chancen für alle«, ist der Text überschrieben. Es gehe um ein »neues Verständnis vom Sozialstaat«. »Wir wollen einen aktivierenden Sozialstaat, einen, der die Menschen nicht zur Passivität verurteilt, der sie nicht ausschließt und zu unmündigen Empfängern von staatlichen Alimentationen macht.« Sollten die Ideen Göring-Eckardts und Dückerts sich durchsetzen, dürfte sich mancher Arbeitslose bald mit Wehmut an die Zeiten erinnern, da er zur Passivität verurteilt war. Denn geht es nach den beiden Politikerinnen, wird Arbeitslosigkeit demnächst ein Fulltimejob.

»Dieses Angebot ist ein Bewegungsangebot«, drohen sie. »Jeder und jede wird aktiv und bekommt ein Angebot: Vermittlung, Unterstützung und persönliches Coaching durch das Job-Center.« Jeder Bürger solle sich sagen: »Ich mache mit, ich bewege mich, ich entwickle mich für und mit dem Ganzen, denn jede und jeder, der und die kann, soll einen Beitrag für die Gesellschaft leisten.« Dabei sollen die Job-Center in »Eigenverantwortung« handeln, sie würden eine »verordnungsfreie Zone«. Es gehe gar um die Schaffung einer »Infrastruktur der Eigenverantwortung«, um eine »Ethik der Unterstützung«. Und so sieht sie aus, diese Ethik: »Der Staat stellt das Spielfeld, die Trainer und die Grundregeln. Alles, was darüber hinausgeht, liegt in der Verantwortung jedes einzelnen.«

Spätestens an dieser Stelle fragt man sich, ob diese Thesen noch Gegenstand einer politischen Kritik sein können oder nicht eher einer chronischen Überarbeitung der Verfasserinnen geschuldet sind. Doch sie meinen es ernst. Und ihre Sache ist ernst. Denn so viel von der Eigenverantwortung der »KundInnen der Job-Center« die Rede ist, am Ende drohen immer »Sanktionen«. Und über »die Form der Eigeninitiative ist regelmäßig Rechenschaft abzulegen«. Wer bliebe da nicht lieber unmündig?

Das Papier folgt einer Grundidee: Ist keine Arbeit da, so tun wir einfach so als ob. Die Hauptsache ist, jeder wird vermittelt. Egal wohin. »KundInnen der Job-Center können ihre Fähigkeiten auf dem Markt der Fähigkeiten anderen KundInnen der Job-Center anbieten«, heißt es etwa. Ein genialer Plan: Ein Arbeitsloser stellt einfach einen Arbeitslosen ein. Der erste wird somit Unternehmer, der zweite bekommt einen Job. Und was tun sie dann?

Ähnlich phantastisch klingt der Plan, Bürgern zu ermöglichen, »Stiftungen zur Beschäftigungsförderung« zu gründen. »Erwerbslose, die sich am Aufbau eines Stiftungswerkes persönlich beteiligen wollen, können hierüber einen befristeten Beschäftigungsvertrag mit dem Job-Center abschließen.« Und was wird gearbeitet? Und wieviele »Fallmanager« wollen Göring-Eckardt und Dückert eigentlich in den Job-Centern beschäftigen? Bei der Größe der Aufgabe dürften es nicht wenige sein. Vielleicht ist das ja der geheime Plan: Fünf Millionen Arbeitslose werden zu ihren eigenen Fallmanagern. Vollbeschäftigung!

Die wenigen innerparteilichen Gegner Göring-Eckardts und der Bundestagsfraktion schütteln angesichts solcher Pläne nur noch den Kopf. Die Landtagsabgeordnete Barbara Steffens forderte kürzlich auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Grünen in Düsseldorf: »Wir müssen gegen unsere Leute die Diskussion führen und sie gewinnen, damit dieses Land gerecht bleibt.« Es ließe sich jedoch auch trefflich darüber streiten, wie gerecht dieses Land momentan ist.

Ende April veröffentlichten grüne Gewerkschafter einen Aufruf unter dem Motto: »Solidarität statt Ausgrenzung«. Carsten Peters vom Kreisverband Münster, in dem der Aufruf ausgearbeitet wurde, sagte der Jungle World, es fänden sich immer mehr Gewerkschafter in der Partei zusammen. Es gebe »große Meinungsunterschiede zwischen der Basis und der Parteiführung«, die auch auf dem Sonderparteitag vom 14. bis zum 15. Juni in Cottbus ausgetragen würden. Dort sollen die Grünen Gerhard Schröders Agenda 2010 zustimmen.

»Bei uns ist die Streitkultur stärker als bei der SPD«, glaubt Peters, »es wird kritisch zur Sache gehen.« Wenn man höre, was die Parteiführung zur Rente gesagt habe, könne man nur noch »den Schrecken kriegen«. Göring-Eckardt und Dückert hätten die Begriffe »umdefiniert«, ihr vorgelegtes Papier erinnere an den »Orwellschen Neusprech«.

Für Wilhelm Achelpöhler ist es nur noch »bizarr, das nackte Grauen«. Manche in der Parteiführung gebärdeten sich wie »Musterschüler des Neoliberalismus«. Achelpöhler ist Sprecher des Kreisverbandes Münster und arbeitete mit Gleichgesinnten einen Gegenantrag für den Cottbuser Parteitag aus, in dem u.a. die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine Arbeitszeitverkürzung gefordert werden. Über hundert Parteimitglieder aus dem ganzen Bundesgebiet unterstützten den Antrag inzwischen. Doch die Chancen seien gering. »Die Parteiführung will diese neoliberale Politik«, sagt Achelpöhler.

Denn sie sei »alternativlos«, wie die Führung der ehemaligen »Alternative im Parteiensystem« nicht müde wird zu betonen. Die Arbeitslosen und die Lohnabhängigen, die Rentner und die Kranken werden diese Alternativlosigkeit zu spüren bekommen. Göring-Eckardt sagt, warum das nötig sei: »Damit es mit Deutschland wieder aufwärts geht!« So steil wie mit ihr.