Rheinische Ungemütlichkeit

In Köln leben rund 200 Flüchtlinge unter schlechten Bedingungen auf einem Schiff. Die schwarz-grüne Koalition im Stadtrat sagte schon vor langer Zeit Abhilfe zu. von sebastian sedlmayr

Flüchtlingsschiffe sind bekannt für ihre riskanten Fahrten, zum Beispiel über die Grenzen der Europäischen Union. Zwischen Albanien und Italien, Marokko und Spanien, Russland und den EU-Ländern auf der anderen Seite der Ostsee haben sich Pendeldienste etabliert; die Schleuser machen Geschäfte mit dem Wunsch der Menschen, in die Festung Europa einzudringen. Ein ganz anderes Flüchtlingsschiff liegt derzeit im Herzen der Europäischen Union vor Anker. In Köln, unter einer Brücke im Zentrum der Stadt, schaukelt die »Transit« in den Wellen des Rheins.

Was zunächst idyllisch und komfortabel klingt, ist für die rund 200 Bewohner des Schiffs mit der Anschrift »Alfred-Schütte-Allee 00« alles andere als angenehm. Die engen Kabinen mit ihren vier bis acht Etagenbetten auf zwölf Quadratmetern bieten kaum Platz genug zum Umdrehen. Ihre Fenster lassen sich nicht öffnen, sodass die Luft zum Schneiden ist. »Vom Schaukeln des Bootes wird mir schlecht«, klagt Alisa R. aus Montenegro. Aus der Großküche auf dem Oberdeck gibt es dreimal täglich Einheitsessen – ohne Rücksicht auf den individuellen Geschmack oder Appetit. »Das Essen ist miserabel«, sagt ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will, »sonst spuckt man uns in die Suppe«. Immer wieder tauchen Sicherheitsmängel auf. Vor einem Monat riss ein Teil der Absperrung ab, die vor Stürzen in den Fluss bewahren soll. Das Loch wurde notdürftig gesichert, kurz bevor eine israelische Besuchergruppe kam.

Die meisten Schiffsbewohner kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien, viele machten zuvor Station in Italien. Sie können daher in Deutschland kein Asyl beantragen, denn wer über ein »sicheres Drittland« einreist oder über andere Staaten, die sich am Schengener Abkommen beteiligten, muss dort seinen Antrag stellen. Oder die Gerichte stellen nach einem Asylantrag fest, dass den Flüchtlingen in ihrem Heimatland »keine Verfolgung droht«, und sie werden gleich ins nächste Flugzeug gesetzt. Eine Weile »geduldet« zu werden, bis sich ein Kriterium für die Abschiebung ergibt, bedeutet fast schon einen Glücksfall.

Am schwierigsten ist die Situation für die Kinder, die rund die Hälfte der Bewohner des Schiffes ausmachen. Sie langweilen sich. Denn sie haben keine Betreuung und keinen Platz zum Spielen. »Nicht mal Spielzeug haben wir«, sagt ein kleiner Junge. Häufig ignorieren sie oder ihre Eltern die Schulpflicht. Eigentlich dürften die Kinder gar nicht da sein. Der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) beteuerte vor dem Anlegen des Schiffes, dass dort keine Kinder untergebracht würden. Doch nun wohnen 90 Kinder in dem schwimmenden Flüchtlingsheim, darunter 47 schulpflichtige. Von der Verwaltung werden sie ignoriert. Und Schramma äußerte sich seit Monaten nicht mehr öffentlich über das Flüchtlingsschiff.

Eine Koalition aus CDU und FDP hatte es samt Betreiber im Dezember vorigen Jahres angeheuert. Es war somit Bestandteil der schwarz-gelben Kölner Flüchtlingspolitik, die sich das erklärte Ziel gesteckt hatte, Neuankömmlinge abzuschrecken, um die Zahl der Flüchtlinge zu senken. Denn ihre Versorgung kostet die Stadt Geld. Rund 3 500 Asylsuchende und Geduldete sind derzeit in Köln untergebracht.

Ein Großteil der Flüchtlinge, die heute auf dem Schiff leben, haben bereits eine Odyssee durch die nordrhein-westfälische Stadt hinter sich. Zuletzt waren sie in Containern auf dem Gelände der ehemaligen Chemischen Fabrik Kalk untergebracht. Dort besorgte das Rote Kreuz die umstrittene Einheitsverpflegung. CDU und FDP wollten das Versorgungskonzept auf weitere Wohnheime ausdehnen, scheiterten aber mangels Vertragspartner. Zuletzt zog die Firma Apetito am 2. Oktober 2002 ihr Angebot »aufgrund unerwarteter Proteste« gegen die Sammelverpflegung zurück. Die FDP gestand daraufhin ein: »Die Ausweitung der Zentralverköstigung lässt sich nicht durchsetzen.« Ihr Fraktionsvorsitzender Ralph Sterck sagte zu, dass die Liberalen »nicht weiter auf Umsetzung drängen« würden. Aber mit dem Schiff führte die schwarz-gelbe Mehrheit im Stadtrat die Zwangsverpflegung durch die Hintertür wieder ein: Der Betreiber verkauft Unterbringung, Reinigung und Küche an die Stadt.

Die Flüchtlingsorganisation Kein Mensch ist illegal empfing die »Transit« am 9. Dezember 2002, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, mit einer aufwändigen Aktion. Rund 40 Aktivisten besetzten das Schiff, banden sich mit Kletterseilen an der Reeling fest. »Das Boot bleibt leer«, riefen sie. Doch es nützte nichts. Sukzessive füllte das Ausländeramt das Boot mit Flüchtlingsfamilien.

Zwei Monate später keimte bei den Flüchtlingen und den Hilfsorganisationen Hoffnung: Die Grünen lösten die FDP als Koalitionspartner der CDU ab. Und sie hatten zuvor ebenso vehement gegen die Unterbringung auf dem Schiff protestiert wie die PDS: »Menschenunwürdig«, hieß es unisono. Im Koalitionsvertrag verankerten die Grünen den Passus: »Das Schiff als Unterbringungsmöglichkeit für Flüchtlinge soll zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgegeben werden.« Weiter heißt es: »Es besteht Einvernehmen, dass auf Sammelverpflegung verzichtet wird.« Das war am 4. Februar.

Bis heute füllt sich das Schiff weiter mit Flüchtlingen. Die Sammelverpflegung ist nicht abgeschafft. Der Vertrag mit dem Betreiber ist nicht gekündigt. Schon vor Wochen sollte ein gemeinsamer Antrag der schwarz-grünen Koalition fertig sein, um das Ende des Flüchtlingsschiffes zu besiegeln. Doch er steckt in den Gremien fest. Die grüne Fraktionsvorsitzende Barbara Moritz erklärte ihren skeptischen Parteifreunden Anfang der vorletzten Woche, sie sei »sehr zuversichtlich, dass wir es im Juni hinkriegen«.

Der Druck auf die Grünen wächst. So hat Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat »nach 77 Tagen Schwarz-Grün« konstatiert: »Null, rein gar nichts hat sich geändert.« Er ärgert sich über die Untätigkeit der Ratskoalition, die das Schiff »zu einer Dauereinrichtung« mache. So weit soll es nach dem Willen der Grünen nicht kommen. Bis zur nächsten Ratssitzung am 17. Juni soll der Antrag mit der CDU stehen und zustimmungsfähig sein.

Bis die »Transit« aber endgültig wieder ablegt, werden noch ein paar Monate vergehen. Der Vertrag mit der Betreibergesellschaft ist nur zum Ende des Jahres kündbar.

Vom 31. Juli bis 10. August 2003 findet in Köln das 6. antirassistische Grenzcamp unter dem Motto »Out of Control« statt. Ein Thema wird die Abschiebe- und Abschreckungspolitik der Stadt Köln, der Bundesrepublik und der EU sein. www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp03/