Der Lange See

Sight Seeing I

Bei Berlin-Grünau denken viele Leser vermutlich vor allem an den Abschiebeknast und die Versuche, diesen aus der Welt zu schaffen. Dass es dort auch einen Badesee gibt, der streng genommen ein breiterer Fluss ist, beweist der Stadtplan. In Nord-Süd-Richtung fließt hier die Dahme und wird zum Langen See, einem Freizeitgewässer mit regem Bootsverkehr, Regattastrecke und bewaldeten Ufern. Mit der S-Bahn ist man von Kreuzberg aus in einer halben Stunde am Bahnhof Grünau. Weiter geht es per Tram oder Fahrrad ins Zielgebiet auf der Westseite des Sees oder mit der BVG-Fähre ans Ostufer nach Wendenschloss.

Badewillige finden beiderseitig auf mehreren Kilometern Badestellen, Lichtungen und Ministrände. An schönen Tagen sind die Uferbereiche gut besucht, aber aufgrund der Länge des Sees, die ihm seinen Namen gab, wird es nicht eng. Vorwiegend deutsche Stammgäste aus den Ostbezirken tauschen Ratschläge und Wetterprognosen aus und lassen sich regelmäßig zu Wasser.

Glaubt man den Angaben des Landesamts für Gesundheitsschutz, ist die Wasserqualität hervorragend. Es schwimmt sich gut im Langen See, der Sandboden ist weitgehend frei von Unterwasserpflanzen. An beiden Ufern gibt es auch Freibäder: Das Strandbad Grünau ist allerdings diesen Sommer ohne Pächter verwaist; dafür ist das Wendenschloss-Freibad mit 2,50 Euro Eintritt eines der billigsten in Berlin.

Waterworld: Kajaks, kleine Yachten und Lastkähne schippern über den See, ohne die Badenden zu beeinträchtigen.

Sonnenschutzfaktor: Schatten spenden viele Bäume, die bis ans Wasser reichen. Sonnenmilch kann man sich bei den tiefgebräunten Einheimischen leihen.

Körperwelten: Fließende Übergänge zwischen Textil- und Nacktbadern, überwiegend FKK an der Bammelecke (Westufer) sowie bei Marienlust (Ostufer).

Fashion: Verspiegelte Sonnenbrillen und schlichte Bademode sowie H&M-Bikinis der vergangenen Saison.

Sanitäre Einrichtungen: Dichtes Unterholz allerorten, allerdings stößt man auf Hinweisschilder, die das Gebiet zur Trinkwassergewinnung ausweisen und deshalb Verunreinigungen untersagen.

Kulinarisches: Die Infrastruktur ist völlig unterentwickelt. Keine Pommes. Kinder fragen die Eltern vergebens nach dem Eismann. Grillen ist out, wer es trotzdem tut, erhitzt nicht nur sein Fleisch, sondern auch die Gemüter.

Geschlechterverhältnis: Optimal gemischt, Paare und Familien, Jungs- und Mädchengruppen aller Altersklassen.

Köter: Jugendliche Halter werden von ihren Kampfhunden die Wege entlang gezerrt, beide sollten Maulkörbe tragen, tun es aber nicht.

Nazifaktor: Nur wenig offensichtliche Glatzen. Unter den Jugendlichen hoher Prollfaktor.

Spannerfaktor: Ausreichend Deckung und kleine Lichtungen vorhanden, aber nicht überdurchschnittlich genutzt.

Special Facts: Die Fähre bei Schmöckwitz am Südende des Sees fährt seltener als die Wendenschlosser; man wartet dort immer eine halbe Stunde. Und am Ostufer ist viel länger Sonne.

arne norden