Fight Club am Main

In Frankfurt werden Linke schon mal von anderen Linken verprügelt. Die Szene meint, die Antideutschen hätten sich die Übergriffe selbst zuzuschreiben.

Frankfurt im Jahr 2003. Fischer und seine Putztruppe haben sich aus dem Staub gemacht, von der Startbahn West heben ungestört die Flugzeuge ab, und Straßenschlachten hat man lange nicht mehr gesehen. Doch der unbändige Tatendrang einiger Linker findet selbst in diesen Zeiten sein Ziel: andere Linke.

Mitte April wurden bei einem Konzert im Frankfurter Wohnprojekt »Au«, wo ab und zu auch politische Veranstaltungen stattfinden, mehrere Besucherinnen und Besucher mit Faustschlägen und Tritten angegriffen. Sogar Leute, die die Auseinandersetzung schlichten wollten, bekamen Schläge ab. Anlass war die von einem der Angegriffenen mit Filzstift an eine Wand des Konzertraumes geschriebene Parole »Save Israel«.

Bei den Angegriffenen handelte es sich um eine Gruppe von Freunden, doch seit den Übergriffen werden sie in Stellungnahmen und Diskussionen als die »Antideutschen und ihr Umfeld« bezeichnet. Es sei »aufgrund von Aussagen, Aktivitäten und/oder Veröffentlichungen dieser Leute hinreichend bekannt, dass es ihnen nicht allein um einen Einsatz für das Existenzrecht Israels geht (eine Position, die wir unterstützen), sondern um die Propagierung einer äußerst umstrittenen Politik. Mit diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Parole ›Save Israel‹ für erheblich mehr steht, als es erst einmal den Anschein hat«, heißt es in einer Stellungnahme der »Au«-Veranstaltungsgruppe zu den Vorfällen. Die Leute seien »bekannt für ihre fragwürdige Israelpolitik«.

Genannt wird dabei immer wieder die linksradikale Gruppe Sinistra, die aus ihrer Solidarität mit Israel keinen Hehl macht und in Frankfurt seit geraumer Zeit als Synonym für die »Antideutschen« steht. Bereits im April 2002 wurde ein Mitglied der Sinistra im »Café Exzess« beschimpft und geschlagen. »Der Mossad hat wohl schon Feierabend«, hieß es. Das »Exzess« ist ein Café mit einem Infoladen und einer Konzerthalle, in der Theateraufführungen und Vorbereitungstreffen für politische Aktionen stattfinden.

Schon damals fand dieses Vorgehen zum Teil offene Unterstützung. Da man glaubte, die Mehrheit der Linken, die sich in der »Au« und im »Café Exzess« treffen, hinter sich zu haben, folgten immer wieder Rempeleien, Pöbeleien und Gewaltandrohungen gegen Antideutsche auf Demonstrationen und bei Konzerten.

Für die »Au«-Veranstaltungsgruppe seien die Angegriffenen »Opfer eines selbst initiierten Vorfalls«, den sie jetzt dafür nutzten, ihre »spezifische Linie von aggressiver Politik« weiterzuführen. Die Veranstaltungsgruppe habe lediglich ihr Hausrecht wahrgenommen, denn »bei unseren Veranstaltungen behalten wir uns selbstverständlich (…) vor, Leute, die versuchen, uns, unsere Bands oder unser Publikum zu provozieren, von dieser Veranstaltung auszuschließen«.

Dieser Sichtweise schließt sich der größte Teil der Szene an, die in der »Au« und im »Exzess« verkehrt. Nur wenige Gruppen und Einzelpersonen in Frankfurt verurteilten die Vorfälle, darunter die Sinistra, die Redaktion des Magazins diskus und ein Großteil der ehemaligen Antifa G.

Seitdem werden von der »Au« und dem »Café Exzess« immer wieder Hausverbote ausgesprochen. Da die »Au« und das »Exzess« die einzigen selbst verwalteten Räume in Frankfurt sind, können politische Veranstaltungen, Partys oder Konzerte von einigen Linken inzwischen nicht mehr besucht werden. Aus Angst vor Übergriffen blieben einige Antifaschisten erstmals dem »Au«-Fest in der vergangenen Woche fern.

Die Vorfälle bestätigen eine Entwicklung, die in Frankfurt schon seit Jahren zu beobachten ist: die fortschreitende Entpolitisierung von Teilen der linksradikalen Szene, die einhergeht mit stärker werdenden Abgrenzungs- und Abwertungsbemühungen gegen andere linke Gruppen. So hat sich die Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt auf eine rein selbstbezügliche Ebene verschoben, die sich gegen alles Außenstehende richtet und sich nur noch über Codes definiert. Neben die Sprüche »Ficken gegen Fremdenhass« und »Kickers forever« wird dann eben auch ein Davidstern oder eine proisraelische Parole an die Toilette gemalt. Das Niveau von Toilettensprüchen wird dann nur noch von denjenigen unterboten, die darauf mit Gewaltausbrüchen reagieren.

Dass die Schläge in Erklärungen gerechtfertigt werden, zeigt den Zustand der linken Streitkultur in Frankfurt an. Immer aggressiver wird die eigene Identität verteidigt, und am Ende steht die unpolitische Selbstghettoisierung. Hierfür wird eine Menge Energie aufgebracht, die bei politischen Aktionen fehlt.

Als etwa ein antisemitischer Bürgerhaufen die Feier zur Benennung einer Brücke nach Ignatz Bubis störte, gab es keine Intervention. Auch von einem Widerstand gegen den rechtspopulistischen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) ist in Frankfurt nicht viel zu spüren. Als Koch im Dezember vergangenen Jahres sagte, wenn der Vorsitzende von Verdi, Frank Bsirske, die Namen von Reichen in Deutschland aufzähle, sei dies eine »neue Form von Stern an der Brust«, schwiegen die meisten Frankfurter Linken. Selbst die Aktionen gegen die Hauptversammlung der IG-Farben werden von der Frankfurter Szene kaum mehr wahrgenommen, geschweige denn unterstützt. Oftmals lautet die Begründung, die Proteste seien antideutsch.

Die Antideutschen sollen auch nicht mehr zu Wort kommen. Vor einer Versammlung im »Exzess« wurde ein Handzettel verteilt, der von »den linken Frankfurterinnen« unterzeichnet war. Darin hieß es: »Wir werden heute verhindern, dass Teile der Sinistra und ihres Umfeldes im ›Exzess‹ ein Statement zu den Vorfällen (…) in der ›Au‹ abgeben. Das antideutsche Spektrum in Frankfurt provoziert und nutzt seit geraumer Zeit Vorfälle, um sich in der linken Szene als Opfer zu präsentieren. Durch die in den Vordergrund gestellte Opferrolle und die Vermischung dieser mit politischen Inhalten soll die Szene gespalten werden. (…) Wir wollen diesen Leuten kein Forum bieten, ihre Lügen weiterzuverbreiten.«

Eine der angegriffenen Personen hingegen sagt: »Dass die Schläge von vielen gerechtfertigt werden, ist ein politisches und persönliches Armutszeugnis und Ausdruck der Entpolitisierung der Szene.« Deshalb haben sich inzwischen Betroffene, studentische Gruppen und Leute aus ehemaligen Antifa-Initiativen zusammengetan, um die momentane Situation in der Frankfurter Szene zum Thema zu machen. »Das ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit für eine Repolitisierung der Debatte, wobei sich schon auch die Frage stellt, wen man damit überhaupt noch erreichen kann.«