Kein Vor und kein Zurück

Seit Mitte Mai lagern 700 Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo an der mazedonisch-griechischen Grenze. Sie fordern die Einreise in die EU. von boris kanzleiter, belgrad

Medzitlija heißt der Ort, in dem seit drei Wochen 700 der machtlosesten Bürger des Kontinents der Festung Europa gegenüberstehen. An diesem Grenzübergang zwischen Mazedonien und Griechenland haben die Roma-Familien seit dem 19. Mai notdürftig Zelte aufgebaut und fordern die Einreise in die EU. Seit vier Jahren sind sie auf der Flucht. Im Sommer 1999, im Anschluss an den Nato-Krieg gegen Jugoslawien, wurden sie von albanischen Nationalisten zusammen mit 250 000 anderen Menschen aus dem Kosovo vertrieben. Während die meisten der Flüchtlinge in Serbien Unterschlupf fanden oder durch Montenegro in die EU flüchteten, wurden die Roma von Medzitlija in einem Camp des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Shuto Orizari nahe der mazedonischen Hauptstadt Skopje interniert, das sie nun wegen unhaltbarer humanitärer Zustände und der Diskriminierung durch die mazedonischen Behörden verlassen haben.

Für die Roma am Grenzübergang gibt es kein Vorwärts und kein Zurück. Asmet Elezovski vom Roma National Congress erklärt der Jungle World die Gründe für den Aufbruch zur griechischen Grenze: »Die Situation in Shuto Orizari war sehr schlecht. Die Leute wohnten in Holzbaracken, in denen teilweise die Türen fehlten oder die Löcher in den Wänden hatten. Viele der Flüchtlinge, vor allem Kinder, waren krank und ohne ausreichende medizinische Versorgung. Die Wasser-, Elektrizitäts- und Nahrungsmittelversorgung wurde reduziert.« Das Camp wurde von der Polizei bewacht und auch der Zugang für Journalisten unterbunden. (Jungle World, 9/02)

Die Vorwürfe richten sich an die Adresse des UNHCR und der mazedonischen Behörden. »Das UNHCR in Mazedonien kommt seinen Aufgaben nicht nach«, klagt Elezovski, »statt an einer Zukunft für die Flüchtlinge aus dem Kosovo zu arbeiten, wird seit vier Jahren auf ihrem Rücken improvisiert.« Seit 1999 gelten die Roma-Flüchtlinge in Mazedonien als »vorübergehend geschützte Personen«. Dieser prekäre Status, vergleichbar mit der vorübergehenden Duldung ausreisepflichtiger Kriegsflüchtlinge in Deutschland, muss alle sechs Monate von den Behörden verlängert werden und bedeutet kein dauerhaftes Bleiberecht oder eine Arbeitserlaubnis. Bereits im vergangenen August demonstrierten mehrere Hundert Roma aus dem Kosovo drei Wochen vor dem Büro des UNHCR in Skopje für ein unbeschränktes Bleiberecht. Ohne Erfolg.

Im Gegenteil, ihre Situation hat sich, vor allem in den vergangenen Monaten, weiter verschlechtert. Elezovski berichtet von Übergriffen der mazedonischen Polizei in Shuto Orizari. »Vor kurzem hat die Polizei eine Gruppe von Roma zusammengeschlagen, als sie gegen die Entscheidung des UNHCR protestierte, das Bildungsprogramm im Camp zu streichen.« Außerdem hätten albanische Nationalisten in Mazedonien die Übergriffe auf Roma fortgesetzt. »Roma-Flüchtlinge wurden auf der Straße von Albanern verprügelt, teilweise auch von Mazedoniern«, sagt Elezovski. Bereits im Winter vor einem Jahr, einige Monate nach dem Auftauchen des Ablegers der albanisch-nationalistischen UCK in Mazedonien, hatten Sprecher der Roma in Shuto Orizari der Jungle World von Übergriffen berichtet.

Auslöser des aktuellen Protests ist die Entscheidung des UNHCR, das Camp aufzulösen und die Roma stattdessen verstreut in anderen Unterkünften unterzubringen. In einem Protestbrief vom 30. Mai an den Präsidenten der EU-Kommission, Romano Prodi, schreiben sie, dass sie fürchten, in »fensterlosen Kellern« zu landen, in denen »sechs, acht oder zehn Flüchtlinge in einem Raum leben«. In dem Brief heißt es weiter: »Wegen der Behandlung, der wir in Mazedonien unterworfen sind, glauben wir nicht, dass wir in diesem Land in Sicherheit und Würde leben können.«

Die von den Roma vier Jahre lang geforderte Rückkehr ins Kosovo ist aufgrund der anhaltenden Übergriffe auf ethnische Minderheiten in der von der UN verwalteten Provinz unmöglich. Daher haben sich die Flüchtlinge aus Shuto Orizari entschlossen, an die nahe griechische Grenze zu ziehen. In dem Brief an Prodi heißt es: »Wir fordern die EU und die Regierungen der EU auf, uns eine Niederlassung und Integration in den Ländern der EU zu erlauben.« Einige von ihnen sind bereit, für diese Forderungen sehr weit zu gehen. »Wir haben nur eine Wahl: Entweder wir sterben hier in Medzitlija oder wir werden Bürger irgendeines westlichen Landes, das uns Asyl gibt«, erklärte einer der Sprecher der Roma, Bekir Krasniqi, der mazedonischen Tageszeitung Dnevnik.

Der mazedonische Parlamentarier Nezhdet Mustafa, der die Proteste unterstützt, meint: »Diese Leute sind keine Abenteurer. Sie können nicht ins Kosovo zurückkehren, weil dort niemand für ihre Sicherheit garantiert. Hier in Mazedonien können sie für sich und ihre Kinder keine glückliche Zukunft finden. Deshalb sollte die Forderung nach einer Einreise in die EU ernst genommen werden.« Gleichzeitig sagt er: »Leider handeln die verantwortlichen internationalen Institutionen, als wollten sie sich mit dem Problem nicht beschäftigen. Sie tun so, als ob es nicht existierte und man es nicht lösen müsste.«

Mit dieser Einschätzung liegt Mustafa allerdings falsch. Die verantwortlichen Politiker in der EU sind sich sehr wohl bewusst, wo das Problem liegt. Nur besteht ihr Lösungsvorschlag genau darin, wogegen die Roma in Medzitlija protestierten. Die EU-Staaten wollen Kriegsflüchtlinge am besten überhaupt nicht über ihre Außenmauer lassen. Und wenn sie es doch geschafft haben, werden sie nach dem Willen der Innenminister so schnell wie möglich wieder abgeschoben. Erst im Mai hat die deutsche Innenministerkonferenz nochmals bestätigt, dass Roma aus dem Kosovo grundsätzlich ausreisepflichtig sind. In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu Abschiebungen.

Die Innenminister der EU diskutieren derweil über die Einrichtung von Lagern außerhalb der EU, um Flüchtlinge schon vor den Grenzen abzufangen und zu internieren. Diese Lager sollen sich nach der Vorstellung des britischen Premierministers Tony Blair am australischen Modell orientieren. Dort werden Flüchtlinge, die von den Behörden auf See oder an den Küsten aufgegriffen werden, in bewachte Zentren außerhalb des australischen Hoheitsgebiets auf die Insel Nauru und nach Papua Neuguinea gebracht. Dort wird über Asylanträge entschieden, so dass nur die wenigen anerkannten Flüchtlinge nach Australien gelangen. In Papieren, die derzeit innerhalb der EU-Gremien kursieren, wird die Einrichtung ähnlicher Zentren vor den Außengrenzen der EU in Albanien, Kroatien, der Ukraine und Russland diskutiert. Dort wäre dann wohl auch Platz für die Roma von Medzitlija.