Pop ist, was du draus machst

Das Leipziger Fanzine Persona Non Grata hilft einem über die Durststrecke, die es in der Musik gerade gibt. von andreas hartmann

The medium is the message.« Eigentlich gehört dieses Zitat von Marshall McLuhan zu den verbotenen, weil längst tot zitierten Schlaubergersprüchen, bei denen eh niemand genau weiß, was gemeint ist. Das stellte schon Tom Wolfe in den Sechzigern fest. Doch wenn man sich die neueste Ausgabe des Leipziger Fanzines Persona Non Grata näher betrachtet, stellt man schnell fest, dass sich das eigentliche Anliegen dieses eigenwillig aufgemachten Magazins eben tatsächlich weniger durch seinen Inhalt, als vielmehr durch eben sich selbst und seine Aufmachung erklärt. Das »Heft« kommt in einer dicken Karton-Box im quadratischen Vinyl-Single-Format daher und enthält nicht weniger als sieben 7-Inches in quietschebunten Farben. Alle Platten sind exklusive Singles von deutschen Kleinst-Labels, die leider kaum jemand kennt, wie etwa Klangkrieg, Apricot oder Micropal.

Wie kommt man dazu, sich ein solch aufwändiges Projekt auszudenken, das sich jeder Markt- und Verwertungslogik ganz offensichtlich widersetzt? Und Singles, wer braucht denn noch Vinyl-Singles, wo doch das Netz alles in digitaler Form bereit stellt? Doch genau dieser Frage möchte man sich ganz entziehen und lieber eine offensive Gegenposition zu dem ganzen Gejammer von wegen »Internet kills Music« einnehmen. »Wenn mir eine Platte wirklich gefällt, dann will ich sie auch haben. Als Original«, sagt Hermann, Macher des mit einer Single im Magazin vertretenen kleinen Berliner Labels City Centre Offices. Diese Aussage kann man repräsentativ für eine Konsumentenhaltung hernehmen, die es eben immer noch gibt. Es gibt immer noch genügend Popfreunde, die es niemals übers Herz bringen würden, die neuen Songs ihrer Lieblingsband lediglich als MP3s zu beziehen. Es gibt immer noch eine Fankultur, die es als ihre Aufgabe betrachtet, kleine Labels zu unterstützen.

Nur, und damit kommen wir zu dem Problem, dem sich die 58. Ausgabe des schon seit 1990 existierenden Fanzines – damals noch ein handkopierter Blätterwald – widmet: Sie, die Fankultur, hat es tatsächlich immer schwerer. Das hat die unterschiedlichsten Gründe, die vom immer unübersichtlicher gewordenen Plattenmarkt bis hin zu der längst verschwommenen Indie/Major-Dichotomie reichen.

Ein entscheidender Grund, weshalb man es als Popfan zur Zeit nicht so leicht hat, ist allerdings auch der, dass weitgehend nicht mehr ersichtlich ist, was Pop überhaupt noch bringen soll außer Spaß und Abwechslung für den CD-Player. Es gibt zur Zeit weder ein Genre, das wirklich so etwas wie Aufbruch verheißt, noch gibt die aktuelle Diskussionskultur über Pop wirklich etwas her, das auch über den Pop hinaus Relevanz besitzt. Die Luft ist raus, auch weil nicht mehr ersichtlich ist, gegen wen oder was man sich überhaupt noch mit Habitus, Style und der Etablierung eigener Codes abgrenzen soll.

Mut. Lust auf etwas Neues. So etwas wünscht man sich wieder. Die aktuelle Persona Non Grata zeigt, dass man mit diesem Wunsch nicht alleine ist. Wird hier doch der Aufruf »Bildet Netzwerke!« erneuert, etwas Eigenes definiert und gleichzeitig eine Demarkationslinie zu denen da oben in den Chefetagen der Majors samt deren Problemen gezogen. Man macht klar: Ja, uns geht es eben doch noch um Indie und eigene Strukturen und unsere Probleme sind einfach doch andere als eure, die ihr nicht wisst, wie ihr Mariah Carey wieder loswerden könnt. Es wird völlig größenwahnsinnig behauptet: So kann es auch gehen, gemeinsam sind wir stark. Dass für die Heftgestaltung Motive aus »Die glorreichen Sieben« verwandt wurden, kommt nicht von ungefähr.

Natürlich kann man bei Persona Non Grata keinen objektiven oder wenigstens tendenziell eher kritischen Journalismus erwarten. Dafür ist man halt zu wenig Musikmagazin und zu sehr Fanzine, Teil einer bestimmten Szene, die man auch hemmungslos bejaht. Die sperrige Persona Non Grata-Box wird auch kaum in irgendeinem Bahnhofskiosk landen, sondern ausschließlich im Plattenladen, im ganz speziellen Plattenladen, der ausschließlich ganz spezielle Musik führt, PNG-kompatible Musik – wodurch noch zusätzlich der Netzwerkgedanke unterstrichen wird.

Leider kann der Inhalt der Persona Non Grata mit ihrer Form in keinster Weise mithalten. Man bemüht sich zwar um einen eigenen Ansatz, versucht mehr zu sein, als die Gegen-Intro oder -Spex. Doch zumindest die aktuelle Ausgabe, so ambitioniert sie auch aufgebaut und gestaltet ist, gibt rein inhaltlich so viel nicht her. Hier schlagen mal wieder vermeintliche Errungenschaften der Selbstorganisation und das Ablehnen einer gängigen redaktionellen Praxis und deren Zwänge erbarmungslos zurück. Als Feindbild Daniel Küblböck an die Wand zu zeichnen, wie es einmal gemacht wird, ist etwas wenig. Ein ewig langes Interview mit Sven Lager, der eigentlich noch nie interessiert hat, und zur Zeit noch weniger als gar nicht, ist eindeutig zu viel. Die neue Platte von Curse mag zwar vieles sein, aber bestimmt nicht das »beste deutschsprachige Rapalbum dieses Jahres«, vor allem weil noch nicht Weihnachten ist. Und die Entscheidung, einzelne Autoren ihre noch so subtilen und rührenden Empfindungen beim Umgang mit Popmusik auch so richtig doll popliterarisch in Dossier-Länge ausleben zu lassen, sollte nochmals überdacht werden. Die meisten Texte und auch der Dreh, die fiktive Band The Wild Boys einzelne Schritte hin zur Popstar-Karriere durchlaufen zu lassen, wirken unendlich langatmig und popnerdig geschwätzig. »Wir machen unseren Autoren keine Zeichenvorgaben«, sagt Persona Non Grata-Mitarbeiter Sven Hartig, der allerdings selbst meint, dass dieser Grundsatz vielleicht nochmals diskutiert werden könnte. Doch, und damit kommen wir noch einmal zum ollen McLuhan: bei der Durchsetzung eines neuen Mediums, so meinte dieser ja, in diesem Fall des Mediums Sieben-Singles-Fanzine-Pappbox, interessiert der Inhalt eh nicht.

Persona Non Grata # 58, 15 Euro,