Rutsche zum Schafott

Van Oehlen hört dem Rock beim Sterben zu. von felix klopotek

In Köln kursiert ein großartiges Bild, geschossen wurde es bei der Eröffnung des Hardrock-Café-Cologne am 27. April. Zu sehen ist der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma, der exponiert hinter einem Schlagzeug sitzt und zwei Sticks in den Händen hält, was sogar halbwegs professionell aussieht. Er sieht völlig gelöst aus, grinst dämlich, und der Anzug ist merkwürdig verrutscht. Ringo Schramma. Eingerahmt wird er von zwei hemmungslos rumposenden Kölschrockgrößen. »My My, Hey Hey, Rock’n’Roll is here to die«, möchte man dem OB zurufen. Verstehen wir uns nicht falsch, das Bild taugt nicht zur Ideologiekritik. Es braucht keine Hardrock-Café-Eröffnung in der Nachbarschaft, um von Rock angeödet zu sein, und dass Schramma nicht der Hellste und die Kölschrocker eine besonders unzivilisierte Variante des Lokalpatriotismus sind, ist eh bekannt.

Das Bild zeigt eine schlicht falsche Situation – ein Falsch-Sein von solcher Reinheit, dass das Tableau geradezu erhaben wirkt. Nichts ist hier stimmig, mehr Farce geht nicht. Die Welt steht auf dem Kopf, aber das ist den Anwesenden herzlich egal.

Es ist gar nicht so schwer von diesem sehr kölschen Ereignis zu einer CD zu kommen, die tatsächlich »Rock’n’Roll is here to die« heißt. Eingespielt und produziert wurde sie von Van Oehlen. »Rock’n’Roll is here to die« funktioniert genauso wie das Bild – alles ist da, alles hat seine Ordnung, nichts stimmt. Es gibt Grooves und Melodien, Dub-Effekte, dramatische Samples und witzige Soundspielereien. Die Stücke folgen einer straffen Dramaturgie und kommen schnell zum Punkt. Würde man die Koordinaten nur um ein paar Grad verschieben, käme ein ordentliches Album heraus, irgendwo zwischen anspruchsvollem Songwriting und moderatem Dancefloor – von dieser Sorte gibt es heutzutage ja besonders viele Alben. »Rock’n’ Roll Is Here To Die« klingt aber so, als wäre der Sequencer ausgefallen, nichts scheint synchronisiert, die Sounds – für sich genommen ganz hübsch – wirken in ihrer Kombination grotesk. Diese Musik ist unhandlich, auf ganz fundamentale Weise sperrig. Wer in ihr nach vertrauten Mustern sucht und sie beim flüchtigen Hören auch entdeckt, wird permanent enttäuscht: Was eben noch ein Beat war, ist eigentlich ein stumpfes, blechernes, unglaublich penetrantes Geräusch. Offen bleibt nur, ob dieser Sound den endgültigen Tod des Rocks bereits zum Ausdruck bringt oder nur die Ouvertüre für ein langes, qualvolles Sterben ist. In einem besonders falschen Stück singt eine Stimme: »An R for an R/An eye for an eye/ Rock and roll is here to die/ Gone tomorrow«. Im Hintergrund zuckt ein Orchester-Sample herum, vermutlich aus »Peter und der Wolf«, man kann das Falsche noch viel falscher machen.

Der das singt ist Mayo Thompson, seit über 35 Jahren einzig konstantes Mitglied von Red Krayola, jener zwischen Freeform-Freakouts, Psychedelic-Folk, No Wave und Hardcore-Marxismus traumwandelnden Formation. Thompson, der hier als Stargast auftritt, ist ein Spezialist des Verrutschens, wie auch die beiden Produzenten hinter Van Oehlen: Albert und Markus Oehlen. Die Oehlens kennt man in erster Linie als bildende Künstler, seit über 25 Jahren around, zahllose Ausstellungen und Kataloge, gemeinsame Arbeiten mit Werner Büttner, Martin Kippenberger und Georg Herold, Professuren an den Akademien Düsseldorf und München.

Aber auch das ist eine verrutschte Wahrnehmung. Markus war Ende der siebziger Jahre Schlagzeuger bei Mittagspause, der Urzelle des Düsseldorfer Punks; danach spielte er in diversen Projekten u.a. mit Diedrich Diederichsen (Flying Klassenfeind), Mitte der achtziger Jahre taucht noch mal eine Maxi auf. Ein großartiges Statement: »Beer is enough.« Oehlen arbeitet hier mit frühen Samplingsystemen, ein sägender Gitarrenriff, stumpfe Beats und dazu ein Chor: »Beer is enough! Beer is enough!« Westbam zählt diese Maxi angeblich zu seinen Alltime-Favorites. In den neunziger Jahren macht Markus Oehlen als Don Hobby Musik – irrer, völlig entfesselter Drum’n’Bass, like Squarepusher never happened. Eigentlich ist das »nur« Musik für eine Installation. Er hatte Tapedecks aus Autos in bizarre Styroporskulpturen eingelassen und diese durch die Klänge zum Leben erweckt.

Albert Oehlen ist seit Mitte der achtziger Jahre ständiges Mitglied von Red Krayola, war mal für die Artwork verantwortlich, produziert und bedient den Synthesizer. Er betreibt das Label Leiterwagen Records, wo u.a. seine andere Band Titankatzen (mit Andre Butzer und Schorsch Kamerun) veröffentlicht. Zusammen mit Markus und dem Free Jazzer Rüdiger Carl spielte er Ende der neunziger Jahre in dem Trio Jailhouse eine Art Neo-Improv nur auf billigen Keyboards und obskuren Beatmaschinen. Van Oehlen, deren erste Platte »Are You Eggsperienced« vor drei Jahren erschien, kann man als direkte Fortsetzung von Jailhouse verstehen.

Ihre Arbeit, erst recht ihre musikalischen Arbeiten implizieren immer auch eine Kollektivität – in Form von Gruppenbildung, Didaktik, Free Jazz. Wer die Homepage albert-oehlen.de besucht, kann sich von hier auf ein gutes Dutzend andere Homepages weiterleiten lassen, die für jeweils andere Projekte, andere Formen der Zusammenarbeit stehen.

Gleichzeitig geht es um eine Kollektivität, die nicht festgelegt ist auf eine bestimmte Produktion von Sinn, also auch nicht explizit politisch ist. Das unterscheidet die Musik von Van Oehlen von Free Jazz, dieser Sinnsuchermusik. »Music is the healing force of the universe« war das Motto Albert Aylers; aber auch von Electro, Neue Deutsche Welle und Dancefloor. Zu bekannt und damit etabliert sind die von diesen Genres produzierten Bilder der körperlichen Verausgabung und Achtziger-Jahre-Coolness.

Was bleibt ist radikale Negation, die sich selbst nicht zu ernst nimmt. Denn auch die Zertrümmerung von Sinn darf ja nicht im Namen von etwas Sinnhaftem stattfinden. Die neuen Begriffe, die nach der Zertrümmerung der Alten von den Musikern und Künstlern zusammengeklaubt werden, taugen nicht für eine auf Konsens abzielende Adaption. Man findet etwa auf der Seite von Albert Oehlens Leiterwagen-Label das New-Stream-Manifest, das er (unter dem Pseudonym Wendy Gondeln) mit Andre Butzer und Schorsch Kamerun geschrieben hat: »New Stream Music is free play. Interest-free improvisation. Cold Jazz. The bourgeois memory and the wet death are adopted as musical speech. Its tone is clear.«

So klar wie der Groove auf »Rock’n’ Roll is here to die«.

Van Oehlen: Rock’n’Roll is here to die.

(Blue Chopsticks/a-Musik)