»Schröders Stil ist autoritär«

Ottmar Schreiner

Rund 90 Prozent der Delegierten stimmten in der vergangenen Woche auf dem Sonderparteitag der SPD für die Agenda 2010 des Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Die Mehrheit fiel größer aus als erwartet. Im nächsten Schritt werden die Gesetze, die für die Verwirklichung der Agenda benötigt werden, in den Bundestag eingebracht. Es wird erwartet, dass dort einzelne Abgeordnete gegen die Agenda 2010 stimmen.

Der bekannteste Gegner der Pläne zum Sozialabbau ist Ottmar Schreiner. Der Jurist aus Saarlouis ist seit 1969 Mitglied der SPD. 1978 war er der Gegenkandidat Schröders bei dessen Wahl zum Vorsitzenden der Jungsozialisten. Von 1998 bis 1999 war Schreiner unter dem Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine der Bundesgeschäftsführer der Partei. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorsitzender des Ausschusses für Arbeitnehmerfragen in der SPD. Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Wie haben Sie die Niederlage auf dem Sonderparteitag der SPD am Sonntag der vergangenen Woche verkraftet?

Niederlagen gehören zum politischen Geschehen. Das muss man in Kauf nehmen. Im Übrigen haben wir ja ganz erhebliche Teilerfolge erzielt.

Der Parteitag selbst war ein Teilerfolg. In den Einzelabstimmungen waren die Mehrheitsverhältnisse sehr knapp, und wir haben eine sehr grundlegende Diskussion in Gang gebracht über die Zukunft des Sozialstaates, über Alternativen zu dem, was gemacht und diskutiert wird, vor allem auch zu der Frage, wie wir in diesem Land mehr Beschäftigung erreichen können.

Schröder hat eine viel größere Mehrheit erhalten, als man erwartet hatte.

Wahrscheinlich hat die auch auf dem Parteitag nochmals ausgesprochene Ankündigung, eine Niederlage in der Sache hätte auch personelle Konsequenzen, doch stärker gewirkt, als manche angenommen haben.

Wie finden Sie denn den Stil des Bundeskanzlers? Nicht zum ersten Mal drohte er mit seinem Rücktritt, falls seine Politik nicht verwirklicht werde. Das hat doch etwas Autoritäres.

Das hat etwas reichlich Autoritäres. Ich halte es auch nicht für richtig, weil damit Sachentscheidungen nicht mehr anhand der Sachargumente getroffen werden, sondern überlagert werden von personellen Überlegungen.

Wie wird denn Ihre oppositionelle Haltung in der Partei aufgenommen? Richtet sich da eine schlechte Stimmung gegen Sie oder sind Ihre Parteifreunde weiter so kollegial wie bisher?

Ich hab’ zunächst mal in meiner Heimatpartei im Saarland überhaupt keine Probleme. Ich glaube, dass ich dort in einer sehr geschlossenen Weise unterstützt werde. Das gilt für meinen Wahlkreis, aber auch für die Region insgesamt. Mein Eindruck ist auch, dass ich in der Gesamtpartei, also auf Bundesebene, doch kräftigen Rückenwind erfahre.

Sie haben nach dem Parteitag gesagt, Sie erwägten weiterhin, gegen Teile der Reform zu stimmen. Welche Gesetzesänderungen würden Sie denn auf keinen Fall akzeptieren und welche möglicherweise doch?

Das ist natürlich alles spekulativ. Ich möchte zunächst einmal die Gesetzentwürfe abwarten. Ich habe mehrfach öffentlich gesagt, und ich will auch dabei bleiben, dass, wenn die Agenda, wie es so schön heißt, eins zu eins umgesetzt wird, ich nicht zustimmen kann.

Aber man muss die Entwürfe abwarten, das hat jetzt wenig Sinn, wochenlang zu spekulieren. Ich will jetzt erst mal sehen, was in den Gesetzentwürfen steht.

Das Mitgliederbegehren in der SPD kann als gescheitert betrachtet werden. Es sind ja nur 20 000 Stimmen zusammengekommen. Steht die Basis doch hinter Gerhard Schröder?

Es hat viele gegeben, die zögerlich waren, weil sie gesagt haben: Warten wir erst mal den Parteitag ab. Insoweit sind die Ergebnisse durchaus beachtlich. Aus einigen Ortsvereinen sind auch noch keine Rückmeldungen erfolgt. Nach dem Stand der Dinge hätten wir 67 ooo Stimmen erreichen müssen.

Im Übrigen war das Mitgliederbegehren ja der Anlass für die Parteiführung, dann doch einem Sonderparteitag zuzustimmen.

Wenn man in die Nachbarländer blickt, nach Frankreich oder Österreich, da sind große Streiks im Gange. Hierzulande haben es die Gegner dieser Pläne zum Sozialabbau schwer. In der Öffentlichkeit überwiegt die Meinung, das müsse nun alles sein. Woran liegt das?

So einseitig stellt sich die Situation ja nun auch nicht dar. Wir hatten in den vergangenen Wochen eine Initiative von Professoren mit rund 400 Unterschriften, die im Kern unsere Argumentation unterstützt hat. Es gibt auch eine Reihe von Ökonomen, die das in den letzten Wochen öffentlich gemacht haben. Es gab auch eine Initiative aus dem Kulturbereich um Klaus Staeck und Günter Grass, die im Wesentlichen unsere Argumente teilt. Ich fühle mich da also gar nicht so sehr isoliert.

Im Übrigen sind die Rückmeldungen aus der Bevölkerung äußerst positiv, und ich glaube, dass Teile der Bevölkerung auch wirklich eine echte Alternative erwarten. Die CDU/CSU und die FDP werden nicht in der Lage sein, eine solche Alternative zu entwickeln. Sie vertreten ja ähnliche Ansichten, wie sie nun in der Agenda 2010 formuliert wurden.

Wäre die SPD in der Opposition und

die Union präsentierte ein solches Programm wie die Agenda 2010, dann gäbe es aus Ihren Reihen heftige Proteste. Nun ist die SPD an der Regierung und meint unbedingt, diesen Sozialabbau durchsetzen zu müssen. Dabei waren die Erwartungen der Bevölkerung an die rot-grüne Regierung, gerade was die Frage der sozialen Gerechtigkeit betrifft, doch sehr hoch.

Die SPD ist natürlich in einer widersprüchlichen Situation. Auf der einen Seite, das ist mein Eindruck auch von den Regionalkonferenzen, will man einen sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Auf der anderen Seite wollen aber ganz erhebliche Teile der Partei, auch der Öffentlichkeit, eine Kurskorrektur. Das passt schwer zusammen, aber mit dieser Widersprüchlichkeit muss man eben auch leben.

Wie kann eigentlich die Zukunft des rot-grünen Projekts aussehen? Man hat den Eindruck, die Luft ist raus. Es gibt die Krise in Nordrhein-Westfalen, die Parteiführung ist autoritär, Schröder regiert nach seinem Gusto.

Eine Chance bietet jetzt das so genannte Perspektivpapier, das ja letztendlich auf unseren Druck hin auf dem Parteitag verabschiedet worden ist und das ausgerichtet ist auf den ordentlichen Bundesparteitag der SPD im November dieses Jahres. Das muss jetzt in den nächsten Monaten ausgeführt werden.

Die programmatische Diskussion soll verstärkt wieder aufgenommen werden mit dem Ziel eines neuen Parteiprogrammes. Das bietet Chancen für eine Partei, die stärker als andere sich programmatischen Ansprüchen verpflichtet fühlt, die Leerstellen mit sinnvollen Inhalten zu füllen.

Ihre Parteikollegen Klaus Barthel und Sigrid Skarpelis-Sperk behalten sich ja auch vor, im Bundestag eventuell gegen die Agenda bzw. die entsprechenden Gesetzesvorlagen zu stimmen. Mit Ihnen zusammen wären das drei Gegenstimmen, Schröder hätte also seine Mehrheit.

Das hat ja alles noch sehr viel Zeit. Während nur das Gesundheitsreformgesetz zum Beginn der Sommerpause verabschiedet werden soll, wird das andere erst im Herbst in den Bundestag kommen. Es hat also keinen Sinn, sich pausenlos Gedanken zu machen über Dinge, die noch nicht feststehen.