Too Old to Rock’n’Roll

Die Stones sind so langweilig wie alle Menschen, die nur an ihre Arbeit denken. Es wird Zeit für die Rente. von elke wittich

Während ihrer Ehe mit Mick Jagger war Jerry Hall ganz sicher nicht zu beneiden – schließlich gibt es kaum etwas Langweiligeres als Menschen, die seit Jahrzehnten denselben Job machen. »Und, wie war dein Tag?« wird sie ihren Gatten routinemäßig abends gefragt haben, während sie gleichzeitig intensiv darauf hoffte, dass der Mann entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch vielleicht ausnahmsweise etwas ganz Außergewöhnliches erlebt haben und so wenigstens einmal von den üblichen strunzfaden »Und dann sagte er …, und dann hab ich’s ihm aber sowas von gegeben!«-Schilderungen abrücken könnte.

Hatte er natürlich nie, eben so wenig wie seine Bandkumpels, so dass sich Hall wie die anderen Rolling Stones-Frauen Abend für Abend das immergleiche Lamento über kaputte Amps, nervende Journalistenfragen, fehlende Kinch-Kabel, dumme Mitmusiker, die sich nie ihre Einsätze merken können, und die defekte Toilettenspülung im Proberaum anhören musste.

Vielleicht hat Jerry Hall lange darauf gehofft, dass es ihr ergehen könnte wie den Beatles-Frauen, deren Männer eines schönen Abends verkündet hatten: »Ach übrigens, wir lösen uns auf, ich werd mich nach ’nem neuen Job umsehen!« Wahrscheinlich hat sie aber irgendwann resigniert eingesehen, dass so etwas wie Rente oder wenigstens die Suche nach einem anderen Arbeitsplatz im Leben eines echten Rolling Stone einfach nicht vorkommen.

Denn die Band, die zusammen mit den Beatles und vielen anderen Brit-Gruppen immerhin das Verdienst hat, vor vielen Jahrzehnten die in den USA zweifellos aus rassistischen Gründen verpönte schwarze Rythm’n’Blues-Musik der fünfziger Jahre wiederentdeckt und populär gemacht zu haben, gehört mittlerweile zum Spießigsten, das je in Übungsräumen herumstand.

Mit ihrem Unvermögen, wenigstens partiell entweder den vorgeschriebenen Startod durch wahlweise einen Autounfall oder eine Überdosis zu sterben sowie ihrer störrischen Weigerung, dann doch wenigstens in einer spektakulären Presseerklärung die Auflösung der Gruppe bekanntzugeben, trugen die Stones entschieden dazu bei, dass Rock zu einem definitiv unsexy Job mit berechenbarem Einkommen und Festanstellung auf Lebenszeit wurde. »Get your wheelchairs out!« hatte ein britisches Musikmagazin in Anspielung auf den einstigen Rolling Stones-Album-Titel »Get your Ya-Yas out« Anfang der neunziger Jahre einen Artikel über die wieder einmal anstehende Welttournee der Band betitelt, die zu einem Paradigmenwechsel werden sollte. Erstmals verkam Rock zum vollöden Familien-Entertainment, Eltern und Kinder standen gemeinsam in weitläufigen Stadien herum, hielten Wunderkerzen hoch, schunkelten im Takt und tränten zusammen in ihre Bierbecher.

Den von ihnen angebeteten Stars ging dabei deutlich die Puste aus. Neue revolutionäre Stücke wurden nicht mehr geschrieben, und selbst unterhaltsame Skandale blieben aus. Wo einst noch ein bei einer Polizeirazzia angeblich in Marianne Faithful aufgefundener Schokoriegel die Schlagzeilen beherrschte, gibt es nun allenfalls noch lächerliche Seitensprünge mit leidlich hübschen Frauen.

Woraus folgt: Die Rolling Stones sind eigentlich Oliver Kahn. Unfähig, auf dem Höhepunkt des eigenen Schaffens abzutreten, verzweifelt nach der Aufmerksamkeit eines längst mit anderem beschäftigten Publikums heischend, vage ahnend, dass es ein Leben nach dem Job gibt, vertrödeln sie ihre kostbare Restzeit damit, Tag für Tag an ihrer einmal gewählten Arbeitsstelle zu erscheinen. Wo es nichts mehr zu gewinnen gibt: Alle nur möglichen Meisterschaften und Goldenen Schallplatten sind längst eingesackt, was folgt, sind unweigerlich nur noch neue Peinlichkeitsrekorde.

Mit einem BOF verheiratet zu sein, ist die eine Sache. Mit einem lächerlichen Boring Old Fart verheiratet zu bleiben, ist die andere Sache. Jerry Hall führt mittlerweile sehr anregende abendliche Gespräche über wirklich wichtige Themen, denn sie zog nach der Geburt ihres jüngsten Sohns einfach die Konsequenzen und aus dem gemeinsamen Haus aus und ließ sich von Jagger scheiden.

Und muss zudem nie wieder Rolling Stones-Konzerte besuchen, was nach dem heutigen Stand der Forschung ein echter Wellness-Faktor ist.