Too Young to Die

Die Stones sind auch dann noch eine proletarische Band, wenn sie selbst Millionäre sind und »Proll« hierzulande ein Schimpfwort ist. von martin krauss

Wen interessieren Argumente, wenn es um so etwas geht? Will jemand argumentieren, warum er Marlboro raucht oder Gauloises? Das ist kaum zu begründen, aber so richtig freischwebend, wie ein solcher Gedanke es meist nahelegt, ist Geschmack ja auch nicht.

Denn Geschmack ist nichts Zeitloses. Man raucht nicht einfach Gauloises, bloß weil sie einem schmecken, denn einfach schmecken sie nicht. Rauchen ist wie Essen ist wie Musikhören. Ich übernehme, bediene und setze kulturelle Codes. Ich bin einem bestimmten Milieu verhaftet. Ich will irgendwie erscheinen, am liebsten gut.

Und schon ist man bei den Rolling Stones. »It’s only Rock’n’Roll, but I like it.« Man will, dass die Musik einfach so gut ist. Später weiß man dann, dass die Musik nicht einfach gut sein kann. Dann findet man sie halt so gut.

Das Image der Stones ist das der »bad boys«, ein, wenn man so will, proletarischer Rock. Früher war es so: Wer für die Stones war, hasste die Beatles. »Street Fighting Man« ist nicht »She Loves You«. Und sogar »Satisfaction« ist »Obladi Oblada« überlegen.

Der Gedanke, wonach Rauchen wie Essen und wie Musikhören ist, beschreibt auch, dass all die beschriebenen Tätigkeiten gleichermaßen natürlich wie gesellschaftlich sind. Einem menschlichen Trieb gehorchend, aber in seinen je historischen Formen verändert und steten Veränderungen unterworfen.

Schon ist man wieder bei den Rolling Stones. Die haben sich, das stimmt ja, nicht verändert. Die präsentieren immer noch, auch wenn sie gegenwärtig durch Deutschland touren, ihre alten Songs. Mick Jagger zeigt immer noch die Zunge, wackelt immer noch mit den Hüften, hat immer noch diese wulstigen, sinnlichen Lippen. Da ändert sich nichts, und es möchte auch niemand, dass sich da was ändert. Und Keith Richards sieht aus wie der obdachlose Sohn von Walter Matthau, und der soll auch so aussehen.

Den Rolling Stones vorzuwerfen, dass sie sich nicht weiter entwickelt haben, hieße Marx zu attackieren, weil er Postmoderne und Wertewandel nicht berücksichtigt hat. Die Band, die seit 1964 eine zugegeben sehr ähnlich bleibende Musik macht, wird genau deswegen geliebt. Sie sind weiterhin die »bad boys«, und dass sie Millionäre wurden, wen stört es? Dass die Queen Mick Jagger adeln will, wessen Problem soll das sein? Wird »Honky Tonk Woman« dadurch nur ein kleines bisschen schlechter?

Die Stones sind definitiv keine Band der rebellierenden Jugend mehr. Die hört anderes, aber wen stört das? Dass die Stones in keinen Diskurs über Techno und HipHop passen, deutet doch verdienstvollerweise an, dass es daneben noch Musik geben kann.

Die Stones repräsentieren, so doof es klingt, und so doof es wohl auch ist, das Alte, das Einfache, die wenn schon nicht bessere, so doch übersichtlichere Welt. Wer also Mick Jagger und Keith Richards entgegenhält, dass ihre Songs keine adäquate musikalische Antwort auf die Gegenwart darstellen, hat ja recht und ist dennoch doof. Denn die Stones bedienen ja gerade die Sehnsucht nach dem Alten, wo alles einfacher war. Wo es oben und unten gab, klare Klassenlinien, einfache Widersprüche. Dass es das auch damals nicht gab, sondern alles nur sehr vulgär so schien, ist ja richtig, aber warum soll man diese Zeit nicht mögen?

Die Rolling Stones sind eben weiterhin eine proletarische Band, obwohl hierzulande »Proll« und »Prolo« mittlerweile zu Schimpfwörtern der linken Jugend geworden sind. Dass die Stones so erfolgreich die Prolos verkörpern, kann doch nur den ärgern, der ihnen das Scheitern wünscht.

Während einer wie Eric Burdon schon in Beinahkneipen auftreten muss und selbst Bob Dylan schon in kleineren Hallen zu sehen ist, füllen die Stones immerhin noch die großen Stadien. Das freut doch, wer starke Prolos wünscht.

Musikhören ist wie Rauchen ist wie Essen. Das ist ganz wichtig für einen, der sich ganz unrebellisch das Rauchen abgewöhnt hat und Sport treibt, damit er nicht zu dick wird.