Feinde & Bilder

Die fotografische Repräsentation von Kriegsgefangenen im Dritten Reich und in der Sowjetunion. von matthias echterhagen

Die dritte Genfer Konvention von 1949, nach der Kriegsgefangene »vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung, Beleidigungen und der öffentlichen Neugier« geschützt werden müssen, rückte zuletzt während des Irakkrieges wieder ins öffentliche Bewusstsein. Auslöser waren Bilder amerikanischer und irakischer Kriegsgefangener, die den Sieg über den Gegner jeweils demütigend in Szene setzten. Für Human Rights Watch war hier die Verletzung des Genfer Abkommens schon weit gediehen. Bereits das Fotografieren gefangener Soldaten durch Journalisten stellte für die Menschenrechtsorganisation eine respektlose Übertretung dar.

Im Berliner Deutsch-Russischen Museum Karlshorst gibt es jetzt eine Ausstellung, die zeitlich einen Schritt hinter die letzte Aktualisierung der Genfer Konvention von 1949 zurückgeht. Sie heißt »Beutestücke« und widmet sich Kriegsgefangenen in der deutschen und sowjetischen Fotografie von 1941 bis 1945. Es gab sechs Millionen sowjetische Gefangene auf der einen und drei Millionen deutsche Gefangene auf der anderen Seite. Von den Sowjets starben drei Millionen in der Gefangenschaft, von den Deutschen starb eine Million. Die Gründe für das Massensterben waren unterschiedlich. Viele der bereits zum Zeitpunkt der Gefangennahme durch Kämpfe geschwächten Deutschen starben wegen der miserablen Versorgungslage in der Sowjetunion während der letzten Kriegsjahre. Dagegen galten die Sowjets innerhalb des naziideologischen Systems als vernichtungswürdige Untermenschen, als Tiere, auf die die Genfer Richtlinien schlichtweg nicht angewendet werden mussten.

Anhand exemplarischer Fotografien und ihrer Verwendung in Flugblättern und Zeitungen während der Kriegsjahre wird der Darstellung der Kriegsgefangenen auf deutscher wie auf sowjetischer Seite nachgegangen. In dem Begleitkatalog zur Ausstellung arbeiten Texte dabei auch eine spezifische Differenz der jeweilig vorherrschenden Blicksysteme heraus. Die Unterschiede beginnen bei der Aufnahmeposition: Bevorzugten sowjetische Fotografen bei Kriegsgefangenenporträts zumeist eine Position auf Augenhöhe der Porträtierten, wenn nicht sogar eine leicht niedrigere, so dominierte bei den deutschen »Bildberichtern« vor allem die herabwürdigende Darstellung sowjetischer Soldaten im Sinne des »slawischen Untermenschen«. Seine angebliche Gefährlichkeit, seine Unberechenbarkeit und Wildheit setzten die deutschen Fotografen manchmal sehr subtil ins Bild, wie in dem Blick eines »Flintenweibes«, das versteckt im Bildhintergrund lauert. Facetten des »asiatischen Verbrechertyps« fanden die Fotografen mal in einer düster beschatteten Gesichtsseite, in die wildes Kopfhaar ragt, oder in einer das Gesicht halb verdeckenden Mütze.

Sowjetische Fotografen zeigten immer wieder Marschkolonnen gefangener Deutscher, die sich manchmal bis an den Horizont der Steppe ziehen. Damit sollte die Stärke der Roten Armee propagiert werden. Als Demonstration eigener Macht funktionierte dann auch die »Vorführung« der Massen deutscher Kriegsgefangener beim großen Marsch durch Moskau am 17. Juli 1944.

Deutsche Fotografen zeigten hingegen oft ganze Gefangenenkolonnen aus der Vogelperspektive. Auch hier ging es darum, die bestehenden Stereotypen zu illustrieren. Manchmal wird das ameisenhafte Gewimmel solcher Szenerien von einem seitlich aufgenommenen, alles überblickenden Deutschen gleichsam neutralisiert, oder die Menschenströme werden in der Linse des Fotografen gebündelt. Bilder, die massenhaft sowjetische Soldaten zeigen, vermitteln oft ein Gefühl des Gestaltlosen, des anarchischen Übergangs der Leiber ineinander und des drohenden Kontrollverlusts. Der fotografische Akt gleicht hier einer szenografischen Bändigung. Christoph Hamann arbeitet in seinem Text »Feindbilder und Bilder vom Feind« das solchen Aufnahmen zugrunde liegende Hirte-Herde-Schema heraus.

Es gibt auch Aufnahmen, die einem heute wenig oder kaum noch etwas sagen würden, zöge man die schnell kanalisierende, propagandistische Beschriftung von ihnen ab. Sie wären Teil des weiten, stetig anwachsenden Meers ort- und zeitlos gewordener Bilder, deren Entzifferung manchmal nur durch aufwändige Recherchen wieder gelingt. Dass die Ausstellung einen wichtigen Beitrag dazu leistet, zeigt nicht zuletzt die etwas skurrile Geschichte eines Fotos, das am 31. Dezember 1941 in der Prawda erschienen ist. Untertitelt war es: »Rückzug faschistischer Truppen von Moskau«. Es zeigte deutsche Soldaten (zu erkennen an ihren Helmen), die sich durch Schneeböen auf den Standort des Fotografen zukämpfen. Man hat es zunächst sinnigerweise als erbeutete Fotografie eines Deutschen angesehen. Wie sollte sonst ein Sowjetfotograf unbehelligt ein solches Foto schießen können? Ein anderes Foto derselben Situation ist von der Seite aufgenommen. Hier konnte der Fotograf zweifelsfrei ermittelt werden. Es war Arkadij Schaichet, einer der bekannteren Kriegsfotografen (1898–1959). Dessen Enkeltochter Maria Shotikowa hat das Rätsel um das Prawda-Bild folgendermaßen aufgelöst: Schaichet sei beauftragt gewesen, deutsche Soldaten im russischen Winter zu fotografieren. Zu diesem Zweck habe er Kriegsgefangene mit Helmen und Gewehren ausgerüstet und durch ein nicht mehr näher bekanntes Winterfeld marschieren lassen. Es musste nur noch für den visuell eindringlichen Gegenwind gesorgt werden. Der kam dann auch von den Propellern eines eigens für die Aufnahme gestarteten Kleinflugzeuges.

Die Ausstellung »Beutestücke« lädt somit auch dazu ein, die als dokumentarisch ausgewiesenen Bilder auf ihren inszenatorischen Charakter hin zu befragen.

Davon ausgenommen scheinen jene Fotografien, die den Moment des Aufgebens im Kampf zeigen. Die Angst in den Gesichtern überlaufender oder gerade gefangen genommener Soldaten hat jeweils von der gesamten Bildaussage Besitz ergriffen. Es ist eine Schwellensituation, von der Peter Jahn in seinem Einleitungstext schreibt, sie sei ein »Moment extremer Gefährdung« gewesen. »Der Sieger hatte in Sekunden seine aus höchster Angst und Aggression gespeiste Tötungsabsicht aufzugeben, ein Wechsel, der (...) oft nicht gelang. Die Unterlegenen zahlten dafür mit ihrem Leben.«

»Beutestücke«. Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst. Der Katalog zur Ausstellung ist im Links Verlag erschienen.