»Mit Chávez hat sich alles geändert«

Iris Varela

Seit 1998 regiert in Venezuela nur einer, Hugo Chávez. Das behaupten seine Gegner, die dem Präsidenten vorwerfen, ein korrupter Diktator zu sein. Im Februar versuchte die Opposition zum wiederholten Male, ihn aus dem Amt zu putschen. Chávez’ Anhänger halten dagegen, sie sehen in ihm einen Präsidenten der sozialen Gerechtigkeit, der die Bevölkerung mitbestimmen lässt. Immer wieder kommt es zu Zusammenstößen der beiden politischen Seiten.

Die Rechtsanwältin Iris Varela ist Abgeordnete von Chávez’ Regierungspartei. Sie hat maßgeblich an der neuen partizipativen Verfassung Venezuelas mitgearbeitet. Ihre Gegner nennen sie wegen ihrer drastischen Art »Phosphor-Kommandantin«. Mit ihr sprachen Belén Fernández und Nils Brock.

Obwohl sich die Regierung und die Opposition vor kurzem darauf verständigten, bis zu einem Referendum im Spätsommer die politischen Konflikte nicht offen ausbrechen zu lassen, halten die Auseinandersetzungen an. Was haben Sie falsch gemacht?

Die Opposition ist schuld. Sie hat die Fahne des Faschismus gehisst und geht gegen jeden vor, der nicht so denkt wie sie. Wenn man sich ansieht, wer die Opfer der Auseinandersetzungen sind, dann sieht man, dass fast alle Betroffenen Personen sind, die die Regierung von Hugo Chávez unterstützen.

Außerdem hat die Opposition auch Anschläge auf die spanische und die kolumbianische Botschaft durchgeführt. Das Problem ist, dass diese Leute über viele ökonomische und mediale Mittel verfügen. Sie können zuschlagen, wann immer sie wollen.

Wenn das alles nur Faschisten und Terroristen sind, dann dürfte es doch leicht sein, sie politisch und juristisch zu belangen.

Es gibt viele juristische Prozesse, aber sie dauern in der Regel sehr lange. Außerdem kontrolliert die Opposition einen Teil der Gerichte. Wir haben öffentlich dargestellt, wie Personen, die juristische Macht besitzen, gekauft werden, um zum Vorteil der Opposition zu entscheiden.

Die Opposition ist aber kein homogener Block, ihr gehören Gewerkschaften an, auch Arbeiter protestieren gegen Chávez.

Das sind doch keine Arbeiter! Das sind nur die Gewerkschaftsführer, die gegen Chávez Stimmung machen. Die oppositionelle Gewerkschaft, Confederación de Trabajadores de Venezuela, besteht nur aus hohen Funktionären. Deshalb haben die Arbeiter eine neue Gewerkschaft gegründet. Sie heißt Unión Nacional de Trabajadores und nimmt aktiv teil am politischen Prozess in Venezuela. Die meisten der Gewerkschafter sind für Chávez, der Rest ist apolitisch.

Wenn es in der Opposition nur Gewerkschaftsfunktionäre ohne Basis gibt, dann muss man sie doch gar nicht ernst nehmen.

Diese Leute haben aktiv am Staatsstreich im April mitgewirkt. Das schließt übrigens auch den internationalen Gewerkschaftsverband ein. Ein Arbeiter kann sich nicht mit den Unternehmern verbünden. Das ist immer eine Abweichung, aber in Venezuela ist das besonders schlimm, denn die Unternehmer sind Ausbeuter. Früher, also vor der neuen Verfassung, genossen die Unternehmer in Venezuela viele Privilegien. Sie haben Kredite vom Staat bekommen, von öffentlichen Aufträgen profitiert und selbst Minister ernannt. Sie haben alle Sozialleistungen für die Arbeiter abgeschafft.

Schuld an der jetzigen Situation ist also ausschließlich die Opposition. Gibt es denn gar nichts, was die Regierung versäumt hat?

Die Leute, die jetzt zur Opposition gehören, haben 40 Jahre lang regiert. Während dieser Zeit haben sie alle Macht in Venezuela an sich gerissen. Davon hat nur ihre Umgebung profitiert. Das Volk lebte fernab von jeder politischen Entscheidung. Damals interessierte es sich ja auch nicht dafür. Mit Chávez hat sich alles geändert. Jetzt wollen die Leute ihre Politik selbst machen. Das will die Opposition verhindern, indem sie Chávez diskreditiert, wann immer es möglich ist. Ihr Ziel ist es, selbst wieder an die Macht zu kommen. Dafür greift sie auch auf undemokratische Mittel zurück.

Ist bei der jetzigen politischen Situation überhaupt eine inhaltliche Auseinandersetzung möglich? Immerhin bezeichnen Sie die Opposition als ausnahmslos faschistisch.

Die Opposition ist erpresserisch, sie tötet und hat viele Dinge gemacht, die sich nur als faschistisch beschreiben lassen. Es gibt zwar verschiedene Strömungen, also einen eher demokratischen Teil und einen radikalen. Aber der demokratische Flügel wird von den Radikalen dominiert. Wir können sie nicht wirklich unterscheiden, weil sich die oppositionellen Demokraten nicht von den Putschisten lossagen. Sie sind vereint gegen Chavéz. Deshalb diese extreme Polarisierung. Im Moment verliert die Opposition viel von ihrer Kraft. Sie wird kleiner, macht aber noch Lärm, denn sie kontrolliert die Medien.

Doch dafür haben Sie ja auch schon eine Lösung gefunden, ein neues Mediengesetz.

Wir möchten ein neues Gesetz schaffen, um zu erreichen, dass alle Medien die Bedingungen des Verfassungsrechts erfüllen, und sie sollen objektive, wahre und unparteiische Informationen ausstrahlen. Im Moment liefern die Medien nur Falschmeldungen. Deshalb arbeiten wir an dem so genannten Gesetz der zivilen Verantwortung für Radio- und Television. Es ist ein Gesetz für mehr Meinungsfreiheit.

Geht es dem Staat nicht allein darum, nun auch noch die Fernsehkanäle zu kontrollieren?

Der Rundfunk ist eine Sache des Staates. Deshalb sollte der Staat auch die Lizenzen vergeben. Dieses Gesetz wird die Senderechte gerecht verteilen und all jene Medien verbieten, die sich nicht an die Verfassung halten.

Das klingt nicht gerade nach Partizipation und freier Meinungsbildung.

Die Medien sind Eigentum des Volkes. So wird letztlich das Volk die Meinungsfreiheit garantieren. Die Nutzer, die Zuschauer werden diejenigen sein, die von dem Gesetz profitieren werden. Die Medien sind da, um zu informieren und nicht zu manipulieren, wie es im Moment geschieht.

Und das lässt sich nur mit Zensur und Verstaatlichung erreichen?

Nein. Schon heute gibt es ein Netz alternativer Medien. Betrieben von Journalisten, denen der Staat Mittel zur Verfügung stellt, um eine neue alternative Kommunikation zu schaffen. Diese Medienunternehmen sind in den letzten Jahren schnell gewachsen, und durch sie haben wir wenigstens einige objektive Informationen.

Immer wieder haben Sie behauptet, dass auch andere Staaten den letzten Putschversuch unterstützten. Haben Sie mittlerweise Beweise dafür?

Ja sicher, die Beweise liegen vor. Venezuela hat viel Öl und das interessiert die USA natürlich. Als Chávez den Ölpreis anhob, war das ein harter Schlag für die US-Ökonomie. Denn die USA sind unser größter Erdölabnehmer. Sie dehnen ihre Hegemonie weiter aus, weil viele Länder in Lateinamerika ihre souveräne Macht nicht nutzen. Sie unterwerfen sich, weil sie Angst vor Sanktionen haben oder davor, dass die USA ihre Kredite zurückziehen.

Kann Venezuela den USA die Stirn bieten?

Venezuela hat eine entscheidende Stärke. Wir haben viele ökonomische und natürliche Ressourcen. Weder die USA noch Lateinamerika können auf uns verzichten, und das wissen sie. Alle Länder Lateinamerikas brauchen unser Öl. Wenn die USA sie zum Boykott aufrufen sollten, dann wird das nichts bringen. Das kann sich niemand leisten.

Wir haben nichts gegen die USA, wir respektieren ihr Volk. Warum nicht in gutem Kontakt mit ihnen bleiben? Aber es wird keine Beziehung sein, in der wir uns unterwerfen.