Noch 25 Jahre

USA: Urteil zu Affirmative Action von tobias rapp

Es macht das Schöne und gleichzeitig das Schwierige des amerikanischen Rechtssystems aus, dass die großen Fragen anhand von konkreten Fällen entschieden werden. Schön deshalb, weil man weiß, wovon man spricht, schwierig deshalb, weil es, wie etwa bei dem Urteil zu zwei Affirmative Action-Programmen, über deren Verfassungsmäßigkeit in der vergangenen Woche entschieden wurde, natürlich immer um mehr geht als nur um den konkreten Fall.

Das Oberste Gericht entschied über die Verfassungsmäßigkeit zweier verschiedener Formen von Affirmative Action: die Praxis der Jurafakultät der Universität Michigan, race in einem individualisierten Auswahlverfahren zu einem Kriterium unter anderen zu machen, und die Praxis eines Untergraduiertenprogramms der gleichen Hochschule, jedem Bewerber mit minority-Hintergrund Bonuspunkte zu geben. Ersteres fand die Zustimmung des Gerichts, letzteres nicht.

Um die Affirmative Action-Programme wird seit Jahren ein Kulturkampf mit kompliziertem Frontverlauf geführt. Ursprünglich wurden die Programme in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren eingeführt, um die Aufstiegschancen von afro-amerikanischen und hispanischen Schulabgängern zu verbessern. 1979 wurde zum ersten Mal eines dieser Programme vom Obersten Gericht auf seine Verfassungsmäßigkeit untersucht. Damals entschieden die Richter, es sei zwar verfassungswidrig, Quoten einzurichten, grundsätzlich sei es aber durch die Verfassung gedeckt, wenn eine Universität versuche, die ethnische Vielfalt auf dem Campus in ihrer Zulassungspraxis zu fördern. Damit hatten die Affirmative Action-Programme zwar den höchsten Segen, die einfachste Möglichkeit zur Umsetzung war jedoch versperrt.

In den vergangenen Jahren gerieten sie jedoch unter Druck. Ein Gericht in Texas entschied 1996, jede Bevorzugung aufgrund von race sei illegal, und Kalifornien untersagte ebenfalls 1996 jede Form der Bevorzugung aufgrund von Geschlecht, Nationalität oder Hautfarbe, was zu einem rapiden Rückgang des Anteils schwarzer und hispanischer Studenten in den dortigen Universitäten führte. Im Jahr 2000 führte der Staat Florida unter dem Präsidentenbruder Jeb Bush eine Zulassungspraxis an seinen Universitäten ein, die Studenten aus armen Haushalten bevorzugt, ohne Rücksicht auf deren race.

Die beiden Urteile der vergangenen Woche werden nun zwar von den Verteidigern der Affirmative Action als Sieg gefeiert, was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass wenige Beobachter mit einem solchen Richterspruch gerechnet hatten. Das Oberste Gericht gilt als konservativ, und sogar George W. Bush hatte sich vor einigen Wochen in die Debatte eingemischt und sich ablehnend zu Affirmative Action geäußert. Doch im Grunde ist das Urteil ähnlich zwiespältig wie jenes vor 25 Jahren. Denn mit seiner Position, dass der Zweck die Mittel nicht heilige, läuft es darauf hinaus, die Zulassungskriterien an den Universitäten schlicht und einfach zu verschleiern. Es ist okay, Minderheiten zu fördern, könnte man das Urteil auch zusammenfassen, solange man nicht so genau sagt, wie.

Der interessanteste Aspekt des Urteils versteckt sich jedoch in einem Nebensatz: »Wir erwarten«, sagen die Richter des Obersten Gerichts der Vereinigten Staaten dort, »dass die Bevorzugung bestimmter Hautfarben in 25 Jahren nicht mehr nötig sein wird, um jenen Zweck (die Förderung der Vielfalt) zu erreichen.« Für das Jahr 2028 können wir also mit dem Ende rassistischer Diskriminierung rechnen. Wenn das nichts ist.