Vor Ort

in die presse

Der Weblogger Peter Praschl hat auf http://arrog.antville.org eine Entdeckung veröffentlicht. In der New York Times vom 20. Juni dieses Jahres fand er das Porträt eines Karru Martinson, geschrieben von Warren St. John. »By his own admission, 30-year-old Karru Martinson is not what you’d call a manly man. He uses a $40 face cream, wears Bruno Magli shoes and custom-tailored shirts«, war da zu lesen.

Im Berliner Tagesspiegel veröffentlichte der US-Korrespondent des Blattes, Malte Lehming, sechs Tage später auch ein Porträt von Karru Martinson, und das ging so: »Wie ein Macho sieht er nicht aus. Karru Martinson ist dreißig Jahre alt, benutzt teure Gesichtscreme und trägt Schuhe von Bruno Magli. Seine Hemden lässt er sich schneidern.«

Die New York Times schrieb: »His hair is always just so, thanks to three brands of shampoo and the precise application of three hair grooming products: Textureline Smoothing Serum, got2b styling glue and Suave Rave hairspray.«

Ja, richtig, das war Malte Lehming sechs Tage später auch aufgefallen: »Seine Haare sehen tiptop aus. Kein Wunder: Er wäscht sie mit drei verschiedenen Shampoos und pflegt sie mit Spezial-Kuren.«

Was Malte Lehming, den sein Blatt nach Amerika geschickt hat, damit er recherchiert, abgeliefert hat, ist nichts anderes als die Übersetzung von St. Johns Text. Würde Lehming bei einer richtigen Zeitung arbeiten, etwa der New York Times, wäre er am Tag der Veröffentlichung seines Martinson-Porträts entlassen worden. Hierzulande droht das nicht. Denn so wie Lehming arbeiten sie doch alle. Zumindest glauben alles, dass nur so gearbeitet werden kann. Und dass man mal mit einem zu Porträtierenden selbst sprechen könnte, liegt außerhalb der Vorstellung eines deutschen Auslandskorrespondenten. Der Fall ist also kein Fall, denn beim genauen Hinschauen schwimmen einem die Fälle weg. Ärgern dürfte sich der Tagesspiegel dennoch, denn die New York Times ist doch auch im Internet zu lesen, und ein Dictionary findet sich in dem Gebäude in der Potsdamer Straße gewiss auch.

martin krauss