Wie Fische in der Wüste

Weil die Regierung Botswanas ein Naturschutzgebiet ökonomisch erschließen will, soll die Bevölkerung umgesiedelt werden. von verena sarah diehl

Wir wurden auf Lastwagen wegtransportiert. Sie haben uns gesagt, sie würden uns Vieh geben, was sie aber nie taten. Unsere Kinder sollten zur Schule gehen, aber sie liefen davon, weil sie geschlagen wurden. Manche meiner Verwandten wurden ebenfalls geschlagen«, erzählt Kaitsotla Kermetsroe.

Seit 1997 bemüht sich die Regierung Botswanas, die in der Kalahari lebenden Menschen umzusiedeln. Die Bewohner dieser Region, deren Zahl auf 500 bis 2 700 geschätzt wird, haben keine Kollektivnamen für sich selbst und so werden sie entweder als Basarwa, San oder Buschmänner bezeichnet. Das riesige Naturschutzgebiet in der Kalahari ist weltberühmt und soll für den Tourismus erschlossen werden. Das ist einer der Gründe, warum die Regierung die Basarwa umsiedeln will.

So entstanden in den vergangenen Jahren neue Siedlungen am Rande der Kalahari, in die bereits ein Großteil der Basarwa gebracht worden ist. Wer zurück will, und sei es auch nur, um seine Verwandten zu besuchen, wird von der Polizei daran gehindert. Die verbliebenen Menschen sind seither mit strengen Restriktionen, z.B. ihre Jagdrechte betreffend, und administrativen Schikanen bis hin zu tagelangen Verhören und Folter konfrontiert. Seit Anfang 2002 wird ihre Wasserversorgung mit dem Argument eingeschränkt, der Transport des Wassers in die entlegenen Regionen sei zu teuer.

Außerdem, so argumentiert die Innenministerin Margaret Nasha, könne es in einem modernen Staat nicht hingenommen werden, dass sich ein Teil der Bevölkerung den Errungenschaften der Zivilisation entziehe. Schließlich hätten auch die Basarwa ein Recht auf Schulausbildung und medizinische Versorgung. Dieses Recht ist nun aber zur Pflicht geworden, und diese Argumentation ist besonders heikel, da die konstruierte Dichotomie »primitiv« vs. »zivilisiert« wesentlich für die Legitimation des Kolonialismus war.

Die Lebensweise des Jagens und Sammelns der Basarwa war dazu prädestiniert, um als »primitiv« zu gelten. Sie waren seit der Kolonialzeit von Diskriminierung, Verfolgung und Mord betroffen, so dass sich ihre Zahl von über einer Million auf etwa 100 000 reduzierte. Sie hatten, im Gegensatz beispielsweise zu den Khomani in Südafrika, nie rechtlichen Anspruch auf das Land, das sie bewohnten.

Hat die Regierung das Recht, eine Bevölkerungsgruppe zur Aufgabe ihrer traditionellen Lebensweise zu zwingen? In der Logik des Umgangs mit »Primitiven« ist es konsequent, dass es gerade die botswanische Naturschutzbehörde ist, die sich mit der traditionellen Lebensweise der Basarwa auseinander setzt und der Regierung Vorschläge unterbreitet. Die Basarwa selbst wurden nicht befragt, als es darum ging, Lösungen zu erarbeiten. »Wir fühlen uns wie Fische auf dem Trockenen. Die Regierung kennt unsere Kultur und sie weiß genau, dass wir eine Möglichkeit brauchen, um mit unseren Vorfahren zu kommunizieren. Uns zu zwingen, die Grabstätten unserer Vorfahren zu verlassen, ist eine Form von Unterdrückung«, beschreibt Khumanego Phethadipuo, ein Betroffener, die Situation nach den Umsiedlungen.

Zudem bleibt den Umgesiedelten eine gesellschaftliche Integration meist verwehrt. In den neuen Siedlungen können sie ihren Lebensgewohnheiten nicht nachgehen, da diese Gebiete oft keine Möglichkeiten für Landwirtschaft oder Jagd bieten. Manche versuchen, auf kleinen Flächen Früchte anzubauen, oder suchen Arbeit auf umliegenden Farmen. Die meisten aber sind ohne Lohnarbeit und werden von social welfare abhängig.

Die Naturschutzbehörde will den Basarwa nun einen Teil des Wildreservats in der Kalahari abtreten und ihnen auch die Jagd auf wilde Tiere genehmigen, sofern sie sich an eine Quotenregelung halten. Außerdem könnten sie im Ökotourismus und beim Schutz der empfindlichen Natur in der Kalahari eine wichtige Rolle spielen. Auch Vorschläge der Europäischen Union sehen vor, die Basarwa in die Entwicklung des Wildreservats einzubeziehen.

Kritiker der Umsiedlungspläne und die botswanische Opposition bezweifeln, dass die Regierung Botswanas darauf eingehen wird. Denn neben dem Tourismus hat die Kalahari womöglich noch eine zweite bedeutende Ressource zu bieten: es werden dort gigantische Diamantenfelder vermutet.

Botswana ist mit rund der Hälfte aller Vorkommen der größte Diamantenproduzent der Welt. Das Geschäft mit den Edelsteinen erwirtschaftet ein Drittel des Sozialprodukts und die Hälfte der Staatseinnahmen.Die Diamantenmine Jwaneng ist die größte der Welt und die Perle in der Krone des Bergbaureiches des Unternehmens De Beers. Über zwei Milliarden US-Dollar im Jahr bringt die Förderung aus Jwaneng und den anderen großen botswanischen Minen.

»Diamonds for development« lautet das entwicklungspolitische Schlagwort. Botswana ist seit seiner Unabhängigkeit 1966 eine parlamentarische Demokratie, das Prokopfeinkommen liegt mit 4 000 Dollar weit über dem afrikanischen Durchschnitt. Doch 40 Prozent der Bevölkerung leben noch immer unter der Armutsgrenze, und mehr als ein Drittel der Bewohner hat sich mit HIV infiziert, laut WHO die höchste Rate der Welt.

Das meist weibliche Personal der Diamantenschleifbetriebe verdient nicht mehr als 100 Dollar im Monat. Eine Regierung, die mit Diamantenexporten sechs Milliarden Dollar an Devisenreserven angehäuft habe, das anderthalbfache Bruttosozialprodukt des Landes, könnte mehr für ihre Bürger tun, meint Edward Adwood, Generalsekretär der Bergbaugewerkschaft BDWU.

Botswanas Regierung ist darauf bedacht, dass die eigenen Exporte nicht mit den Blutdiamanten aus Kriegsgebieten in Zusammenhang gebracht werden. Strenge Kontrollen machen eine »Diamantenwäsche« in Botswana geradezu unmöglich. Dennoch können botswanische Diamanten durch die Umsiedlungspolitik nun auch zu »Konfliktdiamanten« werden. Ein Sprecher von De Beers meinte hingegen, die Rentabilität sei zu gering, so dass niemand Interesse an diesen neuen Diamantenfeldern habe.

Die Regierung hält allerdings an ihren Plänen fest. Der ehemalige Präsident Ketumile Masire behauptet, es seien ausländische Ethnologen, die aus Interesse am Fortdauern einer steinzeitlichen Lebenswelt die Buschleute zur Sturheit überredeten. Moegn Pheto, Generalmajor a.D., meinte bei seinem Treffen mit den Basarwa sogar: »Wollt ihr, dass die Touristen kommen und euch fotografieren wie wilde Tiere?«

Ein Gericht in der Hauptstadt Gaborone hat die Rechtmäßigkeit der Umsiedlung der Basarwa zunächst bestätigt. Seither versucht die Organisation First People of Kalahari, mit Hilfe der britischen Gruppe Survival International und des britischen Anwalts Glyn Williams dagegen zu klagen.