Grillen, bizarr

Kevin Blechdom denkt auf ihrem neuen Album ständig schief, möchte aber alles verkehrt herum haben. von christoph braun

Schiefdenken: Noch bevor die Pubertät in all ihren Krassheiten nach einem greift, wird Schiefdenken zum Paradigma der Weltwahrnehmung. Vor spritzenden Pickeln, vor den ersten Schamhaaren. Kevin Blechdom ist zwar längst erwachsen. Doch zu den Merkwürdigkeiten, die ihr Erwachsensein zu einem nichtnormierten Erwachsensein machen, gehört das Sich-Bewahren des Schiefdenkens. Ihre neue LP heißt zu deutsch »Nutten ohne Hosen«, und darauf herrscht ein Drauf und Drüber aus Eiern, Bienen, Pimmel-Erhitzungsmaschinen und Busen-Barbecues.

»Niemand versteht mich da so richtig. In meinem Unbewussten lauert eben ständig Sex. Jedes Gespräch endet bei mir irgendwann zwangsläufig damit, dass ich in einer Aussage meines Gegenübers eine perverse sexuelle Bedeutung entdecke«, erzählt Kristin Erickson aka Kevin Blechdom im Berliner Büro ihrer Plattenfirma Chicks On Speed Records. Da sie vor dem Gespräch von einem Fotografen durch Planschbecken gezerrt wurde, steckt sie nun in einem türkisen Minizelt. Könnte auch ein zufällig im Büro entdecktes Kleid sein, das einer wesentlich größeren Person gehört. Ihre eigene Kleidung hängt derweil über der Tür und tropft.

In jedem und allem eine sexuelle Bedeutung zu entdecken, das ist genau der Spaß, den alle Vor-Pubertären haben. Als Musikerin formt Kevin Blechdom ihr Weltwahrnehmungsparadigma zur Kunst und landet bei einem von den Surrealisten geprägten Verständnis von Freiheit: »Ich möchte die Dinge auf bizarre Weise imaginieren. Dem liegt ein ganz tiefer Wunsch von mir zugrunde. Ich wünschte so sehr, ich lebte in einem Traum, und alles wäre verkehrt«, beantwortet Erickson die Frage nach der Inspiration durch Bretons Bewegung.

Ganz harmlos geht das auf Blechdoms neuer Platte »Bitches Without Britches« los mit dem Song »Use Your Heart As A Telephone«: Ein Banjo pickt, ein Keyboard wirft eine Lichtfläche darüber, und zum Stumpf-Beat singt Kevin Blechdom etwas neben der Spur. »Use Your Heart As A Telephone And Then You’ll Never Be Alone You’ll See«. Die Sopranstimme kratzt leicht, wenn sie weiter vorschlägt, das Herz als Kommunikationsinstrument könne Millionen Kilometer zurücklegen, und die Seele erledige dann schon das Sprechen.

Ein beliebter Topos im Surrealismus war die Darstellung abgetrennter Körperteile. In Zeiten der möglichst keimfreien Bebilderung heutiger Kriege müssen die Zerrbilder Kevin Blechdoms jedoch woanders herrühren. An herumfliegenden Geschlechtsorganen und Sexmaschinen hängen für Kevin Blechdom zwei andere aktuelle Fragen – Gentechnik und Kontrolle über den Körper.

»Was die Reproduktion mithilfe der Gentechnik betrifft, da ist meine Haltung: Erstmal nicht verschlossen sein. Das gehört für mich zum ›bizarren Imaginieren‹. Solange niemand Schmerzen erleidet, sollen das die Leute ruhig versuchen.« Diese Aussage erweckt den Eindruck, der sich im Laufe des Gespräches mit Ericksson verstärkt. Wo die meisten Pseudonym-User ziemlich klar zwischen Kunstperson und Alltagsperson trennen, scheinen diese Grenzen für Kristin Ericksson/Kevin Blechdom nicht zu existieren. Genauso wenig wie die zwischen Kunst und Alltag – da interessiert sich die ca. 30jährige aus einem romantisierenden Drang eher für mögliche neue Körperformen als etwa für jetzt schon abzusehende Krebsgefahren etc. durch genmanipuliertes Reproduzieren.

Wobei für Blechdom mit dem Körper auch gleich die Frage der Kontrolle gestellt ist. »Was machen diese schwarzen Linien auf deinen Brüsten?« heißt es zum Beispiel in »Boob-A-Q«. Da malmt ein Breakbeat, und zu dissonanten Rückwärtsloops singt Kevin Blechdom über Frauen, die sich ihre Brüste grillen. Was machen also diese schwarzen Linien auf den Brüsten? »Diese Selbstzerstümmelung, etwa wenn Jugendliche sich den Arm aufritzen, darin sehe ich auch immer eine Kontrollmaßnahme. Es ist eine Art, mit dem Druck von außen umzugehen. Ich möchte natürlich nicht verschweigen, dass dieses Vorgehen auch ein selbstzerstörerischer Akt ist.«

Als eine der wenigen Frauen in der elektronischen Popmusik ist man für derlei »Druck von außen« wohl zwangsläufig sensibilisiert. Kevin Blechdom gehörte zu den drei Frauen unter zig Künstlern auf dem Tigerbeat 6 Label, der US-Institution in Sachen irritierender Laptop-Musik. Wobei sie während eines Studiums von Klavier und Komposition am Mills College in Oakland strategischen Geschlechteressenzialismus praktizierte: »Es ist ein toller Ort. Erstens gibt es dort hervorragende Lehrer und Lehrerinnen für zeitgenössische Musik. Und zweitens dürfen nur Frauen dort studieren.«

Dass Blechdom ihren Abschluss in »Computer Composition« machte, ist ihren ersten Veröffentlichungen auf Tigerbeat 6 Records noch anzuhören. Alleine und als Teil des Frauenduos Blectum From Blechdom wurde sie bekannt für minimalistische Soundcollagen. Doch schon Blectum From Blechdom, die sich aus Kevin Blechdom und ihrer Imaginär-Schwester Blevin Blectum zusammensetzten, unterschieden sich vom gemeinen Laptop-Typ mit dem ernsten Blick. So bastelten sie sich Häschen-Kostüme für ihre Live-Auftritte und führten schonmal Boygroup-Karaokes auf.

Für das Duo hat sie auch den Künstlernamen gewählt: »Wir wollten anfangs unsere Gesichter nicht zeigen. Alle sollten denken, wir seien Männer.« Dass dann tatsächlich über die Musik dieser »two guys« geschrieben worden sei, das empfinde sie noch heute – so bescheuert das klinge – als Kompliment. »Man steckt doch gleich in einer Unterkategorie, wenn der eigene Sound als ›Frauenmusik‹ charakterisiert wird. Mir ist aber mittlerweile sehr wichtig geworden, als Frau in der elektronischen Musik präsent zu sein. Wir dürfen uns nicht für immer beschweren, wir müssen Exempel statuieren.«

Nach dem Ende von Blectum From Blechdom im vergangenen Jahr hat sich für Kevin Blechdom einiges geändert. Während eines Besuches entschloss sie sich vergangenen Herbst spontan, in Berlin zu bleiben. Die Stadt gefiel ihr, außerdem eigne sie sich hervorragend als Ausgangspunkt für Europa-Tourneeen. Mittlerweile ist sie Teil von »The Hub« (»Der Mittelpunkt«), einem Netzwerk Kreuzberger MusikerInnen, zu denen auch Angie Reed gehört. Und die Musik von Kevin Blechdom klingt nun fast schon nach New Yorker Antifolk, wie ihn das gemischte Duo The Moldy Peaches spielt. Dem allpräsenten Banjo, dem Schiefdenken und dem bizarren Singen sei dank: »Die Software ist mir langweilig geworden.«

Kevin Blechdom: Bitches Without Britches (Chicks On Speed Records/EFA)