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Martin Kippenberger posthum auf der Biennale in Venedig: Die Aufregung um den Tabuverletzer hat sich gelegt, jetzt wird am klassischen Künstlerbild gewebt. von manfred hermes

In einem Tribut an Martin Kippenberger in Artforum hat es Jeff Koons so zusammengefasst: Kippenbergers Arbeiten hätten im Betrachter vor allem immer das gute Gefühl von Selbstermächtigung, Unabhängigkeit und Machbarkeit hinterlassen. Da ist sicher etwas dran, und es trifft wahrscheinlich bis heute zu, weil die Witze noch funktionieren und man inzwischen auch den Zusammenhang und die Details besser überblickt.

Um 1980 war es allerdings nicht so klar, wie diese diversen neuen Unverschämtheiten und Virilitätsmodelle einzuschätzen wären, die sich im Kunstbereich wieder durchzusetzen begannen: ein genialischer Habitus, große, schnell bemalte Leinwände, teure Anzüge, diverse »Befreiungen« und ein Primitivismus des neoexpressionistischen Typs. Als postmodern ging damals jedenfalls alles mögliche durch, ein revisionistisches »Endlich kann man wieder« genauso wie ein popmäßiges »Alles geht«.

Bei Kippenberger sah das so aus: Jedes Bild ein gemalter Witz, aus beliebigem Bildmaterial zusammengesetzt. Je trivialer die Motive, je brüllender die Titel, umso besser. Sich kulturkritisch über eine »Flut der Bilder« zu beklagen, wäre Martin Kippenberger schon deshalb nicht in den Sinn gekommen, weil diese »Flut« die Bedingung seiner Arbeitsweise war. Schon beim ersten Auftritt als Maler »Uno di voi, un tedesco in Firenze« (1976) stellte er fest: Warum nur 25 Bilder malen, wenn es auch 125 sein können?

Mitte der achtziger Jahre hatte Kippenberger die Chaotisierung von Bildverhältnissen und eine Ästhetik des Exzesses einigermaßen perfektioniert. Seine collagierte Malerei zeigte aber auch ein erstaunliches koloristisches Talent und die Fähigkeit, mehrlagige Bilder in vielen Varianten zu produzieren. Trotzdem wurde Kippenberger selten als der geschickte Maler, Kolorist und Hochkultur-Abweiser in der Tradition von Picabia, Warhol oder Polke betrachtet, sondern immer eher als Witzereißer und Tabubrecher. Vorwürfe wie Frauenfeindlichkeit oder Zynismus hingen ihm bis in die neunziger Jahre nach, obwohl bei näherem Hinsehen die Dinge schon damals alles andere als eindeutig waren. Eines der Bilder, die Vorwürfe wie diese zu bestätigen schienen, war »Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken« (1984). Mit den Mitteln des analytischen Kubismus hatte Kippenberger das Symbol des Nationalsozialismus in einen staksigen Haufen schwarz-rot-gelb-weißer Stangen zerlegt. Ohne den Titel, eine Anspielung auf Sechziger-Jahre-Witze über nichtfigurative Malerei, wäre das schwere politische Geschütz gar nicht als solches zu erkennen gewesen.

Bilder wie dieses zeigten vielmehr ein Kunstverfahren, dessen »postmoderne Sensibilität« sich weder in den üblichen erdigen Historismen noch in farbenfrohen Populismen eingerichtet hatte. Sein Denken funktionierte vielmehr als eines innerhalb von Zwickmühlen. Kippenberger liebte die »Kunst der Väter« und fand das, was Künstler seiner Generation produzierten, meist unerträglich und bemüht. Ein großer Teil seiner Kunstproduktion war immer Reaktion auf diese Ausgangslage gewesen: Auf gewisse rassistische Bilder der »Neuen Wilden« aus Köln reagierte er mit der »INP«(Ist nicht peinlich)-Serie . Als Mitte der achtziger Jahre, vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Prosperität, sich wieder hermetisch-metaphysische Bilder und eine auf beeindruckende Wirkung zielende Fotografie am Kunstmarkt durchzusetzen begannen, stellte Kippenberger ihnen seine Versionen »für Arme« entgegen. Pompösen Architekturfotos schob er seine technisch anspruchslosen Schwarzweißfotos der »Psychobuildings« hinterher.

Trotz dieser reaktiven Arbeitsweise und einer prinzipiell unzusammenhängenden Stilistik hat die öffentliche Figur Kippenberger ein klassisch-hypertrophes Künstlerbild stimuliert. Bis heute haftet ihm das Etikett des »genialen Selbstdarstellers« an, und noch sieben Jahre nach seinem Tod wird Kippenberger als soziales Phänomen beschworen.

Eine gewisse Bestätigung scheint diese Rezeption durch Kippenbergers Hang zu Selbstporträts zu bekommen. Die Einladungskarte zu »Dialog mit der Jugend« (1981) zeigte ihn mit heftig lädiertem und bandagiertem Kopf als Opfer eines Überfalls. Selbstdarstellungen neigen bei ihm zu Ramponiertheit, Entblößung oder parodistischen Posen: gefesselt in der Umverpackung des Dosenbiers in »Alkoholfolter« (1981) oder mit herausgedrücktem Bauch und in picassoartigen Seidenunterhosen (»Ohne Titel«, 1988). Unzählige Bilder der neunziger Jahre bilden die Wirkungen und die Verzweiflung des Alterns in aller Bitterkeit ab (Medusa-Serie, 1996).

Wenn ein gewisser narzisstischer Anti-Narzissmus das Prinzip dieser Körperikonografie war, so sollte der Einsatz des eigenen Körpers aber vor allem seine Arbeit beglaubigen. Die Wiener Aktionisten oder Teile einer feministischen Konzeptkunst dachte er dabei durchaus mit. Seit den späten achtziger Jahren hatte Kippenberger die Ich-Bezüge außerdem um eine metaphorische Ebene erweitert: Kippenberger als Spiderman, Frosch, Eiermann, Weihnachtsmann, Jesus, Laterne. Oder alles auf einmal. Im Frosch steckt ein schöner Mann, und auch der Jesus (Frosch) am Kreuz ist nichts weiter als das gut eingeführte Symbol einer Verwandlung von Leid in Triumph.

Kippenbergers Produktion funktionierte als eine Art Rollenspiel innerhalb der gerade umlaufenden Ideen, Darstellungsmoden oder sozialen Kontexte.

Zwar teilte Kippenberger gerne sarkastische Seitenhiebe aus, weitaus häufiger verbeugte er sich jedoch vor Positionen wie denen von Wols, Polke, Picabia, Muehl oder Lawler. Es ist nicht einfach, immer die Grenze zwischen Vereinnahmung und gelebter Solidarität mit Kollegen zu erkennen. Abgrenzung war für Kippenberger aber auch nicht das größte Problem, dazu verstand er sich zu sehr als Schnittstelle innerhalb von Kunstverhältnissen. Der Einfluss, den andere auf seine Ideen- und Kunstproduktion hatten, war aber nicht immer so deutlich zu erkennen wie in den Ausstellungsplakaten, die er sich 1994 von Leuten wie Christopher Wool, Cosima Bonin oder Clegg & Guttmann entwerfen ließ. Strukturell gefestigter waren diese Verwischungen ohnehin im alltäglichen Studiobetrieb. Zwar war das Kippenberger-Studio nicht gerade ein selbstverwaltetes Kollektiv, aber seine jeweiligen Mitarbeiter spielten eine wesentliche Rolle im Herstellungsprozess und hatten weitgehend freie Hand bei der Gestaltung von Ausstellungsaufgaben. Michael Krebber war für die Möbelskulpturen von »Peter« (1987) verantwortlich, Ulrich Strothjohann hat das »Spiderman-Atelier« (1996) gebaut, und Merlin Carpenter malte die Bilder à la Kippenberger für »Heavy Burschi« (1991).

In den Interviews, die Jutta Koether 1990/91 mit ihm geführt hat, zeigte sich Kippenberger als jemand, der sich über seine widersprüchliche Rolle völlig im Klaren war, die ihm auch abverlangte, in größter Abhängigkeit ständig souveräne Akte zu produzieren, d.h. unter der Bedingung persönlicher Involviertheit und gerade in den Überbietungen, Frechheiten und Flexibilitäten kapitalistische Produktionsstrukturen zu reproduzieren. In diesem Zusammenhang kamen erstaunlich oft Geldfragen zur Sprache: als Voraussetzung für die Erhaltung des eigenen kleinen Lädchens und nicht zuletzt als Wertmesser für die Anerkennung eines Künstlers.

Eines der Mittel, in dieser Zwickmühle paradoxer Anforderungen beweglich zu bleiben, war die schlampig wirkende Überproduktion, der Humor und die Mehrdeutigkeit. Seine erste Einzelausstellung in einem Museum enthielt in dieser Hinsicht wichtige Statements. Der Titel »Miete Strom Gas« (1985) war natürlich auch ein Scherz. Aber Arbeiten wie die frei nach Henry Moore entworfenen Styroporskulturen von »Familie Hunger« bezogen sich auf konkrete Grundbedürfnisse und grenzten einen Zynismus entschieden genug ein. Zwar machte diese Gruppe mit »Loch im Bauch« aus Kippenberger noch nicht die Käthe Kollwitz des späten 20. Jahrhunderts, aber die Nachbarschaft zu Bildern wie »Ertragsgebirge« und »Kostengebirge« (1985) verstärkten immerhin den Eindruck, dass sich die ständigen Verweise auf das Ökonomische nicht nur dem Zufall von Kippenbergers Gagproduktion verdankten. Mit dem Bild »Entwurf mit Wirtschaftswerten von Joseph Beuys« (1985) verwies er ganz direkt auf einen Künstler, der sich die antikapitalistische Auseinandersetzung mit Akkumulationsprozessen, Kapital- und Energieformen »in großem Stil« zur Aufgabe gemacht hatte. Das Plakatmotiv zu »Miete Strom Gas« verlieh dem Ganzen zudem eine gewisse Drastik. Das Foto der Explosion der Challenger schlug den Achtziger-Jahre-»Boom«-Verhältnissen eine Katastrophik um die Ohren, wenn auch nie ganz klar war, wie sehr Kippenberger sie als eine systemimmanente ansah.

»Es muss knallen«, war bei ihm ja sonst eher eine Forderung nach Mindeststandards von Temperament, Leichtigkeit und Witz. Trotzdem ist es im Rückblick erstaunlich zu sehen, wie durch und durch materialistisch Kippenbergers antikünstlerischer Impuls fundiert war. Der Humor, dieses für ihn so typische Treibmittel, bekam gerade in diesem Zusammenhang noch eine weitere Funktion: Das schnell Gemachte, Vulgäre und Witzige ließ Emotionen und vor allem die Realität von Produktionsbedingungen in das Kunstobjekt eindringen, das so leicht von Starre bedroht ist.

Ob die neuen Besitzverhältnisse, die mit dem Tod Martin Kippenbergers 1997 eingesetzt haben, auch neue Rezeptionen bedingen, muss sich in Venedig erweisen.