Die letzte Warnung

Zum vierten Jahrestag der Studentenrevolte in Teheran kam es erneut zu Demonstrationen. Die Protestbewegung hofft nicht mehr auf Reformen. von wahied wahdathagh

Alle Demonstrationen innerhalb und außerhalb der Universitäten waren von den iranischen Behörden verboten worden, die Hochschule in Teheran und die Studentenheime wurden sogar vom 7. bis 14. Juli geschlossen. Der mächtigste Mann des Iran, der religiöse Führer Ayatollah Ali Khamenei, hatte die paramilitärischen Bassijis aufgefordert, gegen Demonstranten »unerbittlich« vorzugehen, und der einflussreiche Ayatollah Mesbah Yasdi hatte erklärt, Protestierende und ihre Unterstützer müssten als »Feinde Gottes« behandelt werden. Für »Feinde Gottes« ist im iranischen Gesetzbuch die Todesstrafe vorgesehen.

Dennoch demonstrierten am letzten Mittwoch Tausende Menschen in Teheran gegen die klerikale Herrschaft. Anlass für die Demonstrationen war der Jahrestag des Überfalls regimetreuer Schlägertrupps auf ein Studentenwohnheim in Teheran am 9. Juli 1999.

Die Demonstranten riefen Parolen wie »Tod Khamenei« und auf den Präsidenten bezogen: »Khatami, tritt zurück«. In der Nähe der Teheraner Universität lieferten sich Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei und den »Wächtern der Revolution«. Diese zivil gekleideten Bassiji-Einheiten, die ein Teil der staatlichen Revolutionsgarden sind, griffen gemeinsam mit Polizisten die Demonstranten an.

Ein wachsender Teil der Protestierenden hat keine Hoffnung mehr auf Veränderungen innerhalb des bestehenden Systems und kein Vertrauen mehr in die so genannten Reformer um Präsident Hojatoleslam Muhammad Khatami und die ihm nahe stehenden Organisationen. Sie fordern einen regime change, einen säkularen und demokratischen Staat.

Die Protestbewegung beeinflusst sogar schon offizielle Institutionen. In einem von der in über 30 Universitäten vertretenen staatlichen islamischen Studentenvereinigung unterzeichneten Brief wird das islamistische Regime als System »politischer Apartheid« bezeichnet, das »dem iranischen Volk jegliche Sicherheit genommen hat, weil es uns das Recht auf Selbstbestimmung genommen hat, weil es unsere Existenz auf die Befriedigung elementarster Bedürfnisse reduziert hat.« (Den vollständigen Text des Briefes dokumentiert www.memri.de.)

Zur besonderen Verärgerung der Ayatollahs war das Schreiben nicht an den religiösen Führer oder den Präsidenten, sondern direkt an die Vereinten Nationen und ihren Generalsekretär Kofi Annan gerichtet. Nach einer Pressekonferenz am letzten Mittwoch wurden drei Studentensprecher, Resa Ameri Nasb, Arash Hashemi und Ali Moqtaderi, regelrecht entführt. Sie hatten bekannt gegeben, dass der Brief authentisch sei, obwohl sie unter Druck gesetzt worden waren, die Echtheit des Schreibens zu leugnen oder den Inhalt zu widerrufen.

Vertreter der Khatami-Fraktion versuchen vergeblich, solche Proteste und die seit Wochen andauernden Demonstrationen zu beenden. So forderten vier Parlamentarier, die als Vertreter der Studenten bekannt sind – Fateme Haqiqatju, Aliakbar Mussavi Khoini, Resa Yusefian und Ali Tajernia – diese schriftlich auf, von öffentlichen Protesten im Inland abzusehen und sich nicht an ausländische Institutionen zu wenden, damit ihre Forderungen »in einem ruhigen Klima« behandelt werden können.

Die Fraktion Khameneis hingegen setzt allein auf Repression. Einer der mächtigsten alten Männer des Iran, Ayatollah Ahmad Jannati, Sekretär des Wächterrates, der das letzte Wort in der Gesetzgebung hat, bezeichnete die in den letzten Monaten Festgenommenen als »Verbrecher, Diebe, Drogenschmuggler, Straßenräuber, Bettler und Hooligans«.

Jannati führt die paramilitärischen Ansare Hesbollah an, die gemeinsam mit den Bassiji-Einheiten eine unbekannte Zahl von Demonstranten verhafteten. Beide Organisationen stehen unter dem Einfluss Khameneis.

Ayatollah Abdonabbi Namnazi gab Ende Juni zu, dass 4 000 Menschen eingesperrt wurden, nur einige von ihnen seien Studenten gewesen. Etwa 40 Prozent der Verhafteten sollen wieder freigelassen worden sein. Experten gehen jedoch davon aus, dass die reale Zahl der Häftlinge diese offizielle Angabe weit übersteigt. Nach den Protesten vom 9. Juli dürfte sich diese Zahl noch einmal erhöht haben. Offiziell war die Rede von 60 Verhafteten in Teheran.

Viele der Gefangenen werden an unbekannte Orte gebracht, ihnen droht die Hinrichtung oder die Ermordung. Den Familienangehörigen von Farid Ghahremani, Parviz Ghahremani und Gheyssar Barani, drei im Juni inhaftierten säkularen Intellektuellen aus Shiras, wurde mitgeteilt, dass diese bald in die »Hölle gehen« würden.

Der übermächtige Repressionsapparat ist noch in der Lage, die Macht der Ayatollahs zu sichern. Doch der Versuch, das islamistische Regime von innen heraus zu verändern, ist gescheitert, auch wenn die Bundesregierung aus geschäftlichen und machtpolitischen Gründen weiter an die Reformfähigkeit des khomeinistischen Staates glauben möchte.

106 Studenten haben im Juni einen Brief an Präsident Khatami geschrieben und das islamistische Establishment gewarnt. »Das ist unser letztes Wort in einer Reihe von Dialogen zwischen der Studentenbewegung und der Führung der Islamischen Republik« und: »Beeilt euch, sonst ist es zu spät.« Noch einmal kritisierten sie das Ausbleiben der Reformen, die Khatami versprochen hatte: »Ihr Schweigen ist schmerzvoll und enttäuschend. Wie erklären Sie sich als zweiter Mann im Staat offen sichtbare Entführungen auf den Straßen, die Existenz von illegalen Gefängnissen und willkürliche Verhaftungen?«

Die Studenten warnen vor einer »Katastrophe« im Falle einer Konfrontation, unter der die ganze Nation leiden und die auch die Machthaber treffen würde, da ein »Regime, dessen Legitimität schwindet, mit Konsequenzen für alle gewählten und nicht gewählten Machthaber« zu rechnen habe. »Tun Sie ihr Bestes, um einen solchen Tag zu vermeiden.«

Khatami verteidigte daraufhin die islamistische Staatsräson und forderte »Meinungsfreiheit im Rahmen des Gesetzes, aber konsequentes Handeln gegen Gesetzesbrecher«. Ein Gesetzesbruch ist im Iran allerdings schon die Forderung nach Meinungsfreiheit oder nach einer Rückkehr der Mullahs in die Moscheen.

Das iranische Regime will seine Macht mit der Entwicklung von Atombomben und weit reichenden Raketen nach außen sichern und erweitern. Massenverhaftungen, Folter und Hinrichtungen sollen die Bevölkerung in Schach halten. Die Mullahs der khomeinistischen Diktatur werden ihre Macht nicht freiwillig abgeben, die Protestbewegung ist jedoch noch zu schwach, um sie zu stürzen.