Siedeln und Taktieren

Die israelisch-palästinensischen Beziehungen haben sich etwas entspannt, doch in den Fragen des Rückkehrrechts und der Siedlungen sind noch keine Lösungen in Sicht. von stefan vogt

Gerade einmal zwei Monate hat es gedauert, bis der palästinensische Präsident Yassir Arafat zum offenen Angriff auf seinen Ministerpräsidenten übergegangen ist. Nachdem Arafat zuvor seinen Vertrauten mehrfach die Gelegenheit geben hatte, Mahmoud Abbas im Zentralkomitee der Fatah scharf anzugreifen, bezichtigte er ihn nun selbst bei einem Gespräch mit dem UN-Botschafter Terje Larsen des »Verrats an den Interessen des palästinensischen Volkes«.

Arafat will verhindern, dass Abbas’ Vertrauter Mohammed Dahlan die Kontrolle über das Innenministerium und damit über die verschiedenen Sicherheitsdienste erhält, mit denen er die Entwaffnung der militanten Gruppen, einschließlich der Tanzim- und Al-Aqsa-Brigaden der Fatah, durchsetzen könnte. Der eigentliche Gegenstand des Konflikts ist die Frage, ob die militärische Konfrontation mit Israel noch einen Sinn hat. Während Abbas diese Strategie endgültig aufgeben will, hält Arafat weiter an ihr fest.

Es zeigt sich immer deutlicher, dass auf palästinensischer Seite der Präsident neben den Islamisten das größte Hindernis für eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses ist. Der offene Konflikt mit Israel ist die Voraussetzung dafür, dass Arafat trotz Korruption und Krise innenpolitisch praktisch unangreifbar bleibt.

Mit einer Amnestie für die palästinensischen Gefangenen hätte die israelische Regierung die Möglichkeit in der Hand, in diese Auseinandersetzung einzugreifen. Sie ist bislang nicht bereit, Mitglieder der islamistischen Organisationen in die Amnestie einzubeziehen, und sie will wesentlich weniger Gefangene freilassen als von palästinensischer Seite gefordert.

Mit einer Ausweitung der Amnestie könnte die Stimmung unter den Palästinensern zugunsten des Waffenstillstandes und der Road Map, des amerikanischen Friedensplanes, aber auch zugunsten von Abbas beeinflusst werden. Das brächte auch eine ganze Reihe derzeit inhaftierter Konkurrenten Arafats um die palästinensische Führung wieder ins Spiel, die den bewaffneten Aufstand inzwischen als gescheitert betrachten. Es ist kein Zufall, dass der Waffenstillstand unter ihrer maßgeblichen Beteiligung zustande gekommen ist.

Während in die Amnestiefrage auf amerikanischen Druck nun etwas Bewegung kommen könnte, bleiben die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten ein ungelöstes Problem. Neben den eigentlichen Siedlungen sind in den letzten Jahren etwa 100 so genannter Außenposten errichtet worden, kleine, meist aus Wohnwagen bestehende Niederlassungen. Die Road Map verlangt in der ersten Phase die Räumung aller Außenposten, die seit der Wahl Ariel Sharons im Februar 2001 errichtet worden sind. Tatsächlich wurden in den letzten Wochen unter großem Medienecho einige dieser Außenposten geräumt, zum Teil auch gegen den gewaltsamen Widerstand der Siedler. Unter diesen verbreitet sich nun eine gewisse Nervosität, dass es Sharon mit seiner Verpflichtung zum Friedensprozess doch ernst meinen könnte.

In den israelischen Medien stellt man sich die Frage, ob die Räumungen der Außenposten nicht nur ein erneutes taktisches Manöver Sharons darstellten, mit dem er den amerikanischen Forderungen entgegenkommen kann, ohne es sich mit seinen rechten Koalitionspartnern zu verscherzen. Denn kaum sind Armee und Presse abgezogen, werden die gerade geräumten Posten wieder errichtet.

Nach US-amerikanischer Zählung hat sich seit der Unterzeichnung der Road Map durch Israel die Zahl der Außenposten gerade mal um einen verringert. Von Sharon wurden auch bereits Versuche gemacht, »strategische« Außenposten von der Verpflichtung auszunehmen und nur »provokative« sofort zu evakuieren.

Ein substanzielles Zeichen an die Adresse der Palästinenser wäre erst die Räumung einer vollständigen Siedlung. Davon ist aber bislang nichts zu sehen. Die Skepsis vieler Linker in Israel, dass die Zustimmung zur Road Map nur den Druck aus Washington dämpfen soll, scheint allzu berechtigt. Zwar hat sich die Armee inzwischen aus Teilen des Gaza-Streifens und aus Bethlehem zurückgezogen. Doch im Alltag der Palästinenser, der weiterhin von Straßensperren und Arbeitslosigkeit geprägt ist, hat sich dies noch nicht positiv niedergeschlagen.

Allerdings hat sich der Ton in den israelisch-palästinensischen Beziehungen deutlich verändert. Entgegen seinen bisherigen Beteuerungen verhandelt Sharon auch dann mit den Palästinensern, wenn die Anschläge nicht völlig aufhören. Als Gast von Justizminister Tomy Lapid besuchten Abbas und Dahlan in der letzten Woche sogar das israelische Parlament, vor kurzem noch ein undenkbarer Vorgang. Solange dieser symbolischen Annäherung keine praktischen Schritte folgen, scheint sich auch an Sharons Taktik nichts geändert zu haben. Ihm geht es, genau wie Arafat, um den Erhalt des Status quo als Grundlage seiner politischen Macht. Damit wäre aber auch dieser Friedensplan zum Scheitern verurteilt.

In der israelischen Öffentlichkeit, so die aktuellen Ergebnisse der Umfrage des Tami Steinmetz Center für Friedensforschung an der Universität Tel Aviv, scheint Sharon damit Erfolg zu haben. Denn während eine große Mehrheit der Israelis den Waffenstillstand und die bisherigen Vereinbarungen unterstützt, glaubt man weiterhin, dass Sharon eher als die Palästinenser die Verpflichtungen der Road Map einhält. Viele Israelis sind der Überzeugung, dass die Palästinenser das Ziel einer friedlichen Koexistenz aufgegeben hätten. Dafür ist neben den Terroranschlägen in erster Linie ihr Beharren auf das uneingeschränkte Rückkehrrecht der Flüchtlinge verantwortlich.

Die Umfrage des Steinmetz Center hat jedoch auch ergeben, dass eine wachsende Mehrheit der Israelis in Abbas im Gegensatz zu Arafat einen vertrauenswürdigen Politiker sieht, der ehrlich bemüht ist, den Terror zu bekämpfen. Zugleich werden die Stimmen auf der palästinensischen Seite immer lauter, die eine pragmatische Lösung des Rückkehrrechts wollen. Schon vor einem Jahr hatte der damalige PLO-Chef von Jerusalem, Sari Nusseibeh, eine Initiative gegründet, deren Prinzipienerklärung eine Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge ausdrücklich nur in den zu gründenden palästinensischen Staat vorsah. Beides sind Zeichen, die zu Hoffnung Anlass geben.

In Teilen der israelischen Linken scheint man sich hingegen den traditionellen palästinensischen Standpunkt zu Eigen machen zu wollen, dass es erst einer grundsätzlichen Anerkennung des Rechtes auf Rückkehr nach Israel bedürfe, bevor über dessen Implementierung verhandelt werden könne. Die Initiative von Nusseibeh wird von Gruppen wie Gush Shalom deshalb vehement abgelehnt. »Moralische Prinzipien«, so deren Sprecherin Yehudit Harel, »sind nicht weniger wichtig als Grenzen.«

Am 28. Juni gründete Gush Shalom gemeinsam mit anderen israelischen und palästinensischen Aktivisten eine gemeinsame Aktionsgruppe für den israelisch-palästinensischen Frieden, deren Forderungen sich wiederum nur an die israelische Seite richten. Nusseibehs Bemühungen, in der palästinensischen Gesellschaft das Rückkehrrecht endlich zur Diskussion zu stellen, werden dadurch torpediert. Ob die israelische Linke den Palästinensern damit einen Gefallen tut, ist fraglich. Die eigene Gesellschaft wird sie so jedenfalls kaum davon überzeugen, dass es eine friedliche Lösung des Konfliktes geben kann.