Was ist Cunnilingus?

Dolly Buster geht nun auch als Krimiautorin hart ran. von jürgen kiontke

Von Prag aus wurde die deutschsprachige Literatur revolutioniert. Der Prager Schriftsteller Franz Kafka schrieb auf Deutsch, und seine Werke beschäftigen seit Jahrzehnten Scharen von Kritikern und Germanisten. Gute Literatur, so hat mir mein Hochschullehrer Peter Pütz eingebläut, kommt eben aus den Randzonen des Sprachraums, von dort, wo sich Kulturen überschneiden.

Ein paar Etagen tiefer, aber gewissermaßen ebenso randzonal, wiederholt sich dieser Prozess jetzt: Die gebürtige Pragerin Katja-Nora Bochnickova schickt sich an, das deutsche Krimiwesen aufzurollen. Strukturelle Parallelen zu Kafka sind durchaus da: Sex und Gewalt, und herausragend die Beschreibung des Individuums im Kosmos, bei Bochnickova allerdings um einiges direkter als beim hauptberuflichen Versicherungsjuristen Kafka. Bocknickova firmiert unter dem Künstlernamen Dolly Buster, sie machte ihr Geld mit reichlich rabiaten Pornofilmen und leitet heute ein recht erfolgreiches Filmimperium in der Provinz. Legendär wurde sie mit ihrer Sex-Frageshow in der RTL2-Sendung »Peep«, in der sie mit ihrem Auftritt die heute gängigen Quizshows vorwegnahm. Mit stark osteuropäischem Akzent hieß es bei ihr beispielsweise: »Was ist Cunnilingus? Erstens der lateinische Name von Nebenhöhlenvereiterung; zweitens eine erfolgreiche Methode, Fremdsprachen zu lernen; drittens Oralverkehr.«

Nachdem Dolly Buster ihre Biografie veröffentlichte, legte sie einen Krimi vor: »Hardcut«, eine Geschichte über einen Mord und dessen Aufklärung im Pornomilieu. Kritiken und Auflagenzahlen waren gar nicht schlecht. Nun ist ihr zweiter Roman um die Titelfigur Lilly DeLight mit dem Titel »Tiefenschärfe« erschienen. Er spielt im Fernsehmilieu, dem »Gebiet, das ich am zweitbesten kenne«, wie sie sagt.

Ist das auch wirklich glaubwürdig, dass Dolly Buster jetzt so richtig als Krimiautorin reüssiert, möchte man der Form halber fragen. Zumal Buster aus einer Branche kommt, in der man es mit Authentizität nicht immer so genau nimmt und in der zuweilen Brüste mit Silikon gestreckt und Sperma durch Eiweiß ersetzt wird, wenn’s am Set mal wieder nicht richtig klappen will. Ich rufe bei ihrem Verlag Droemer/Knaur an: »Soweit wir wissen, schreibt Dolly Buster ihre Bücher selbst«, bekundet mir die Knaur-Pressesprecherin, »aber ich selbst will in diesem Zusammenhang nicht namentlich genannt werden.«

Egal. Frau Buster avanciert jedenfalls gerade zum Knaur-Literaturstar und empfiehlt sich für die Literatur- statt für die Sexmesse. Oder, um es mit der Heldin ihres Krimis zu sagen: Einer Umfrage zufolge sei sie 98 Prozent der Deutschen bekannt, aber ihre Filme habe niemand gesehen.

Zum Crime: Lillys Konkurrentin Greta Giehse ist ermordet worden, weitere Morde an Frauen sollen folgen. Da sie selbst in die Schuss-, oder besser: Schnittlinie gerät, sieht sie sich wie schon in »Hard Cut« gezwungen, auf eigene Rechnung zu recherchieren. Durchbrochen finden wir den Erzählduktus vom inneren Monolog des Täters, dessen Todesarrangements sich nicht hinter denen eines Patrick Bateman, dem Helden aus Bret Easton Ellis’ Roman »American Psycho«, zu verstecken brauchen.

Decknamen zu erfinden, hielt Dolly Buster für nicht besonders notwendig. So treten neben der namentlich genannten Teresa Orlowski auch andere Größen aus der Pornobranche mehr oder weniger verhüllt auf. Auch die Lebensweltbeschreibung der Hauptfigur, angesiedelt in Goslar, dürfte dem Leben der Dolly Buster in vielen Aspekten sehr ähnlich sein – einschließlich einer Auseinandersetzung mit dem Landfrauenverband. Lilly Delight hat außerdem zwei Hunde, die echte Buster auch.

»Tiefenschärfe« enthält Beschreibungen und Dialoge, die die Schlagfertigkeit Busters belegen. Die hat auch in Wirklichkeit zu jeder Zeit einen krassen Spruch auf Lager, der Rezensent konnte sich als Produktionshelfer bei »Peep«, und somit als Teekocher der Pornodiva, selbst davon überzeugen.

So weit, so gut. Mit der Authentizität der Krimigeschichte gibt es dennoch ein Problem. Denn Autorin Buster scheint sich wie viele durchschnittliche Krimischriftsteller, die auf Milieuschilderungen setzen, beweisen zu müssen, dass sie, Dolly Buster, das Buch auch wirklich selbst geschrieben hat. Ich, ich, ich! schreit es einem somit aus den ersten Seiten des Krimis entgegen, ich bin die Superpornoqueen, mich buchen sie fürs Fernsehen, ich bin die Superchefin, ich weiß auf alles eine Antwort. Buster macht sich wenig Mühe mit der Analyse der Gesellschaft, in der sich ihre Romanheldin bewegt. Außer Bemerkungen wie »Medien sind heute Wirtschaftsunternehmen« findet man da wenig. Es fehlen etwa Beamtenschweiß oder eine Portion Armut oder einfach mal ein wenig schlechte Laune. Stattdessen gibt es Reflexionen darüber, wie toll der deutsche Rechtsstaat ist, von dem jedenfalls die wegen Rufschädigung klagenden Pornoindustriellen profitieren.

Vieles ist dagegen gelungen an diesem Buch. Zum Beispiel die Dialoge. Hier einer, den Lilly als Moderatorin einer Fernsehshow führt:

– Hier ist der Oliver aus Brandenburg.– Hallo Oliver, was kann ich für dich tun?– Ja also, es ist so: Meine Freundin und ich, wir wollen Kinder.

– Wie alt seid ihr?– Ich achtzehn, sie sechzehn.

– Ah ja.– Und ich habe gehört, also ein Freund von mir hat gesagt, dass man von Duschgel steril werden kann. Stimmt das?– Also, Oliver: Erstens: du bist achtzehn, deine Freundin ist sechzehn. Ehrlich gesagt, ihr seid zu jung, um ein Kind aufzuziehen.– Och.– Zweitens: jemand, der sich von seinem Freund so verarschen lässt und glaubt, dass man von Duschgel steril wird, ist meines Erachtens schlicht und einfach zu blöd, um Kinder in die Welt zu setzen.

Ähnliche Ausführungen gibt es zu den Themen Coming-out und Oralverkehr (»Mach ihm klar: Wer geblasen werden will, muss erst lecken. Wenn nicht, such’ dir eine Affäre.«) Mit anderen Worten: die Autorin Dolly Buster hat Potenzial. Sie sollte sich von ihrer Heldin Lilly vielleicht nicht sofort verabschieden, aber deren Geschichte zum Beispiel in der dritten Person erzählen. Mit Kafka dürfte Dolly dann zwar nicht gleichziehen, aber das Erzähl- und Schlagfertigkeitstalent Buster könnte aus einem Geflecht randzoniger Themen wie dem Sexgeschäft, Tschechien, der EU-Ost-Erweiterung und Billig-Seximporten aus dem Osten einiges mehr an Literatur machen als bisher, sollte sie es denn mit ihrer neuen Arbeit noch ernster nehmen als bisher.

Dolly Buster: Tiefenschärfe. Knaur, München 2003, 310 S., 7,90 Euro