Kampf für Windmühlen

Eine Gruppe von BerlinerInnen hat große Pläne mit dem gerade ersteigerten Kesselberg-Gelände bei Erkner. Dem Bürgermeister sind die neuen Nachbarn nicht geheuer. von andreas schug

Erkner – Endstation der S 3 im Südosten Berlins. Ein gläsern blitzendes Einkaufszentrum im winzigen Ortskern, ein neuer Radweg und elegante stählerne Abstandhalter um die jungen Straßenbäume – ein vollkommenes Provinzidyll. Sieben Kilometer weiter, auf einem ehemaligen Abhörposten des DDR-Staatssicherheitsdienstes bei Neu Zittau, hat sich eine Gruppe von BerlinerInnen festgesetzt.

Elf Gebäude in bezugsfähigem Zustand stehen auf dem Waldgrundstück, vom Einfamilienhaus bis zum großen Seminarhaus, mit viel Platz drumherum. Eine 400 Meter lange Betonplattenpiste verleiht dem Ensemble einen leichten Kasernencharakter. In den vergangenen Jahren fanden hier bereits zwei lateinamerikanische Festivals statt und Ende Mai besuchten rund 400 Menschen das Queeruption-Festival auf den Kesselberg.

»Die kommen alle aus Kreuzberg hierher«, meint der Neu Zittauer Bürgermeister Herbert Bothe (SPD). »Das ist alles sehr merkwürdig, die machen da irgendwelche Schwitzhütten.« Aussteiger also, oder Esoteriker? »Weder noch«, sagt Thomas Kroll, einer der Mitbegründer des Projekts, »Leute, die keine Lust mehr aufs Stadtleben haben, die nicht mehr nur meckern, sondern etwas ausprobieren wollen.« Es sind überwiegend Alternative aus der Berliner Szene, vorwiegend aus dem Stadtteil Mitte, die vor über einem Jahr den Verein Ökologisches Kulturzentrum Kesselberg gründeten und vor drei Wochen das Grundstück für 103 000 Euro ersteigerten.

Dass sie den Zuschlag bekamen, bezeichnet Moritz Heusinger, der Anwalt des Vereins, als »Sensation«. Der Kaufpreis habe weniger als 20 Prozent des Verkehrswertes betragen. Zwei andere Bieter wollten entweder nicht den von der Bank genannten Mindestpreis von 100 000 Euro zahlen oder konnten den nötigen Sicherheitsbetrag nicht aufweisen. »Es hatte wohl niemand damit gerechnet, dass der Verein das Geld aufbringt«, sagt Heusinger, der mit einem Aktenkoffer voll Bargeld angerückt war. Zum größten Teil sind es Spenden, die der Anwalt treuhänderisch verwaltet.

Die Infrastruktur des Platzes kann sich sehen lassen. Schon jetzt gibt es eine eigene Wasserversorgung und Solaranlagen. Die Stromversorgung sollen vor allem die zwei Windräder sichern. Eine der beiden Anlagen auf dem Gelände hat der Besitzer, ein öko-bewegter Wendländer, dem Verein schon überlassen. Die Projektgruppe, die sich seit fünf Jahren um das Gelände bemühte, hat die Wartung übernommen. »Mindestens einmal am Tag müssen wir die Windmühle neu anwerfen«, berichtet der 32jährige Jörg Bender (Name geändert). In Zusammenarbeit mit dem Energieseminar an der TU Berlin will er auch verschiedene Formen der Energiespeicherung erproben, etwa das Aufheizen von Erdtanks.

Die Gebäude haben den fünfjährigen Leerstand ganz gut überstanden. Fast alle Scheiben, Dächer und Sanitäranlagen sind intakt, die Wände trocken. Nur der Heizung hat der Frost zugesetzt. Um die Gebäude winterfest zu machen, sucht die Gruppe nun günstige Baumaterialien, Werkzeug und vieles mehr. In Vorbereitung sind auch Selbsthilfewerkstätten zur Holz- und Metallbearbeitung, eine kleine Fahrradwerkstatt und eine Schmiede, die auch für die BewohnerInnen der umliegenden Gemeinden offen sein soll. Das Kompost-Klo wird gerade ausgebaut.

Eine vom ehemaligen Eigentümer begonnene Pflanzenkläranlage wollen die KesselbergerInnen fertig stellen. Die zugehörigen Baupläne haben sie in einem Berg alter Projektunterlagen gefunden. Nicht für jeden ist zu erkennen, dass hier moderne ökologische Technik zum Zuge kommen soll. Bürgermeister Bothe spricht von einer »Fäkaliengrube«. »Die lassen wir gleich wieder zuschütten«, kündigt er an.

Thomas Kroll, der vor fünf Jahren von der Bank für Sozialwirtschaft als Hausmeister eingesetzt wurde, spricht von einem »Kleinkrieg« mit dem Bürgermeister. Er betont, dass der Verein die gute Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat, die sich in der Amtszeit von Bothes Vorgänger entwickelt hat, fortsetzen will. Bothe hingegen sieht keine Perspektive für eine Kooperation. All »seine« Investoren, darunter eine Recyclingfirma, seien abgesprungen, weil sie fürchteten, die BerlinerInnen »nicht rauszukriegen«. Bei der Versteigerung hätten »30 Leute, die mit ihren Hunden vor dem Eingang standen«, dafür gesorgt, dass sich kein Bieter mehr hineingetraut habe. Dass genug Polizei vor Ort war, um alle Teilnehmer der Auktion mit Metalldetektoren abzutasten, erwähnt er nicht.

Offenbar aus Verärgerung über die BerlinerInnen, die seine Pläne durchkreuzten, pocht er jetzt darauf, dass nach dem Flächennutzungsplan keine Werkstätten und Lagerhallen erlaubt seien. Auch gibt es ständig Beschwerden bei der Feuerwehr wegen eines Grillfeuers auf den Betonplatten oder bei der Polizei wegen Ruhestörung. »Aber die sind ja nicht zu kriegen, die haben ja nichts. Und Steuern zahlen sie auch nicht.«

Die KesselbergerInnen wollen etwas versuchen, was bei steigenden Lebenshaltungskosten und Sozialabbau immer mehr Menschen vorenthalten bleibt: sich ein schönes Leben gestalten. Viele sehen auch gar keine Chance, »im normalen Betrieb« unterzukommen. Sie wollen Räume einrichten für politische Initiativen, die ein Wochenendseminar machen, für interkulturelle Treffen und für nicht kommerzielle Festivals. Geplant ist zudem »eine der ersten indigenen Botschaften der Welt«, die es vor allem VertreterInnen indigener Widerstandsgruppen aus aller Welt erlauben soll, »politisch, kulturell und sozial im Herzen Europas präsent zu sein«.

»Wir wollen das Gelände für die Allgemeinheit zugänglich machen«, betont Bender. Treffen und Festivals wie die Queeruption seien zum Selbstkostenpreis organisiert worden. Dabei solle es auch bleiben. Politische Gruppen sind eingeladen, den entstandenen Freiraum im Einzugsgebiet der Berliner S-Bahn zu nutzen. Bender will »kein kleines Idyll«, sondern eine vielfältige Nutzung. »Der Austausch ist wichtig«, sagt auch Kroll, »niemand will sich aus der Welt zurückziehen.«

Rechte müssen allerdings draußen bleiben. In Haus 1, direkt links neben dem Eingang, betreibt die Antifa von Erkner eine Bar. Sie hat dort ihren Treffpunkt, und die Jugendlichen verbringen ihre Zeit nur zu gerne mit Computerspielen – zum Beispiel mit Autorennen, die per Videobeamer an die Wand projiziert werden. Eine etwas andere Welt als die Öko-Harmonie hundert Meter weiter.

»Dass es beim Kesselberg geklappt hat, ist eine Ermutigung für andere Projekte, es auch zu versuchen«, sagt der Anwalt Heusinger. Gleichzeitig ahnt er auch die Schwierigkeiten, die kommen werden: »Weil sie bald über Land und Immobilien verfügen, stehten die Projektmitglieder vor einem Umbruch. Unter widrigen Umständen überwintert hatten nur sechs Leute, in diesem Frühjahr wurden es rund 20 und seit dem Zuschlag in Frankfurt an der Oder kommen ständig Neue. Die Hinzugekommen treffen mit neuen Ideen und Vorstellungen auf eine eingespielte Gruppe.« So ist das eben mit den Projekten.

Einig sind alle, dass sich niemand durch den Kauf bereichern soll. »Wir wollen jeden Privatbesitz am Gelände ausschließen«, erzählt Bender. Die Gruppe informiert sich über verschiedene Rechtsformen, zum Beispiel Stiftungen, damit die Vereinsmitglieder keinen Profit aus dem Landbesitz schlagen können.

Inzwischen fehlen dem Verein nur noch 10 000 Euro, um den Kaufpreis in der verbleibenden Frist von vier Wochen komplett zu zahlen und sich als Eigentümer eintragen zu lassen. Die Hoffnung Bothes, dass der Kauf aus Geldmangel nicht abgeschlossen wird, dürfte wohl nicht in Erfüllung gehen. Dabei hätte er »es allen gegönnt, nur nicht denen«. »Sollen wir denn alle so leben? Wollen die sich Kleider aus Tannennadeln nähen?«, fragt sich der Bürgermeister.

Infos unter: www.kesselberg.info