Die Lobby ist weg

Kein Einwanderungsgesetz

Ist Deutschland nun ein Einwanderungsland? Oder wird die Zahl derer, die ins Land kommen, bald kleiner sein als die Zahl derer, die es verlassen? Die Statistiker zählten in den vergangenen Jahren zwar noch einen »Zuzugsüberschuss« von etwa 200 000 Personen, aber immer mehr Arbeitssuchende zieht es nach Skandinavien, Großbritannien, in die Niederlande oder gar nach Übersee, weil der hiesige Markt zu wenige Jobs bietet. Und die Universitäten und Forschungseinrichtungen klagen schon länger, dass die Besten nicht zu halten seien, weil vor allem in den USA die Karrieremöglichkeiten besser sind.

So ist das nun einmal mit den Marktgesetzen. Angebot und Nachfrage regeln nicht nur das Geschäft mit Computern und Rindern, sondern auch die Immigration. Spätestens seit der faktischen Abschaffung des Asylrechts ist Einwanderungspolitik hierzulande nichts weiter als Arbeitsmarktpolitik und eine Rechnung von Kosten und Nutzen. Unternehmer und Sozialplaner verweisen seit Jahren in ihren Plädoyers für ein Einwanderungsgesetz auf den steigenden Bedarf an Facharbeitern und die Notwendigkeit eines Zuzugs, um die Sozialsysteme zu retten.

Doch den Befürwortern des Einwanderungsgesetzes gehen die Argumente aus. Ihr großer Trumpf, die Unterstützung »der Wirtschaft«, die zur Standortsicherung bessere Bedingungen und eine erleichterte Immigration ausländischer Facharbeiter forderte, zieht nicht mehr. Weil es nämlich für Wissenschaftler, leitende Angestellte, Studierende und auch für IT-Spezialisten bereits eine ganze Reihe von Möglichkeiten gibt, um an Visa zu gelangen, und sich der Arbeitskräftebedarf angesichts der Wirtschaftsflaute ohnehin in Grenzen hält, wird ein Einwanderungsgesetz für nicht mehr so dringlich angesehen. Außerdem stehen mit der Ost-Erweiterung der Europäischen Union Facharbeiter, Bau- und Erntehelfer, Hausangestellte und Pflegekräfte ohnehin schon vor der Tür. Und letztlich ist es den multinationalen Konzernen auch nicht so wichtig, wo ihre Angestellten ihren Dienst tun.

Die zweite Fraktion der Befürworter waren die Demoskopen und Sozialplaner. Sie errechneten, dass zur Sicherung der Sozialsysteme jährlich hunderttausende Einwanderer nötig seien. Angesichts einer steigenden Zahl von Rentnern drohten sonst die Alterspyramide und mit ihr der ganze Sozialstaat zu »kippen«. Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung seien nur zu finanzieren, wenn genügend Beitragszahler ins Land kämen. Weil nun der Sozialstaat sich mittels Agenda 2010, Gesundheits- und Rentenreform selbst kippt bzw. um- und abbaut, braucht es aber entsprechend weniger einreisewillige Retter des Sozialstaats.

Dem Einwanderungsgesetz ist also die Lobby verloren gegangen. Für viele MigrantInnen bedeutet die nach wie vor bestehende juristische Grauzone weiterhin Illegalisierung, permanente Gefahr der Abschiebung und Ausbeutung ihrer Arbeit. Um das Gesetz ist es allerdings nicht schade. Und auch nicht um all diejenigen, die jahrelang einen Zuzugsstopp forderten, weil das Boot voll sei, und die jetzt selbst in die Billiglohnjobs gedrängt werden oder die Renten gekürzt bekommen. Sie sitzen im Boot, also sollen sie auch rudern. Oder sich für die Überfahrt bereit machen.