The Harder They Come

Eine Reportage aus Teheran von sabine küper

Der Basar in Teheran ist ein in vielerlei Hinsicht bedeutungsvoller Ort. Hier sitzt das Herz der traditionellen Wirtschaft, das seit Jahren vor allem für die konservativen Kräfte des Landes schlägt, hier lungern auch immer viele Poli-zisten und andere Schläger herum. Kein Problem, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Was fotografieren Sie denn da?« fragt uns ein grünbefrackter Polizist mit regimetreuem Rauschebart. »Den Platz vor dem Basar.« – »Wer hat Ihnen das erlaubt?« – »Das Kulturministerium, von dem habe ich eine Presseakkreditierung.« – »Die haben hier gar nichts zu sagen.« Und, zu seinem Kollegen gewandt: »Dass die sich noch trauen, hier einfach so zu fotografieren – nach dem, was der anderen passiert ist.«

»Die andere« ist die kanadische Journalistin Zahra Kazemi. Am 23. Juni wurde sie verhaftet, als sie während der Studentenproteste Fotos vor dem Evin-Gefängnis in Teheran schoss. In der Haft wurde sie 77 Stunden von Angehörigen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Geheimdiensten verhört. Am 11. Juli starb sie in einem Teheraner Krankenhaus. Das Ministerium für Kultur und islamische Unterweisung, Erschat, das für Journalisten aus dem In- und Ausland zuständig ist, gab nach dem Tod der iranischstämmigen Kanadierin zunächst die Erklärung ab, sie sei aus Stress an einem Schlaganfall mit anschließendem Herzversagen gestorben. Als bei der Obduktion herauskam, dass man ihr mehrere Rippen gebrochen und den Schädel an fünf Stellen zertrümmert hatte, gab das Erschat zu, zu der Erklärung gezwungen worden zu sein.

Der Vorfall setzt die so genannten Reformer, zu deren Flügel auch das Kulturministerium zählt, stark unter Druck. Kanada zog den Botschafter aus dem Iran ab, dessen in Scharen auswandernde Bürger an erster Stelle Kanada als Ziel wählen. Präsident Khatami hat mittlerweile »die Kräfte, die unsere Religion missbrauchen, um unser Regime und seinen Reformprozess zu boykottieren und es zu stürzen«, angegriffen und vor einem »islamischen Faschismus« gewarnt. Aber das kann kaum noch jemanden im In- oder Ausland beeindrucken. Denn diese »Kräfte« agieren unter den Augen der Regierung, und nicht einmal der Präsident benennt sie konkret.

Dabei kann man sie selbst als Besucher leicht identifizieren. Nach dem Zwischenfall auf dem Basar besitzen wir die Kühnheit, einen Polizisten vor der Kunstakademie zu fragen, ob wir das Portal fotografieren dürfen. Und schon werden wir auf die berüchtigte Polizeistation 128 geführt, die während der Demonstrationen um den 9. Juli als zentrale Gefangenensammelstelle fungierte. Im Keller verhört uns ein deutsch sprechender, bärtiger, 27jähriger Zivilpolizist. »Wie heißen Sie? Wie alt sind Sie? Ist das Ihr Mann? Deutsche Männer sind liebevolle Männer, nicht wahr? Haben Sie Kinder? Was halten Sie vom Iran? Darf ich fragen, warum Sie keine Kinder haben …?«

Unter seinem steten, überheblichen Grinsen werden wir nur nach persönlichen Informationen gefragt. Niemand will wissen, warum wir das Portal der Kunstakademie filmen wollten. Unser Übersetzer behauptet schließlich unaufgefordert, es gehe um einen Film über die Symbole der islamischen Republik. Zum Abschluss der eineinhalbstündigen Unterhaltung im Keller des Polizeipräsidiums begleitet uns der neugierige Zivilpolizist zum Platz des Sieges, an dem wir Skulpturen mit faschistoider Ästhetik fotografieren müssen.

Das Erschat ist verärgert. Unter den momentanen Umständen hätten wir wissen müssen, dass uns unsere Akkreditierung nicht schützt, wenn wir in dieser heiklen Situation provozierende Objekte fotografieren wollen. Man lässt uns über einen iranischen Kollegen ausrichten, man werde das nächste Mal beim Visum nicht mehr kulant sein, wenn wir uns jetzt nicht benähmen.

Verschleierungstaktiken, Gerede über die »heikle Situation«, Lügen, Furcht und ihre Auswirkungen auf alle Lebensbereiche bestimmen den Alltag auf unserer Reise. Eindrucksvoll sind nur die wenigen Momente, an denen Einzelne sich trauen, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Hassan etwa fährt zwei Tage mit uns durch sein Teheran. Der 41jährige Fotograf betreibt die Webseite Teheran24.com, auf der er fast täglich neue Schnappschüsse aus Teheran platziert. Er hat inzwischen fast 30 000 Fotografien, und ungefähr 7 000 Surfer besuchen täglich seine Seite, vor allem Exil-Iraner. Man sieht dort Fußballfans, leere Straßen, volle Straßen, Bäume, Studentenunruhen, Kitsch, Kunst – einfach alles.

Hassan beherrscht die Kunst, sich mit erstaunlichem Tempo durch die verstopften Straßen zu bewegen. Auf seinem Schoß ruht stets die digitale Nikon, sein Überlebensinstrument, das immer wieder hochgerissen wird, um Motive am Straßenrand einzufangen. An einer Hauswand prangt das Gemälde einer amerikanischen Fahne, oben am Rand Totenköpfe, unten Raketen, in der Mitte: »Down with the USA«. Platter kann Propaganda nicht sein. Synchron reißen wir die Kameras hoch und fangen an zu lachen, denn irgendwie hat es seine Tragikomik, dass wir als Journalisten von dem System mit eingeplant sind: Überall in der Stadt hängen solche albernen Pamphlete auf Englisch für uns herum, aber auch die so genannten Symbole der islamischen Republik: meist der religiöse Führer Ayatollah Khamenei und der Gründer der islamischen Republik Ayatollah Khomeini, haushohe, bunte Konterfeis, die auf fast allen Plätzen und am Straßenrand zu finden sind und jetzt schon erahnen lassen, dass sie irgendwann das Ziel der Aggression der Massen werden.

Dass sie sich irgendwann erheben werden, stellt in Teheran kaum jemand mehr in Frage. Nur wie und wann das der Fall sein wird, weiß niemand. Und deshalb sind alle umso nervöser und ängstlicher – inklusive der Schergen Khameneis, die seit Jahren als Bremser des Reformprozesses in der Staatsbürokratie, als konservativer Arm der Justiz und des Polizieiapparates und als Anstifter feiger Motorrad-Attentäter ihre Macht mit Gewalt zu erhalten suchen. Ein Kollege erzählt uns, er habe ein Foto, auf dem Studenten rote Farbe auf Bilder des religiösen Staatsoberhauptes schütten. Jetzt könne er die noch nicht publizieren, zähle aber die Tage, bis es so weit sei.

So geht es fast allen Iranern: ausharren in der Ruhe vor dem Sturm und hoffen, nicht Zielscheibe der Aggression des seinem Untergang entgegen steuernden Regimes zu werden. Seit Jahren hat sich aber auch eine Zweitwelt zur reglementierten Öffentlichkeit gebildet, in Privathäusern und an versteckten Orten. Für alles gibt es entsprechende Beschaffer. Beschaffer für Satellitenschüsseln, für Alkohol und Drogen, für verbotene Videos und Musik-CDs.

Wie viele Iraner arbeitet Vedat als Producer für ausländische Medien, ein lukrativer Job, denn die meisten Kollegen sind von der Sprache und der Undurchsichtigkeit dieses Systems und seiner Bürokratie heillos überfordert. Vedat lädt uns zu einer Hausparty ein. Ich weiß, dass es dort hoch her geht und dass man sich als Frau tunlichst etwas Schickes unter den Schleiern anziehen sollte. Die Teheraner Damenwelt reagiert auf die Schikanen auf der Straße mit Selbstschikane im Rahmen des Partytaumels. In der Wohnung tauscht man die unscheinbaren Straßenschuhe gegen mitgebrachte Highheels, stöckelt in enganliegender Kleidung das Parkett des Gastgebers zuschanden, der sich lieber die Zunge abbeißen würde, als dies zu kommentieren. Viele Frauen haben sich schon irgendetwas »richten« lassen. Auf der Straße fallen viele durch den typischen Nasenverband auf: Individuelle Eigenheiten, die Regime und Tradition noch nicht haben beseitigen können, werden operativ aus den Gesichtszügen entfernt.

Unmengen Spirituosen werden auf der Party konsumiert. Eine schon bei ihrer Ankunft sichtlich angetrunkene Kollegin schreit mir ins Ohr, dass sich die iranische Geschichte immer wiederhole, man habe sich nie aufgelehnt, aber auch nie unterdrücken lassen. Stunden später, nach einigen weiteren Gläsern, wird sie mir anbieten, mich nach Hause zu fahren. Angesichts martialischer Strafen bei Verkehrsunfällen unter Drogen- und Alkoholeinfluss lehne ich dankend ab.