Ein afrikanischer Pate

Der gescheiterte Versuch, den Gouverneur des Bundesstaates Anambra abzusetzen, offenbart die fragile politische Lage in Nigeria.

Ich wurde vor 37 Jahren geboren und bin Christ. Mein Name ist Chris Uba. Ich bin Unternehmer im Auftrag der Regierung«, beschreibt sich der Mann, dessen Name seit fünf Wochen die öffentliche Debatte in Nigeria dominiert, in einem Interview mit dem Magazin The News. Der »Coup des Paten« wird täglich in den Zeitungen behandelt, Untersuchungskomitees des Senats und des Parlaments haben ihre Berichte geschrieben, und kein politischer Beobachter kommt dieser Tage um eine Erwähnung der erstaunlichen Vorgänge vom 10. Juli 2003 im Bundesstaat Anambra herum.

Eine 50 Mann starke Abordnung der Polizei tauchte an jenem Tag unter der Leitung eines stellvertretenden Generalinspekteurs im Büro von Chris Ngige, dem seit knapp sechs Wochen amtierenden Gouverneur des südlichen Bundesstaates, auf und entwaffnete seine Sicherheitsbeamten. Nach vier Stunden wurde der Gouverneur in sein Heimatdorf gefahren. Zur gleichen Zeit präsentierte der Sprecher des Parlamentes von Anambra den Abgeordneten eine Rücktrittserklärung Ngiges, die mit großer Mehrheit angenommen wurde. Ngiges bisheriger Stellvertreter ließ sich umgehend ins Amt wählen und übernahm die Regierungsgeschäfte.

Als Drahtzieher hinter diesem Miniatur-Staatsstreich gilt der Multimillionär Chris Uba. Einem Bericht von The News zufolge war er in jungen Jahren als Straßenverkäufer, Gangleader und Protegé im Umfeld eines Vertrauten des Militärdiktators Sani Abacha tätig. Danach stieg er vor allem dank obskurer Bauaufträge zu einem der Paten der politischen Klasse Nigerias auf. Im Laufe der Wahlen 2003, so brüstet sich Uba, habe er die gesamte Kandidatenliste der Regierungspartei PDP für den Senat, das Parlament und die regionalen Institutionen in Anambra gesponsert.

Die Motive seines generösen Engagements erläuterte Uba gegenüber The News mit erfrischender Freimütigkeit: »Das tat ich für meine Partei, die PDP, und da ich Geschäftsmann bin, auch für mich, um mir saftige Kontrakte auf föderaler Ebene zu sichern.« Er behauptet, sich bereits vor der Wahl mit dem PDP-Kandidaten Ngige über dessen Rücktritt geeinigt zu haben, weil er ihn mittlerweile für ungeeignet hielt.

Dass der Putsch in Anambra fehlschlug und Governeur Ngige nach einigen Tagen durch richterliche Verfügung wieder ins Amt gesetzt wurde, hat er zum großen Teil dem Aufschrei der gesamten Presse des Landes zu verdanken. Anfangs konnte er diese Plattform nutzen, um Stationen seines Leidenswegs wie den Schwur auf seinen Paten in einem örtlichen Schrein und die angebliche Erpressung um drei Milliarden Naira (20 Millionen Euro) auf einem Hotelklo darzustellen. Nun rückt die Macht der politischen Finanziers und die Abhängigkeit ihrer Klienten in den Mittelpunkt der Debatte. Warum unterzeichnete Ngige, wie viele seiner Kollegen auf allen Ebenen, ein Rücktrittsgesuch, in das nur noch das Datum einzusetzen war? Welche Zusagen hat er seinen spendablen Förderern vor der Wahl gemacht? Wie viel Unabhängigkeit von einflussreichen Paten besitzt die Regierungspartei noch?

Angesichts der bis heute ausgebliebenen Reaktion aus dem Präsidialamt, der Entscheidung eines Richters, der Ngige vorübergehend wieder für abgesetzt erklärte, und der sich abzeichnenden Straffreiheit für die Beteiligten sind politische Beobachter skeptisch. Nicht wenige meinen, Nigeria gerate ungeachtet des offiziell proklamierten »Übergangs zur Demokratie« nach 16 Jahren offener Militärherrschaft in die Hände eines kriminellen Kartells.

Der Richter im meistdiskutierten Rechtsfall des Landes, in dem die Ermordung des Justizministers Bola Ige im Jahre 2001 verhandelt wird und in dem sich neben anderen ein amtierender Senator der PDP zu verantworten hat, legte kürzlich sein Amt aufgrund von Morddrohungen und Bestechungsversuchen nieder. Wole Soyinka, ein kulturkonservativer Kritiker, Literat und Vertrauter des ermordeten Justizministers, schreibt in einem offenen Brief an Präsident Olusegun Obasanjo: »Es gibt ein Nest von Killern innerhalb der PDP. Die jüngsten Erfahrungen Ngiges lehren, dass die Schlangen in jenem Nest nicht nur nach außen, sondern auch nach innen zubeißen. Ich wiederhole die Warnung, die du einmal in einem deiner seltenen Momente der Selbstlosigkeit und aufrichtigen Sorge um andere an mich gerichtet hast: Pass auf deinen Arsch auf!«

Nach den manipulierten Wahlen am Beginn dieses Jahres steuert die PDP-Regierung auf eine Legitimitätskrise zu. Ablesen lässt sich das unter anderem an den nervösen Reaktionen von Teilen des politischen Establishments auf die Enthüllungen der rührigen Presse Nigerias. Als das Wochenmagazin Tell vor einigen Wochen über einen Korruptionsskandal in Zusammenhang mit der Organisation der All Africa Games berichtete, wurde kurzerhand die gesamte Auflage aufgekauft. Diese Art der Zensur hat es seit den Zeiten der Abacha-Diktatur nicht mehr gegeben. Drohanrufe gingen in der Redaktion ein, heißt es in einer Presseerklärung von Tell. Den Journalisten sei von gut informierten Sympathisanten geraten worden, »sehr vorsichtig zu sein angesichts der Verzweiflung einiger Politiker und einiger Leute in den Korridoren der Macht«.

In einer derart instabilen innenpolitischen Situation kommt der Regierung die Intervention in Liberia gelegen. Angesichts der Bilder von bejubelten nigerianischen Soldaten in Monrovia lässt sich zum Beispiel der endlose Milizenkrieg um die Vorherrschaft in der Stadt Warri im ölreichen Nigerdelta leichter verdrängen. Des in diesem Gebiet herrschenden Gewirrs aus militanten Forderungen nach einer gerechteren Teilung der Erdölerträge, ethnisierten Machtkämpfen politischer Unternehmer und Aktivitäten der mit Teilen der Staatsklasse verbündeten Banditen wird die Zentralregierung immer weniger Herr.

Die großen Ölfirmen haben die Produktion um Warri eingestellt. Nigeria will sich als regionale Ordnungsmacht profilieren, doch Think Tanks wie das Center for Strategic and International Studies vergleichen die Lage im Nigerdelta bereits mit dem kolumbianischen Bürgerkrieg. Und sogar die Stationierung von US-Truppen zum Schutz der Ölförderung im Nigerdelta wird diskutiert.