Gersters neue Agentur

Die Bundesanstalt für Arbeit wird ein modernes Dienstleistungsunternehmen. Nur die Kunden dürfen keine Ansprüche haben. von regina stötzel

Im Eingangsbereich des Arbeitsamtes Berlin-Mitte herrscht reges Treiben. Neben dem üblichen Publikum sieht man auffallend viele Handwerker, die Material hineintragen. Wird die Behörde etwa schon verschlankt? In der Pförtnerloge sitzen zwei Männer, der eine erzählt etwas von seiner Rente und dass ihn der geplante Umbau der Bundesanstalt für Arbeit nichts mehr angehe. Sein Kollege weiß auch nicht recht, was sich alles ändern soll. »Erst wenn es so weit ist, sagen sie uns Bescheid«, sagt er ruhig und verweist auf die Pressestelle.

Bärbel Orphal aus dem Sachgebiet Information und Controlling berichtet, dass man regelmäßig aus Nürnberg über die bevorstehenden Reformen informiert werde. Gegen die Pläne hat sie nichts einzuwenden. »Reformbedarf ist da«, sagt sie und findet es richtig, dass es in Zukunft weniger Verwaltung und mehr Beratung geben soll. »Mehr Hilfe zur Selbsthilfe« könne somit geleistet werden.

Wer bereits ausgiebig Zeit in Arbeitsämtern verbringen durfte, wird sich mehr als einmal gewünscht haben, dass sich dort ganz gewaltig etwas verändern möge. Aber vielleicht anders als nun geplant. Die Bundesanstalt für Arbeit bekommt einen neuen Namen, der moderner klingt und es erlaubt, die gängige Abkürzung (BA) beizubehalten: Bundesagentur für Arbeit. Zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen soll sich die behäbige Behörde wandeln, mit dem entscheidenden Unterschied zu anderen dieser Art, dass der »Kunde« dort alles andere als ein König sein wird.

10 000 Berater, die künftig »Fallmanager« heißen, werden zusätzlich benötigt, um eine intensivere Betreuung der Kundschaft zu gewährleisten. Sie sollen vor allem dadurch frei werden, dass man sie von Verwaltungsaufgaben entlastet. Die geplante Klassifizierung der Erwerbslosen in »Markt-«, »Betreuungs-« und »Integrationskunden«, was so viel heißt wie leichte, schwierige und hoffnungslose Fälle, finde »ausschließlich im Hinblick auf eine optimale Betreuung« statt, erklärt Wilhelm Kleinlein, der Pressesprecher der BA in Nürnberg. Die Marktkunden sollen mehr oder weniger selbst auf Jobsuche geschickt und die Beratungskunden »aktiviert werden, zur Not auch gegen ihren Willen«, wie es Florian Gerster, der Vorstandsvorsitzende der BA, im Gespräch mit der FAZ formulierte. Die Integrationskunden will man intensiv mit Unterstützung der Kommunen betreuen, »bis hin zur Partner- oder Schuldnerberatung«, wie es aus der BA heißt.

Da gleichzeitig auf der Einnahmenseite zwischen dem Geld aus der Arbeitslosenversicherung und Bundesmitteln, auf der Ausgabenseite zwischen den »klassischen Leistungen einer Arbeitslosenversicherung« und »sozialpolitischen Aufgaben« unterschieden werden soll, drängt sich der Verdacht auf, dass die Klassifizierungen langfristig doch politische Folgen haben könnten. Es dürfte aus Sicht der BA nützlich sein, belegen zu können, dass es die hoffnungslosen Fälle beziehungsweise die Aufgaben jenseits der »Kernaufgaben« sind, die das ganze Geld verschlingen. »Die BA muss sagen können, was aus ihrer Sicht nicht Teil des beitragsfinanzierten Geschäftes ist und was daher auf den Prüfstand gehört«, sagte Gerster der FAZ. Alle Maßnahmen müssten »rigoros nach ihrem Nutzen und ihren Kosten bewertet werden«.

Schon im Dezember dieses Jahres soll der »virtuelle Arbeitsmarkt« in Betrieb genommen werden, eine erweiterte Online-Jobbörse. In den »Kundenzentren« werden künftig auch Stellenanbieter betreut, und 2500 Angestellte der BA sollen in »Service Centern«, die den Arbeitsämtern angegliedert sind, telefonisch die Fragen ihrer Kunden entgegennehmen. Von Callcentern könne aber nicht die Rede sein. »Wir werden darauf achten, dass kompetente Leute an den Telefonen sitzen«, beschwichtigt Kleinlein.

Alle MitarbeiterInnen bekommen genaue »Zielvorgaben«, »Controlling« soll zur »Optimierung« führen, »Leistungsstand« und »Leistungsfortschritt« sollen transparent gemacht werden. »Eine höhere Flexibilität in der Personalbeschaffung« werde zur »Leistungsorientierung« beitragen, heißt es in einer Presseerklärung der BA. Was klingt wie das Glossar eines Management-Ratgebers, haben tatsächlich namhafte Unternehmensberater mitgestaltet. McKinsey und Roland Berger verdienen nach Angaben des Focus zurzeit viele Millionen an der BA.

Und Unternehmensberater geben in der Regel Tipps, wie die Angestellten dazu gebracht werden können, mehr zu leisten. Ein Grund zur Beunruhigung? Das Echo innerhalb der Belegschaft auf die geplanten Reformen sei positiv, sagt Wilhelm Kleinlein. Schließlich solle die Behörde »zu einem modernen Dienstleister« werden. »Das motiviert.« Seine Kollegin vom Arbeitsamt Berlin-Mitte sieht das auch so, auch wenn es »für die meisten nicht bei der jetzigen Arbeitsaufgabenstellung bleiben wird«.

Tatsächlich mögen die Befürchtungen der aktuellen und zukünftigen Kundschaft der BA größer sein. Zwar fehle den vom Bundeskabinett am vergangenen Mittwoch abgesegneten Gesetzesvorhaben noch »die Handschrift der Union«, wie die CDU-Vorsitzende Angela Merkel feststellte. Während sich aber Bund, Länder und Kommunen über die geplante Gemeindefinanzreform streiten und die Union die Finanzierung der Steuersenkungen bemängelt, regt sich kaum Widerspruch, was die BA und die Einführung des »Arbeitslosengeldes II« angeht.

Es ist so gut wie beschlossen: Wer entlassen wird, bezieht nur noch maximal ein Jahr Arbeitslosengeld, egal wie lange er oder sie lohnabhängig gearbeitet hat. Lediglich bei den über 55jährigen sollen 18 Monate gezahlt werden. Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist oder Sozialhilfe empfängt und als »arbeitsfähig« gilt, bekommt das Arbeitslosengeld II in Höhe von 345 bzw. 331 Euro und wird vom Arbeitsamt betreut. Damit es nicht ganz so schwer fällt, sich an das Existenzminimum zu gewöhnen, gibt es übergangsweise einen Zuschuss von 160 Euro im ersten, 80 Euro im zweiten Jahr. Da in den Beträgen bereits eine Kleider- und Möbelpauschale enthalten ist, spart der Staat viel Geld an den Erwerbslosen. Und die BA viele Taschenrechner.

Für EmpfängerInnen des Arbeitslosengeldes II gilt: Jeder Job ist zumutbar, egal ob Qualifikation, Lohn und Entfernung zum Arbeitsplatz stimmen. Wer ein Job-Angebot ablehnt, darf nicht mit Gnade rechnen. Das Existenzminimum wird bei jeder »Arbeitsverweigerung« für drei Monate um 30 Prozent gekürzt, schlimmstenfalls gibt es keinen Cent Bargeld mehr, sondern nur noch Lebensmittelgutscheine. Unter 25jährigen droht gleich die vorübergehende komplette Leistungssperre.

Der »Erfolg« der Umgestaltung der BA muss sich früher oder später an den Vermittlungsquoten messen lassen. Schließlich hat Florian Gerster behauptet, die Zahl der Arbeitslosen um 400 000 reduzieren zu können. Den Druck, der auf der Behörde lastet, werden auch ihre Angestellten zu spüren bekommen. Aber sie bekommen wunderbare neue Mittel in die Hand, ihn nach unten weiterzuleiten. Zumindest die Ehrgeizigen unter ihnen werden lieber mal flott vermitteln statt den optimalen Job für einen »Kunden« zu suchen. Und dem bleibt keine Wahl.

»Was? Die spinnen doch wohl! Wovon soll ich denn dann leben?« Nein, dass die Arbeitslosenhilfe faktisch abgeschafft werden soll, davon hat die Frau, die auf das Arbeitsamt Berlin-Mitte zusteuert, noch nichts gehört. Ihr Fernseher ist gerade kaputt.