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Bequeme Mehrheit

Türkei. Die Partei des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan verfügt seit vergangener Woche über zwei Drittel der Sitze in der Nationalversammlung, als zwei oppositionelle Abgeordnete der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP beigetreten sind. Sie kann nun ohne die Unterstützung anderer Parteien die Verfassung ändern. Doch der Eindruck, Erdogan könne ab sofort problemlos Gesetze erlassen, täuscht. Die AKP ist keine homogene Partei, sondern ein Sammelbecken unterschiedlicher Kräfte. Wie uneins die Partei ist, zeigte sich im März bei der Abstimmung über die Stationierung von US-Soldaten im Süden der Türkei. Etwa hundert Abgeordnete verweigerten der eigenen Regierung die Gefolgschaft.

Jetzt steht wieder ein heikles Votum bevor – die Zustimmung des Parlaments zur geplanten Entsendung türkischer Soldaten in den Irak. Erdogan hat zwar bereits sein Einverständnis signalisiert, sogar ein Erkundungsteam ist im Nachbarland schon unterwegs, doch eine parlamentarische Mehrheit ist ihm deswegen noch lange nicht sicher. Nicht zuletzt hängt eine Entscheidung von der Haltung des Nationalen Sicherheitsrates ab, der sich Ende dieser Woche trifft. Und dort haben vor allem die Militärs das Sagen.

Anfang vom Ende

EU-Verfassung. Die Debatte um die künftige EU-Verfassung hat noch nicht begonnen, da droht die britische Regierung bereits damit, sie zu Fall zu bringen. London kritisiert vor allem die Passagen zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik in dem Entwurf, die von Frankreich und Deutschland unterstützt werden. Sein Land werde »nichts akzeptieren, was auf eine unnötige Doppelung der Nato hinausläuft«, erklärte der britische Europaminister Denis McShane in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Der Artikel III des Verfassungsentwurfs sieht vor, dass sich einzelne EU-Mitglieder, die »feste Verpflichtungen« untereinander eingehen wollen, zu einer »strukturierten Zusammenarbeit« zusammenschließen können. Dabei würden sie auch, wie in der Nato, wechselseitigen Beistand bei Angriffen fordern dürfen. Die britische Regierung betrachtet jedoch eine eigene europäische Verteidigungsgarantie als den Anfang eines eigenen Bündnisses, das die europäische Bindung an die Nato und an die Vereinigten Staaten gefährden könnte.

Exklusive Lage

Dänemark. Die konservative dänische Regierung mag die Freistadt Christiania in Kopenhagen nicht. Rund tausend Menschen leben heute auf der 1971 gegründeten alternativen »Insel«, die 32 Jahre lang als soziales und kulturelles Experiment funktioniert hat. Selbstverwaltung, Basisdemokratie und neue Eigentumsformen haben Christiania zum wichtigen Symbol alternativer Lebenskultur gemacht. Dem ganzen Projekt droht jedoch in nächster Zukunft die Schließung. Die seit 2001 regierende Koalition will Christiania »normalisieren«, und erste Schritte in diese Richtung wurden mit der Räumung der »pusherstreet« gemacht.

Doch die Regierung scheint damit nicht zufrieden zu sein. Das 34 Hektar große, ehemalige Kasernengelände liegt in der Kopenhagener Innenstadt. Wahrscheinlich ist daher, dass das ganze Areal aufgelöst und versteigert wird. Dagegen wehren sich Bewohner, Althippies und neue Idealisten und rufen zum Widerstand auf. Am 30. August findet in Kopenhagen ein großer Umzug statt, der mit einem multikulturellen Fest in Christiania enden soll.

Hitzeopfer

Frankreich. Die Sommerhitze macht nicht nur der französischen Bevölkerung zu schaffen, sondern auch der Regierung in Paris. 3 000 Franzosen sollen nach einer vorläufigen Bilanz an der extremen Hitze gestorben sein. Die Opposition warf daraufhin Gesundheitsminister Jean-François Mattei völliges Versagen vor und forderte seinen Rücktritt. Die Hälfte der Todesfälle habe sich außerhalb von Krankenhäusern ereignet, häufig seien alleinstehende Ältere betroffen gewesen. Premierminister Jean-Pierre Raffarin brach wegen der Hitzekrise seinen Urlaub ab und rief zur »nationaler Solidarität« auf, um ältere Menschen zu unterstützen. »Diese Einsamkeit älterer Menschen ist ein großer Mangel der französischen Gesellschaft«, sagte Raffarin bei einem spontanen Besuch in einem Seniorenheim.

In der Praxis zeigt sich die Regierung bislang jedoch mit einem ganz anderen Hitzeopfer solidarisch – mit der Electricité de France (EDF), einer Betreiberin von Atomkraftwerken. Durch die hohen Temperaturen wurde das Kühlwasser so erwärmt, dass die Leistungen der Reaktoren teilweise deutlich reduziert werden mussten. Nach einem Beschluss der französischen Regierung dürfen nun die Atomkraftwerke das überflüssige Kühlwasser in die Flüsse leiten. Die Umweltgruppe Tchernoblaye aus Bordeaux kritisiert diese Maßnahme. Sie sei im höchsten Maße unökologisch, da sie zur Erwärmung der Flüsse führen könne. Die Organisation hat bereits angekündigt, dass sie die Betreibergesellschaft verklagen will.

Ab in den Osten

Osteuropa. Wegen der hohen Kaufkraft des Euro werden die osteuropäischen Länder für Touristen immer attraktiver und laufen selbst Italien schon fast den Rang ab. Vor allem Ungarn, Tschechien und Kroatien sind nach einer aktuellen Studie der Austria-Bank in Wien bei österreichischen und zunehmend auch bei deutschen Touristen beliebt. Dabei spielt der »Einkaufstourismus« eine wesentliche Rolle, da das Preisniveau im Osten wesentlich niedriger ist. So hat ein Euro in Bulgarien fast die vierfache, in Rumänien die dreifache Kaufkraft. In Tschechien, Polen und Ungarn ist sie immerhin noch ungefähr doppelt so groß.

In den kommenden Jahren wird noch mit einer deutlichen Steigerung der Reisezahlen gerechnet, da in den meisten osteuropäischen Ländern die touristische Infrastruktur noch deutlich ausgebaut wird.