Spott aus Liliput

Stromausfall in Nordamerika

Was haben die US-amerikanische Außenpolitik und der Stromausfall in Nordamerika miteinander zu tun? Fragen Sie die taz! Die Zeitung, die glaubt, sie habe witzige Überschriften und unterscheide sich so vom medialen Mainstream, titelte nach dem Blackout: »Die Achse der Finsternis«. Was haben wir gelacht!

16 Uhr und elf Minuten war es, als am vergangenen Donnerstag in mehreren nördlichen Bundesstaaten der USA und in Teilen Kanadas der Strom ausfiel. Innerhalb weniger Minuten schalteten sich neun Atomkraftwerke und zwölf konventionelle Kraftwerke ab, 50 Millionen Amerikaner und Kanadier wurden von der Stromversorgung abgeschnitten.

Als Ursache für den Ausfall wird das veraltete Stromnetz in den USA genannt, das den steigenden Verbrauch nicht mehr bewältige. Nur langsam kehrte am Freitag vielerorts der Strom zurück, manche Städte sollten noch bis Anfang der Woche ohne Elektrizität bleiben.

Weltweit wurde der Blackout mit einer gewissen Genugtuung aufgenommen, die sich immer einstellt, wenn die »Großen« Probleme haben. Während man sich in manchen asiatischen und afrikanischen Staaten fragt, was eigentlich das Besondere an einem Stromausfall sei, stellen die deutschen Reaktionen eine bunte Mischung aus Spott und Kritik an den Amerikanern dar.

Der Irakkrieg, der 11.9., der Umweltschutz, alles wird miteinander vermengt. Der Spiegel schreibt: »Erneut zeigte sich, dass die Herren der Welt in geradezu grotesk einfacher Manier tödlich zu treffen sind.« Vom »Schein und Sein« der USA ist die Rede, so leicht sei es, »den muskelstrotzenden Gulliver zu fesseln«.

Zwar sei die Elektrizitätsversorgung der »amerikanischen Ostküste« der irakischen »immerhin noch überlegen«, doch irgendetwas scheint der Stromausfall mit dem Irak zu tun zu haben. Die Süddeutsche Zeitung meint: »Langsam, aber sicher dämmerte es den Menschen in New York und anderswo, wie sich die Bürger Bagdads an einem heißen Tag fühlen müssen, wenn es schon wieder mal keinen Strom und damit keine Klimaanlagen gibt.«

Dass im Irak zum Teil Schadenfreude wegen des Stromausfalls in den USA herrscht, überrascht angesichts der schlechten Versorgungslage des Landes nicht. »Ich hoffe, er dauert zwanzig Jahre«, sagte ein 27jähriger Iraki der International Herald Tribune. »Lasst sie unser Leid spüren.«

Aber woran leiden eigentlich die Europäer, die sich über jedes Problem der Amerikaner freuen? Nur zu gerne wurde das Wort des früheren US-Energieministers, Bill Richardson, aufgegriffen, der sagte: »Wir sind eine Supermacht mit dem Stromnetz eines Dritte-Welt-Landes.« Da lacht das Herz der Konkurrenten.

Ausgerechnet aus Frankreich und Deutschland, wo gerade hemmungslos die öffentliche Infrastruktur dereguliert und privatisiert wird, wird Kritik an der Deregulierung der US-amerikanischen Stromversorgung, am »größten Energieverbraucher der Welt« (Le Monde) laut. Und selbstverständlich darf der Hinweis nicht fehlen, dass ein ähnlicher Blackout in Europa ausgeschlossen sei. »In Deutschland steht eben die Versorgungssicherheit an erster Stelle«, betont der Spiegel. Der Minderwertigkeitskomplex scheint chronisch.

Dass Europa wochenlang der Waldbrände nicht Herr wurde, in Großbritannien wegen der Dürre Mängel in der Stromversorgung auftraten, in Frankreich Kraftwerke abgeschaltet werden mussten und 3 000 Menschen wegen der Hitze starben – wen interessiert das, wenn Gulliver darniederliegt?