Das Auge des Meisters

Manga-Musical »Interstella 5555«

Als Mitte der Neunziger das Debütalbum von Daft Punk erschien, war das, als sei die Platte von einem anderen Stern auf die Erde herabgefallen. »Homework« war die Platte, auf die sich alle einigen konnten, die House, Techno und Rock auf einen Nenner brachte wie keine Platte zuvor und nur wenige danach. »Discovery«, das zweite Album von Thomas Bangalter und Guy Manuel de Homem-Christo aka Daft Punk, enttäuschte natürlich die hohen Erwartungen, die sich nach »Homework« aufgebaut hatten. Es enttäuschte, weil es enttäuschen wollte. Außer »One More Time« enthielt es keinen potenziellen Smash-Hit, alles wirkte zu verspielt, zu wenig urwüchsig, zu verkopft. Bald waren sich alle relativ einig: Dem einen großen Meisterwerk von Daft Punk folgt kein zweites.

Nun bringen Daft Punk »Discovery« sozusagen ein zweites Mal heraus. An dem Album selbst wurde nichts verändert, doch der Rahmen, in dem es rezipiert wird, ist ein völlig anderer. Und plötzlich hat man das Gefühl, erst jetzt, drei Jahre später, als Teil eines Gesamtkunstwerks, wird »Discovery« seiner wahren Bestimmung zugeführt, und erst jetzt lässt sich abschließend über die Platte ein Urteil fällen. Denn Daft Punk haben ihre Platte komplett von Leiji Matsumoto verfilmen lassen. »Interstella 5555 – The 5tory of the 5ecret 5tar 5ystem« ist das erste House-Anime-Musical in der Geschichte, ein 67minütiger Manga-Clip, in dem nichts gesprochen wird, die Musik allein jedoch beredt genug ist. In Verbindung mit den quietschebunten, grell leuchtenden Bildern des großen japanischen Anime-Meisters Leiji Matsumoto, der Ende der Siebziger die legendäre Serie »Captain Future« schuf und der in Japan wie ein in Ehren ergrauter Popstar verehrt wird, ergeben plötzlich all die musikalischen Gimmicks und barocken Spielereien auf »Discovery« Sinn. Spinettgeklimper wirkt nicht mehr überflüssig bis nervig, sondern in Verbindung mit den Bildern dramaturgisch sinnvoll.

Die Idee, »Discovery« verfilmen zu lassen, hatten Daft Punk von Anfang an. Als »Captain Future«-Fans war Matsumoto für sie erste Wahl. Sie flogen mit ihrem frischen Album im Koffer zum Meister nach Japan und erarbeiteten gemeinsam die Geschichte der Band, die aus einer fremden Galaxie von bösen Mächten und einem geldgierigen Managertypen entführt und willenlos gemacht wird, um in dessen Händen zur berühmtesten Band der Welt zu werden. Es geht ganz schlicht um den Kampf von Gut gegen Böse in »Interstella 5555«, um ein korrumpiertes Musikbusiness, aus dessen Klauen man sich befreien muss.

Doch die Story von »Interstella 5555« ist zweitrangig. Nicht die Handlung ist entscheidend, sondern die einzelnen Sequenzen, der Farbrausch der Bilder, Matsumotos Pop-Psychedelic. Homem-Christo berichtete der Face, wie sie gemeinsam mit Matsumoto eine erste Listening-Session veranstalteten: »Er sah Sterne und anderes Zeug, er war im Kosmos.« Was sich damals vor des Meisters geistigem Auge abspielte, ist so nun auf der Leinwand zu sehen.

andreas hartmann

»Interstella 5555« (Japan/F 2003). Film von Daft Punk und Leiji Matsumoto. Start: 4. September