Hart, aber zart

Das Aufstreben junger Emo-Pop-Bands wie The Robocop Kraus und The Oliver Twist wirft eine Frage auf: Was ist das eigentlich, Emo? von jens thomas

Wer zackig Informationen braucht, tippt gewöhnlich bei Google seine auserwählten Wortpaare ein. Mit dem Stichwort »Emo-Core« stößt man dabei auf die witzigsten Dinge: So erscheint u.a. die Anti-Emo-Homepage www.emo-suxx.de, deren Betreiber zornerfüllt mit den Worten »Emo stinkt!« oder »Ich hasse Emo« sich als erster Bastler einer deutschen Anti-Emo-Core-Seite bekennt.

Wie so oft gibt es keine richtige Definition für ein Genre, das eigentlich eine Fälschung ist. Denn Emo (oder Emo-Core) ist in seiner Entstehung, ähnlich wie Grunge, ein Kunstbegriff, der den entsprechenden Bands von außen oktroyiert wurde. Emo entwickelte sich einst aus dem Segment Hardcore, der wiederum ein Ableger des Punk war, und tauchte erstmals Mitte der achtziger Jahre in den USA auf. Der Gerüchteküche folgend war es Guy Picciotto, damaliger Sänger von Rites of Spring, einer Emo-Band der ersten Stunde, der das Wortpaar pleonastisch für Punk und Hardcore in die Runde warf und so aus der Taufe hob, ohne jedoch seine eigene Musik als solche zu bezeichnen.

Sehr verwirrend, das alles. Was die Helden damals vorgaben, schnappten die Clowns irgendwann auf. Heute steht Emo für ein beinahe eigenständiges Subgenre, dessen Ursprung auf die US-Bands Rites of Spring und Embrace zurückzuführen ist. Kennzeichnend für diese war ihr schrabbelig punkiger Gitarrensound mit melodiös emotionalisiertem Gesang und äußerst persönlichen Texten. Ein Jahrzehnt später rollte dann eine zweite Emo-Lawine um Bands wie The Get up Kids, Sunny Day Real Estate oder Samiam durch die Musiklandschaft. Heute wird unter Emo mehr oder weniger alles subsumiert, was als verpoppter und melodischer Punk oder Hardcore durchgewunken werden kann.

Emo ist ein Kunstwort, das allein für eine Kategorisierung hilfreich ist. Dass es heute so populär ist, hängt eng mit der Entwicklung des Genres Hardcore zusammen. Hardcore, zu Beginn der achtziger Jahre in den Staaten entstanden, eiferte lange einem politisch korrekten Do-It-Yourself-Duktus nach, kopulierte dann aber in den Neunzigern rasch mit der Musikindustrie. Einige Bands jedoch widersetzten sich einer Mainstreamisierung, allen voran das Label Dischord aus Washington DC und dessen Umfeld. Mitte der neunziger Jahre wurde der Begriff Emo dann bewusst wiederbelebt, um Selbstbestimmtheit, in Anlehnung an jene alten Dischord-Bands, zu unterstreichen.

Schöpften Punk und Hardcore ihre Ideologien und Dramaturgien einst aus postmaterialistischen Wertvorstellungen wie Freiheit, freie Meinungsäußerungen und Toleranz, begannen sich diese in den Neunzigern durch die Verschlechterung ökonomischer Bedingungen ins Gegenteil zu kehren. Materialistische Werte wie Leistung, Stärke und Macht traten nicht nur in der Gesellschaft verstärkt in Erscheinung (gegen die Hardcore einst wetterte), sondern wurden in der Szene selbst reproduziert. Es ging nicht mehr darum, wie Martin Büsser resümiert, »autodestruktive Offenheit« zur Schau zur stellen und »den Gebrochenen« zu spielen, wie es alte Siebziger-Punkbands taten, sondern Stärke und Härte in Form von muskelbepacktem Körperkult samt klumpenschwerem Piercingberg zu unterstreichen.

Emo-Core inszenierte dementsprechend einen selbstdarstellerischen Körperkult, ging dabei aber knapp zwei Jahrzehnte zurück und stellte eben genau diese autodestruktive Offenheit wieder zur Schau (oder zur Show): sich plötzlich emotional ergriffen zu Boden stürzen, weinerlich winseln, sich die Haare ausreißen, Rolle vorwärts, Rolle rückwärts. Emo ist nicht nur kratziges Gitarrengeplänkel, sondern auch ein Spielplatz für »verwundete Männchen«, wie die Redakteurin der Musikzeitschrift Intro, Sonja Eismann, klagt. Der Sieg des Individuums, den der Soziologe Hoffman-Nowotny innerhalb der westlichen Gesellschaft erkennen mag, äußert sich bei Emo als männlich dominierter Seelenstrip: harte Männer, voller Emotionen, ergriffen von der bösen Welt, fangen auf der Bühne plötzlich an zu weinen.

Dem einen mag dies das Herz erwärmen, dem anderen wird da die Kotze hochkommen. Längst quillt das Emo-Fach im Plattenladen über, mit Produkten von gerade aufstrebenden Gruppen wie The Oliver Twist oder The Robocop Kraus, gerne Emo-Pop-Bands genannt. Diese haben den politischen Kontext minimiert und ihre Musik aus der Hardcore-Umklammerung gelöst. Doch auch dazu gibt es schon wieder eine Gegenbewegung, nämlich Screamo: eine erneute Abgrenzung zu dem Emo-Pop-Wischiwaschi, um dem Ausverkauf etwas entgegenzusetzen. Screamo, eng mit politischen Gruppen wie veganen Tierrechtlern verflochten, hängt jegliche Melodie an den Nagel, kotzt und keift, so gut (schlecht) es geht.

Vielen wird angesichts der beschriebenen Flügelkämpfe dieses ganze Bestreben nach Pseudokategorisierungen lächerlich vorkommen. Warum sich deswegen nicht gleich von allem ganz abheben, um einfach sein eigenes, ganz persönliches Subgenre zu kreieren? Das hat sich wohl Helge Wagner von der hessischen Gitarrenrockband Skinny Norris gefragt und seine Musik schlichtweg Opti (kommt von »optimistisch«) genannt.

Emo bleibt eine zerpflückte Musikkategorie, um den überfüllten, kaum überschaubaren Musikmarkt zu clustern und um sich zur Abgrenzung ein neues Identitätsgehäuse zu zimmern. Mal ist die Rede von Emo-Rock, plötzlich von Post-Emo-Core, dann wiederum von Emo-Noise, und so geht es immer weiter. Hektisch wühlen die Szene-Hansel immer wieder auf dem Identifikationsgrabbeltisch herum, um ja was Passendes zur Neudefinition zu finden. »Meine kleine Welt«, posaunt es Schorsch Kamerun im gleichnamigen Song der Goldenen Zitronen folgerichtig. Denn was soll das ganze Schubladengeschiebe überhaupt? Die Band The Oliver Twist räumt im Kollektiv ein, derartige definitorische Spitzfindigkeiten seien absolut »sinnentleerend«. Es ginge doch eigentlich um nichts anderes als um Musik, darum, »den objektiven Zwängen die Muße entgegenzuhalten«.

Emo steht immer noch für »emotional«, was wir doch alle mehr oder weniger sind. Wer nun immer noch nicht weiß, was Emo wirklich bedeutet, ist, wie Markus Flohr in der Taz resümiert, »entweder zu alt oder hat sowieso schon verloren«. Der sollte sich dann lieber mit seiner Motörhead-Plattensammlung auseinandersetzen oder fernsehen. Eigentlich keine schlechte Idee.