Verhandeln bis zum Kollaps

Während in Peking über die Beendigung des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms verhandelt wurde, demonstrierten Südkoreaner für die Wiedervereinigung. von christian karl, seoul

Es war ein Ehrensalut der besonderen Art. Pünktlich zum Beginn der Verhandlungen über die Beilegung der Nuklearkrise auf der koreanischen Halbinsel feuerten nordkoreanische Grenzschützer auf Stellungen des Südens. Doch achtzig Minuten später klingelte im Süden das Telefon, und zur Überrraschung aller war ein Kommandeur der nordkoreanischen Volksarmee am Apperat, der sich für den »Unfall vielmals entschuldigen« wollte.

Am Mittwoch der vergangenen Woche begannen in Peking dreitägige Verhandlungen zwischen Vertretern der USA, der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK), der VR China, Südkoreas, Japans und Russlands über die Beilegung der im letzten Herbst von Nordkorea ausgelösten Nuklearkrise. Damals hatte Nordkorea zugegeben, an einem Atomwaffenprogramm zu arbeiten. In den folgenden Wochen ging die Öffentlichkeit noch davon aus, dass die DVRK nur umfangreichere Hilfslieferungen erpressen wolle. Doch die Krise spitzte sich schnell zu. Die USA kappten Heizöllieferungen, zu denen sie sich im Zuge der 1994 getroffenen Vereinbarungen zur Beilegung der damaligen Nuklearkrise verpflichtet hatten. Daraufhin verwies Nordkorea das Inspektorenteam der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) des Landes und trat aus dem Atomwaffensperrvertrag aus. Die USA verlegten Kampfbomber auf südkoreanische Basen und Langstreckenbomber nach Guam.

Im April erklärte Pjöngjang, dass die Entwicklung von Atomwaffen der Abschreckung eines vom »Pentagon geplanten Nuklearangriffs auf die DVRK« dienen soll, so die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA. Seitdem beharrte Pjöngjang auf bilateralen Verhandlungen und einem Nichtangriffspakt mit den USA, was diese wiederholt ablehnten. Washington wollte nur multilateral verhandeln. Nachdem Russland sich zur Teilnahme bereit erklärt und China Druck auf Pjöngjang ausgeübt hatte, stimmte auch Nordkorea diesem Verhandlungsrahmen zu.

Im Vorfeld der Gespräche protestierten südkoreanische Linke gegen die Gefahr einer militärischen Konfrontation. Zehntausende Südkoreaner demonstrierten für eine friedliche Wiedervereinigung, Friedensaktivisten protestierten fast täglich gegen die USFK (United States Forces Korea). In den Wochen vor den Verhandlungen attackierten Studenten, zumeist Mitglieder der verbotenen Hanchongreyon (Korean Confederation of Student Councils), US-Militäreinrichtungen, lieferten sich Schlägereien mit US-Militärpolizisten und den berüchtigten Anti-Aufruhreinheiten der südkoreanischen Polizei und konnten kurzzeitig sogar Panzer der USFK besetzen.

Den vorläufigen Höhepunkt dieser Bewegung markierte der Tag der Befreiung, an dem die Koreaner dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft, die im August 1945 mit dem Sieg der Alliierten in Ostasien ihren Abschluss fand, traditionell gedenken. Während die Regierung bei der offiziellen Zeremonie am 15. August die USA als die Befreier feierte, demonstrierten zehntausende Südkoreaner in Seoul für eine friedliche Wiedervereinigung und den Abzug der US-Truppen. Alle relevanten linken Gruppen haben das Datum zum »Tag der Wiedervereinigung« umgewidmet.

Dagegen wurden am vorletzten Freitag südkoreanische und ausländische Menschenrechtler daran gehindert, mittels riesiger Luftballons tausende kleiner Transistorradios in die DVRK zu schicken, um, so Norbert Vollertsen, Sprecher der Aktivisten, das »Informationsmonopol des Nordens zu brechen«. Unmittelbar vor den Verhandlungen in Peking sahen die südkoreanischen Behörden dies als blanke Provokation an und schickten Polizeibeamte, die dem Treiben ein unsanftes Ende bereiteten. Am vorletzten Wochenende, am Rande des im südkoreanischen Daegu stattfindenden Sportfests Universiade, lieferten sich diese Aktivisten und nordkoreanische Journalisten Prügeleien, woraufhin die DVRK mehrfach damit drohte, ihr Sportlerteam aus Daegu abzuziehen.

Der Streit um den Kurs gegenüber dem Norden verschärft die innenpolitischen Spannungen in Südkorea. Doch es fehlt vor allem der Linken an politischen Konzepten. Ihre Wiedervereinigungsträume treiben manchmal skurrile Blüten, die Pläne für den Zusammenschluss beschränken sich jedoch weitgehend auf die schlichte Parole: »Ein Korea, zwei Systeme«. Eine dauerhafte Konservierung des abgewirtschafteten stalinistischen Systems dürfte jedoch, abgesehen von der Frage, ob sie wünschenswert wäre, kaum möglich sein. Und dass von Pjöngjang eine sozialistische Erneuerung ausgeht, ist noch unwahrscheinlicher.

Selbstverständlich müsse Nordkorea marktwirtschaftliche Reformen einleiten, so Joeng Byeong-gi vom Institute for Labor Studies in Seoul. Doch auch die Befürworter einer Wiedervereinigung auf kapitalistischer Grundlage hegen einige Illusionen. Viele Institutionen versuchen, die Erfahrungen der deutschen Wiedervereinigung aufzuarbeiten, ohne die gänzlich anderen Ausgangsbedingungen zu beachten. Denn anders als in der vergleichsweise hoch entwickelten DDR müsste in Nordkorea eine nahezu ruinierte Ökonomie komplett neu aufgebaut werden. Das würde die Finanzkraft Südkoreas weit überfordern.

Etwas konkreter sind die Pläne der rechten Vereinigungsfans. Zwar wissen auch sie nicht so richtig, wie es nach einem Zusammenbruch des Regimes in Pjöngjang weitergehen soll, aber sie haben schon konkrete Vorstellungen, wie der »friedliche« Kollaps herbeigeführt werden kann. Dabei denkt man natürlich, wie Vollertsen erklärt, »ganzheitlich«, um eine »friedliche Lösung der Koreakrise« herbeizuführen: »Um die nordkoreanischen Atomwaffen loszuwerden, gibt es nur einen gangbaren Weg: Kim Jong-il muss weg. Und der beste Weg dahin ist der innere Kollaps Nordkoreas.« Zunächst soll eine Massenflucht nach ostdeutschem Vorbild provoziert werden, der nächste Schritt wäre die Bildung einer nordkoreanischen Exilregierung mit Sitz in Washington, die Anspruch auf eine aktive Teilnahme an den multilateralen Verhandlungen erheben könnte.

»Das alles klingt reichlich verrückt, aber man sollte nicht vergessen, dass diese Gruppe massiven Rückhalt durch die Hardliner in der US-Administration erhält«, erklärt Jeremy Kirk vom Armeemagazin Stars and Stripes Korea und ergänzt: »Genau darin liegt die große Gefahr, dass die US-Regierung über kurz oder lang dazu geneigt sein könnte, auf eben solche Mechanismen zurückzugreifen, um den Norden zum Zusammenbruch zu bringen, was wiederum in Pjöngjang als eindeutige Kriegserklärung verstanden werden wird.«

Die künftige Linie der US-Politik ist noch unklar, zu den von Nordkorea geforderten Zugeständnissen scheint Washington jedoch nicht bereit zu sein. Sehr hoch waren die Erwartungen an die Pekinger Verhandlungen ohnehin nicht. »Alle Beteiligten werden schon froh darüber sein, wenn der Norden den Verhandlungstisch nicht einfach vorzeitig verlässt oder ihn gar durch neue Schreckensmeldungen zum Zusammenbrechen bringt«, schrieb Kim Hyeon-tae in der Tageszeitung Korea Times.

Die Nordkoreaner blieben bis zum Ende der Verhandlungen, außer einer unverbindlichen Abschlusserklärung gab es jedoch keine Ergebnisse. »Nicht nur nutzlos, sondern schädlich« sei die Gesprächsrunde gewesen, zitierte KCNA am Tag darauf einen Sprecher des Außenministeriums. »Wir sind jetzt überzeugter als zuvor, dass wir keine Alternative zur weiteren Stärkung unserer nuklearen Abschreckung haben.« Nach Angaben des Verhandlungsteams der USA hat ein Vertreter der nordkoreanischen Delegation während der Gespräche in Peking einen baldigen Atomwaffentest angekündigt.