»CDU und FDP haben den Putsch begrüßt«

Urs Müller-Plantenberg

»Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang«, erklärte der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß nach dem Putsch Augusto Pinochets gegen den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende am 11. September 1973. Auch viele deutsche Journalisten, Politiker und Industrielle begrüßten die neue Ordnung. Urs Müller-Plantenberg hat vor dreißig Jahren die Chile-Nachrichten mitbegründet, aus denen später die Lateinamerika-Nachrichten hervorgingen. Er ist Dozent am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. Mit ihm sprach Anton Landgraf.

»Drei Jahre Marxismus und Chile war kaputt«, titelte die Bild-Zeitung einen Tag nach dem Tod Allendes. Wie erlebten Sie die Berichterstattung in Deutschland nach dem Putsch Pinochets?

Die ersten Reaktionen waren geprägt von einer Art Erleichterung der Journalisten und der Korrespondenten, dass es nun endlich mit diesem Spuk, dem Klassenkampf, vorbei sei. In der Zeit der Regierung Salvador Allendes residierten die meisten deutschen Korrespondenten in den Hotels der Oberklasseviertel von Santiago. Mit dem Rest des Landes kamen sie wenig in Berührung. Entsprechend hatten sie eine sehr begrenzte Vorstellung von dem Land. Als ich einem Spiegel-Reporter kurz vor der Wahl von 1973 sagte, dass wahrscheinlich die Unidad Popular mit weit mehr als 33 Prozent gewinnen würde, erklärte er mich für verrückt und brach das Gespräch sofort ab. Das war für ihn einfach nicht vorstellbar. Aber so dachte man in den reichen Vierteln.

Gab es diese Haltung lange?

Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien wurden in Deutschland die Berichte darüber, was in Chile nach dem Putsch geschah, eher langsam bekannt. Als die Brutalität der Junta dann erkannt wurde, ist die Stimmung auch hier schnell umgeschlagen. Allerdings haben sich führende Politiker von der CDU/ CSU und die FDP auch später nicht davon abhalten lassen, den Putsch grundsätzlich zu begrüßen.

Wie ausgeprägt waren die deutsch-chilenischen Beziehungen damals?

Die chilenische Außenpolitik genoss in diesen Jahren ein großes Ansehen, und das Land pflegte zu den meisten Staaten gute Beziehungen. Dennoch gelang es Allendes Regierung nicht, die wenigen Millionen Dollar Wirtschaftshilfe zu erhalten, die sie so dringend benötigte. Das lag an der mangelnden Kooperation des Internationalen Währungsfonds, aber auch die Bundesregierung war daran beteiligt. Als ich im Herbst 1973 in Epplers Entwicklungshilfeministerium einen Vortrag über Chile hielt, waren die Beamten entsetzt, dass ein bereits bewilligter Kredit nicht ausgezahlt wurde, weil die entsprechenden Unterschriften aus dem Außen- und Wirtschaftsministerium fehlten. Beide Ministerien wurden damals von der FDP geleitet. Nach dem Putsch gab es solche Probleme nicht mehr.

»Die Regierung Allende hat das Ende gefunden, das sie verdiente«, hieß es in einem Brief, den der Leiter der chilenischen Filiale von Hoechst im Dezember 1973 an seine Zentrale schrieb. Eine repräsentative Meinung in der deutschen Wirtschaft?

Die deutschen Industrieunternehmen wie Hoechst und Bayer, die damals in Chile produzierten, sind mit dem Putsch nicht besonders gut gefahren. Die Regierung Allende betrieb, wie ihre Vorgänger seit den vierziger Jahren, eine protektionistische Wirtschaftspolitik. Die Junta setzte hingegen ihr neoliberales Wirtschaftskonzept durch.

Welche Wirtschaftsbranchen hatten ein Interesse an einem Machtwechsel?

Das waren zum einen die Unternehmen, die enteignet worden waren, also vor allem im Kupferbergbau. Diese Enteignungen sind übrigens mit den Stimmen aller chilenischen Parteien durchgesetzt worden, auch der konservativen. Zum anderen vor allem die US-amerikanischen Banken, deren Aktien von der Regierung aufgekauft wurden. Die waren darüber natürlich auch nicht sehr glücklich.

Welche gesellschaftlichen Schichten haben den Putsch besonders unterstützt?

Die heftigste Kritik kam von dem Mittelstand und den kleinen Unternehmen. Sie haben ihre Forderungen sehr drastisch formuliert. Die Regierung Allende dachte, sie könne durch Nachgeben und immer neue Kompromissangebote die Situation entschärfen. Stattdessen wurden die Transportunternehmer, die Ärzte, Kaufleute und so weiter immer rabiater. Dies führte schließlich zu einer chaotischen Lage, in der die Regierung die Kontrolle verlor.

Und in dieser Situation griff die Armee ein …

Die Militärs sind ja von Allende selbst in die Regierung aufgenommen worden, um die Situation zu stabilisieren. Die chilenische Armee galt eigentlich als professionell und hat sich wenig in die Politik eingemischt. Das Offizierskorps kam auch weniger aus Kreisen der Großgrundbesitzer und der Aristokratie, sondern aus den Mittelschichten. Die regierungstreuen Kräfte in der Armee waren sogar sehr stark. Die heutige Verteidigungsministerin ist beispielsweise die Tochter eines Luftwaffengenerals, der von der Junta umgebracht wurde. Der Vorgänger von General Pinochet wurde bezeichnenderweise ein Jahr nach dem Putsch vom chilenischen Geheimdienst in Buenos Aires ermordet – weil er zu Allende gehalten hatte.

Von Pinochet heißt es, dass er in einem besonderen Maße von der deutschen Kriegstechnik begeistert war.

Pinochet hatte an Militärschulen Geopolitik gelehrt, und die Grundlagen dieser Politik waren seiner Ansicht nach in Deutschland unter den Nationalsozialisten gelegt worden. In seinem Buch über geopolitische Strategien hat er beispielsweise mehrere Autoren zitiert, die während des Nationalsozialismus eine Rolle gespielt haben. In diesem Buch stellte er auch die angeblich rassische Homogenität der chilenischen Bevölkerung als besonderen Vorteil heraus.

Wie wurden die chilenischen Flüchtlinge nach dem Putsch in den beiden deutschen Staaten aufgenommen?

In der DDR war die Solidarität mit den chilenischen Patrioten, wie man dort sagte, eine Staatsangelegenheit. Besonders groß war die Verbundenheit mit den geflüchteten Mitgliedern der kommunistischen Partei, auch der Sozialistischen Partei.

In Westdeutschland war die Stimmung natürlich anders. Die Leute, die sich um die Flüchtlinge kümmerten, stammten im Wesentlichen aus den Chile-Komitees, die sich an den Universitäten und im Umfeld der linken Organisationen bildeten. Insgesamt war die Bereitschaft, sich für die Flüchtlinge einzusetzen, sehr hoch. Es gab auch einzelne Personen im Staatsapparat, die sich engagiert haben.

Wie groß das Misstrauen in der damaligen BRD gegenüber den chilenischen Exilanten dennoch war, zeigt die Geschichte des hoch angesehenen und langjährigen chilenischen Außenministers Clodomiro Almeida. Er war ein persönlicher Freund des damaligen Bundesfinanzministers Hans Matthöfer, der ihn auch nach seiner Flucht am Kölner Flughafen empfangen hatte. Als er dann im Zuge seines Asylverfahrens nach Baden-Württemberg gehen sollte, weigerte sich die dortige Landesregierung, ihn aufzunehmen – mit gefährlichen Terroristen wollte sie nichts zu tun haben. Dabei war Almeida nun alles andere als ein Linksradikaler, sondern ein international angesehener Diplomat. Er hat sich dann an die DDR gewandt. So hat sich die Bundesrepublik manchmal das Wohlwollen chilenischer Politiker, die später wieder in ihr Land zurückkehrten, nachhaltig verscherzt.