Das NGO-Spektakel

In Cancún sammeln sich vor dem WTO-Treffen die Globalisierungskritiker. Trittin und Künast sind auch dabei. von wolf-dieter vogel, cancún

Am »Kilometro cero« beginnt das Feindesland. Hier endet das Stadtzentrum, und auf dem Boulevard Kukulcán führt der Weg weiter über eine schmale Landzunge. Rechts liegt eine Lagune, in der sich Krokodile tummeln, links patrouillieren bewaffnete Polizeieinheiten zwischen Touristen.

Rund zehn Kilometer trennen so den Stadtkern des mexikanischen Karibikbades Cancún vom Kongressgebäude Centro de Convención, und diese zehn Kilometer lange Strecke dürfte derzeit zu den bestbewachten der Welt zählen. Dennoch gibt sich Hector de la Cueva vom Mexikanischen Aktionsnetz gegen Freihandel (RMALC) sicher: »Wenn die Mehrheit von uns beschließt, dass wir durch den Boulevard Kukulcán ziehen, werden wir das tun.«

Doch kaum jemand rechnet hier ernsthaft damit, dass die Globalisierungsgegner tatsächlich als Demonstrationsblock zum Centro de Convención durchdringen werden, wo sich vom 10. bis zum 14. September Wirtschaftsexperten und Vertreter von 146 Regierungen sowie von knapp 1 000 Nichtregierungsorganisationen (NGO) zur 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) treffen.

Schließlich sollen vier Sicherheitsgürtel die Teilnehmenden vor Terroranschlägen und Demonstranten schützen. Rund 6 000 Polizeibeamte sollen dafür sorgen, dass kein Unbefugter in die Nähe des Kongresszentrums kommt, auf dem Meer patrouilliert die Marine. An strategisch wichtigen Punkten sind Videokameras installiert.

Für Juan Carlos Núñez vom Comité Bienvenidos a Cancún schüren diese Maßnahmen unnötig Panik. »Wir müssen Cancún als touristisches Ziel schützen, und darüber sind sich alle Teilnehmer der alternativen Veranstaltungen einig«, erklärt Núñez. Internationale Gruppen, die sich auf Konfrontationen mit der Polizei einstellen, sind für ihn »Pseudoglobalifóbicos«, von denen man Abstand halten müsse. Núñez’ Komitee ist die zentrale Anlaufstelle für alle Globalisierungskritiker. Trotzdem kommen solche Sätze bei einigen nicht gut an, zumal seine Organisation von dem gemäßigt linken PRD finanziert wird. Zwei Häuser stellt das Komitee auf Kosten der Partei zur Verfügung, und auch die notwendige Infrastruktur: Kopierer, Telefon, Plakate. Wer außerhalb der Gruppe steht, ging leer aus.

Viele radikalere Organisationen, so etwa die örtliche Gruppe der zapatistischen FZLN, haben sich deshalb aus den Vorbereitungen der Aktionen gegen die WTO-Konferenz zurückgezogen. Auch der linke Anwalt Julio Macossay aus dem nahe gelegenen Playa del Carmen ist skeptisch: Der PRD, der in Mexiko-Stadt die Regierung stellt, spiele hier zwar keine große Rolle, dennoch agiere er nur aus machtpolitischen Interessen. Der Kampf gegen die WTO sei der Partei egal, die hier im Bundesstaat Quintana Roo aus einem Konsortium alter Gewerkschaftsfunktionäre besteht, das sich von der ehemaligen Staatspartei PRI abgesetzt hat. Dann erinnert sich der Altaktivist an einen makabren Witz: »Während in Argentinien zu Zeiten der Diktatur 30 000 Menschen verschwunden sind, waren es in Mexiko im Schmutzigen Krieg der siebziger Jahre 500. Die anderen 29 500 sind in der Regierung.«

Tatsächlich gibt sich auch die mexikanische Regierung alle Mühe, während des WTO-Gipfels drohende Krawalle oder andere Konflikte »a la mexicana« zu umgehen: Zwar macht man auf der einen Seite Probleme mit der Einreise von internationalen Globalifóbicos. Doch gleichzeitig hat das Außenministerium der Stadtverwaltung sechs Millionen Pesos zur Verfügung gestellt, wie ein Mitarbeiter der Behörde erzählt. Der grüne Bürgermeister Juan Ignacio García Zalvidea darf dieses Geld nun an das Comité de Bienvenido weitergeben. Viele Großveranstaltungen der Globalisierungskritiker finden in städtischen Räumen statt, und die meisten der Anreisenden campieren auf öffentlichen Plätzen.

Wie viele es tatsächlich werden, die letztlich hierher kommen, weiß niemand so genau. Allein 10 000 Kleinbauern würde die internationale Landarbeiterorganisation Via Campesina mobilisieren, um am 10. September gegen die Agrarpolitik der USA und der Europäischen Union zu demonstrieren. Auf der großen Demonstration am Samstag rechnete man sogar mit 50 000 Beteiligten, und einige tausend »Seattle-Erfahrene« aus den USA würden sich auf den Weg machen.

Daraus wird wohl nichts werden, meint Mike, ein US-amerikanischer Aktivist, der sich schon seit Anfang Juni hier herumtreibt, um Aktionen gegen das Welthandelstreffen zu organisieren. Aus den USA, so schätzt er, »werden höchstens 500 Leute kommen«. Alle hoffen nun auf die vielen Busse, die sich am Wochenende aus Mexiko-Stadt und den Bundesländern Chiapas und Oaxaca auf den Weg gemacht haben. Ob das Zapatistische Befreiungsheer (EZLN) eine Delegation stellt? Ganz sicher, so gehen die Gerüchte, werden rund 300 Militante vom CGH, dem ehemaligen Streikkomitee der Autonomen Universität von Mexiko-Stadt, anreisen. Allein deshalb werde es Auseinandersetzungen mit der Polizei geben.

Mit dem Ansturm der Massen auf Cancún rechnet aber auch Anwalt Macossay nicht. »Viele Leute in Mexiko haben einfach kein Geld, um eine Woche hierher zu fahren«, sagt er. Viele Bauernverbände blieben deshalb zu Hause und demonstrierten dort. Andere Organisationen, deren Veranstaltungen auf der Agenda der »alternativen Aktionen« stehen, haben weniger finanzielle Probleme. Auf der Liste der Foren kündigt neben verschiedenen NGO auch die den Grünen nahe stehende deutsche Heinrich-Böll-Stiftung ihren »Widerstand gegen den WTO-Griff nach dem Wasser« an, und die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung ruft zur Debatte über »grüne Biotechnologie«. Die »unabhängige deutsche Delegation« der Böll-Stiftung, so schreibt die örtliche Tageszeitung Novedades, werde sich in die alternativen Aktivitäten einreihen. Also diskutiert man nun auf mehrtägigen Foren im Hotel Plaza Caribe über »grüne Landwirtschaft angesichts der Globalisierung« oder »Wirtschaft und Umwelt«. Unter den Diskutanten sind neben Vertretern der freihandelskritischen RMALC und der renommierten mexikanischen Biotechnologie-Kritikerin Silvia Ribeiro auch die grünen Minister Jürgen Trittin und Renate Künast.

Offenbar hatte neben den Deutschen niemand die Stirn, Quasi-Regierungsorganisationen in diesen Rahmen zu stellen, zumindest finden sich in den Ankündigungen ansonsten nur Veranstaltungen von NGO. Die Juventud en Resistencia etwa kündigt eine Debatte zu »Zapatismus und Widerstand« an, große NGO wie Global Exchange wollen über »die Situation in Venezuela angesichts der Freihandelsverträge« diskutieren.

Jenseits vom »Kilometro cero« bereiten Bauarbeiter indes das Centro de Convenviones für die harten Tage vor: Metallzäune werden aufgestellt, Satellitenschüsseln installiert, Willkommensschilder montiert. Auch hier auf der Hotelhalbinsel sind NGO-Vertreter angereist, allerdings, um mit Regierungsdelegierten über die Liberalisierung des Welthandels zu diskutieren. Während man mit der grünen Böll-Stiftung gern auf dem Podium sitzt, stößt das jedoch bei einigen der radikaler Gesinnten auf der anderen Seite Cancúns auf Kritik. »Die WTO will sich ein Bild geben, als öffne sie sich gegenüber der Zivilgesellschaft«, schimpft RMALC-Sprecher Omar Rábago. Dabei seien, so ergänzt Silvia Ribeiro, ein gutes Drittel der 961 angereisten NGO Unternehmer-Interessensverbände, unter ihnen der Verband der US-amerikanischen chemischen Industrie, die Assoziation der britischen Pharmaindustrie und nicht zuletzt die deutsche Industrie- und Handelskammer.